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Die Reportage nach Relotius - 7 Praxistipps

Die Reportage nach Relotius - 7 Praxistipps Hilmar Poganatz gibt Tipps für die gelungene Reportage.

Andere Einstiege wagen, Recherchewege zeigen, Erwartungen durchbrechen, rät Journalisten-Trainer Hilmar Poganatz im neuen „medium magazin“.

Frankfurt - „Natürlich gibt es im Journalismus auch auf der praktischen Arbeitsebene kein Schwarzweiß von falsch und richtig. Dennoch lassen einige Thesen für die Reportage der Zukunft erstellen“, schreibt Journalisten-Trainer Hilmar Poganatz in der aktuellen Ausgabe des „medium magazins“. Und gibt sieben Ideen für die Praxis: 

 

1. Es muss nicht immer eine Reportage sein 

Zuallererst sollten Journalisten stärker darauf achten, nicht zu viele Themen zur Reportage aufzublasen. Spielen die meisten Szenen in der Vergangenheit? Dann wird es vielleicht eine „Rekonstruktion“. Soll das Stück eine starke Meinung oder These wiedergeben? Dann könnte der reportagige Essay geeignet sein. 

 

2. Andere Einstiege wagen

Viele Geschehnisse in Reportagen sind nicht selbst erlebt. Mal müssen sie aus der Vergangenheit rekonstruiert werden, mal lässt es das Budget nicht zu. Deshalb fordern selbst preisgekrönte Reporterinnen wie Lara Fritzsche vom „SZ“-Magazin: „Die Redaktion sollte auch mal sagen können: Dann lass es eben ohne Szene.“ Zu häufig verleitet der vermeintliche Zwang zum Szenischen dazu, den Lesern falsche Unmittelbarkeit vorzugaukeln.

 

3. Ambivalenz zulassen 

„Wir machen jetzt eine Geschichte über …“ – zu häufig beginnen Journalisten ihre Recherche mit vorgefertigten Vorstellungen. Claas Relotius war der Extremfall: Er lieferte exakt das von ihm Erwartete, in glatter Perfektion. Genau diesen Duktus kritisiert die Auslandsreporterin Sandra Weiss in einer „medium magazin“-Umfrage: „Eine zu glatte Geschichte, wo immer zum richtigen Zeitpunkt die richtige Musik erklingt, ist nach 20 Jahren an der Front für mich prinzipiell unglaubwürdig und gehört eher nach Hollywood als in eine Zeitung.“ 

 

4. Erwartungen durchbrechen

„Die Geschichten von Relotius passten offenbar in vielerlei Hinsicht perfekt in die Erwartungshaltung der Redaktion“, heißt es selbstkritisch im Abschlussbericht des „Spiegels“. Heike Faller, Redakteurin beim „Zeit-Magazin“, rät: „Das Erlebte einfach mal abends seinen Freunden erzählen und sich selbst dabei zuhören. Wenn ich dabei dann auf Zwischentöne stoße, auf eine Verkomplizierung meiner These – da wird’s doch erst richtig inter­essant.“

 

5.  Überdeuten und Überhöhen vermeiden

„An einem Sonntagmorgen um elf verlor er seine Unschuld“? Diese Art der Deutung und Überhöhung sei nach Relotius endgültig vorbei, glaubt „Zeit“-Autorin Britta Stuff: „Das ist der schlechte Tatort unter den Einstiegssätzen, so was ist ab jetzt verboten.“ 

 

6. Mehr „Ich“ wagen? 

Im Englischen gehört es häufig dazu: das Reporter-Ich. Im Journalistendeutschland nach Relotius spalten sich die Geister. Ob Journalisten in Zukunft häufiger auf ein (zurückgenommenes) Reporter-Ich zurückgreifen, muss sich noch zeigen. 

 

7. Recherchewege zeigen 

„Mehr Transparenz führt zu mehr Glaubwürdigkeit“, schreibt Nannen-Schulleiter Andreas Wolfers in der „Zeit“, „viele Redaktionen experimentieren bereits damit, sie nennen es Autorenkasten, Dis­claimer, Redaktionsblog.“ Wenn Reporter journalistisches Branchenwissen nicht voraussetzen, sondern mit den Lesern teilen, schaffen sie eine zweite Ebene, die einem scheinbaren Allwissenheitsanspruch im Text entgegenwirkt. 

 

Die 7 Tipps in voller Länge lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des „medium magazins“

 

Zudem finden Sie im Heft unter anderem folgende Themen:

  • 30 bis 30 – Deutschlands Journalisten-Talente 2019
    Was sie antreibt, wer sie fördert, wohin sie wollen, lesen Sie in der 300. Ausgabe von „Medium Magazin“. Und welcher Rat am meisten geholfen hat: „Dreistigkeit lohnt sich. Lass dich nicht daran hindern, deine Fragen zu stellen“, weiß Jacqueline Goebel, 29, Investigativ-Redakteurin Wirtschaftswoche.
  • Warum gibt es so viele Wessis in ostdeutschen Redaktionen?
    Westdeutsche dominieren tatsächlich Redaktionen und Journo-Schulen. Die Ost-Nachwendegeneration im Journalismus hat nun Gesprächsbedarf.
  • Was Textchefs von guten Reportagen erwarten
    Und wie sie mit der Verifizierung umgehen. Wir haben dazu Antworten von Meike Dülffer (Zeit Online), Markus Götting (Focus Magazin), Annette Prosinger (Welt am Sonntag), Marc Schürmann (SZ-Magazin) und Jens Bergmann (Brand eins).
  • Schöne Kriegsbilder
    Wie sich ohne Leichen die Absurdität des Krieges zeigen lässt.
  • Wo Björn Höcke zu Hause ist
    Lokalbesuch bei Funkes Mediengruppe Thüringen, im Heimatland von AfD-Polarisierer Höcke. Droht der TA das Ende der Papierzeitung?
  • Bei Schreibblockaden hänge ich Wäsche auf
    Was macht außergewöhnliche Reporterinnen und Reporter aus, wie arbeiten sie, was treibt sie an? Teil 27: Tagesspiegel-Reporterin Maris Hubschmid.

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