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Wer sie umgeht, arbeitet effektiver: 5 Perfektionismus-Fallen im redaktionellen Alltag

Wer sie umgeht, arbeitet effektiver: 5 Perfektionismus-Fallen im redaktionellen Alltag Mediencoach Attila Albert

In fast allen Medienhäusern wuchern die redaktionellen Angebote und Abo-Modelle, Kanäle und digitalen Werkzeuge, Projekte und Initiativen. Dahinter steckt unternehmerischer Perfektionismus, sagt Mediencoach Attila Albert. So vermeiden Sie die fünf häufigsten Fallen.

Berlin – Die Redaktion eröffnet fortlaufend weitere Kanäle