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Wie reagieren, wenn Veränderung heimlich boykottiert wird?

Wie reagieren, wenn Veränderung heimlich boykottiert wird? Attila Albert

Auf LinkedIn, in Vorträgen und Workshops werden pausenlos Veränderungen gefordert und begeistert begrüßt. Wer sie aber in seinem journalistischen Alltag umsetzen will, stößt oft auf unerwartete Widerstände. Mediencoach Attila Albert über die häufigsten Gründe und wie Sie damit umgehen können.

Berlin – Wenn man sich durch die LinkedIn-Beiträge vieler Medienprofis scrollt, kann man leicht den völlig falschen Eindruck gewinnen, es gäbe eine ungeheure Begeisterung dafür, endlich den beruflichen Alltag oder gleich die komplette Gesellschaft „ganz neu zu denken“. Wer tatsächlich etwas verändern will, also nicht nur darüber reden, stellt oft ernüchtert fest: Das Gegenteil ist der Fall. Nach kurzer Euphorie werden erste Zweifel angemeldet, ob das wirklich so eine gute Idee war. Bald beginnen unendliche Detail-Diskussionen mit immer neuen Vorschlägen und Plänen, bis jede Begeisterung zerredet und erschöpft ist.

 

Überragende Führungskräfte und Mitarbeiter sind daran erkennbar, dass sie es trotzdem durchziehen: Neue Produkte oder Services einführen, Abläufe effektiver und schneller organisieren, unrentable Aktivitäten beenden. Das geht nur gegen viele Widerstände, deren Gründe man verstehen und die man erwarten sollte. In Führungskräfte-Coachings und Workshops, in denen es explizit um gewünschte Veränderungen geht, spreche ich das offen an: Die Mehrheit im Unternehmen will weiterarbeiten wie bisher, hätte nur gern andere Ergebnisse. Das kann natürlich nicht funktionieren, hat aber seine Gründe.

(Wenn Sie sich beruflich verändern wollen, finden Sie meine Antworten auf die zehn häufigsten Fragen von Medienprofis dazu im aktuellen Medium Magazin.

 

Drei Argumente gegen Veränderung

Veränderung wird theoretisch immer gefordert und begrüßt, praktisch mehrheitlich abgelehnt oder heimlich sabotiert. Wer etwas verändern will, sei es als einzelner Mitarbeiter oder als Vorgesetzter für das Team oder die Abteilung, hört meist folgende Argumente dagegen:

  • „Das passt jetzt gerade gar nicht!“ Bei voller Auslastung oder gar ständiger Überlastung ist nie Zeit, über Ziele, Planung, Organisation und Umsetzung nachzudenken. Jede Stunde dafür scheint verloren, weil Arbeit liegen bleibt.
  • „Das bringt uns alles durcheinander!“ Veränderungen stören bisherige Routinen, die ja bis zu einem gewissen Grad doch funktionieren. Gerade bei langjährigen Mitarbeitern sorgt das für Unsicherheit und Ängste um den eigenen Job.
  • „Wir schaffen jetzt weniger als vorher!“ Jede Veränderung senkt zumindest zeitweise die Produktivität. Es muss mehr erklärt und diskutiert werden. Das Kennenlernen und Üben neuer Abläufe und Werkzeuge braucht Zeit.

All diese Argumente treffen also zu. Gleichzeitig dürfen sie nicht der Endpunkt sein. Denn die Alternative wäre: Stagnation, damit eine langsame Erosion, u.a. durch eine hohe Fluktuation (frustrierte Kollegen gehen). Die Bedeutung der Abteilung, des Unternehmens und seiner Produkte sinkt. Das kann jahrelang fast unbemerkt bleiben oder mit allerlei Tricks kaschiert werden. Einmal aber sind Technik und Software völlig überaltert, die Ablagen verschlampt, keine Standards und Abläufe mehr dokumentiert. Nur das Notdürftigste ist noch zu schaffen. Die Qualität ist mittelmäßig, und alle sind gestresst.

Mit realistischen Erwartungen herangehen

 

Wer tatsächlich Veränderungen umsetzen und nicht nur als PR-Maßnahme gefällig darüber reden will, muss mit realistischen Erwartungen herangehen. Insbesondere folgende fünf Phänomene sind unvermeidbar und sollten deshalb vorab eingeplant werden:

1. Niedrigere Produktivität und Unruhe: Wenn sich ein Team verändert, ist es stark mit sich beschäftigt und kann weniger Aufgaben als sonst bewältigen. Das wird oft nicht verstanden und kritisiert: „Früher habt Ihr das doch auch geschafft!“ Sprechen Sie das vorab an, planen Sie zeitweise mit einem reduzierten Mindest-Programm.

2. Widerstände bei denen, die anfangs dafür waren: Die anfängliche Begeisterung für Veränderung ebbt schnell ab, sobald die Mühen und Kosten erkennbar werden. Das gilt regelmäßig auch für Vorstände und Geschäftsführer, die sie ursprünglich sogar beauftragt haben. Sichern Sie fortlaufend ab, ob man Sie noch unterstützt.

3. Die Versuchung, ständig die Strategien und Tools zu wechseln: Beides lockt wie ein Befreiungsschlag, sobald die schwierige Detailarbeit ansteht (z.B. Abläufe planen, Arbeitsvolumen und Stellenschlüssel berechnen). Doch damit beginnen Sie immer wieder von vorn. Schließen Sie ein Projekt immer erst vollständig ab.

4. Tendenz, bei ersten Problemen zum alten Modell zurückzukehren: Auch das ist eine verführerische Schein-Lösung, etwa ein eben eingeführtes CRM-System direkt wieder aufzugeben. Erinnern Sie sich immer, warum der Veränderungsprozess überhaupt begonnen wurde – und auf welches Ziel Sie damit hinarbeiten.

5. Veränderungen brauchen viel Zeit. Sie sind immer ein mehrjähriger Prozess, vor allem bei großen Unternehmen mit vielen Beteiligten bei Entscheidungen. Im besten Fall zwei bis drei Jahre, im schlechtesten zehn bis 15 Jahre. Nach jedem großen Umbruch braucht es eine Phase der Stabilisierung und neuen Routine.

 

Veränderungen beginnen oft mit einem inspirierenden Impulsvortrag oder einem Workshop, der alle begeistert. Danach aber geht es in den Alltag zurück, in dem all die schönen Ideen schnell wieder beiseite geschoben werden. Planen Sie 10 bis 20 Prozent Ihrer Zeit (ein oder zwei halbe Wochentage) fest für Veränderungsaufgaben ein. Die neuen Abläufe detailliert planen (z.B. als Swimlane-Diagramm), alle Aufgaben mit Zeitschätzungen versehen und ableiten, wie viele Stellen und welche Profile es dafür wirklich braucht. Neue Standards, Werkzeuge und Abläufe dokumentieren, im Intranet hinterlegen, alle Betroffenen darin schulen. Den Kollegen immer wieder erklären, was Sie tun und warum.

 

Aus der Mühe wird erkennbar, dass Veränderung nie Selbstzweck sein kann, auch nicht nur erfolgen sollte, weil sie gut klingt und irgendwie dazugehört („Change“, „Transformation“, „Next Level“). Dafür ist sie zu anstrengend und teuer. Veränderung braucht ein konkretes Ziel, das eine echte Verbesserung darstellt. Sie sollte möglichst entschlossen und schnell durchgezogen werden, um Widerstände und Kosten gering zu halten. Vor allem aber auch, um zu verhindern, dass ausgerechnet die leistungsstarken, motivierten und flexiblen Kollegen, die auch anderswo Optionen finden, kündigen. Umgekehrt gilt: Wenn Sie derzeit in einem Umfeld arbeiten, in dem nie etwas gelöst wird – dann sollten Sie sich verändern.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: 7 Fragen zeigen Medienprofis, ob sie bald den Job wechseln sollten

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.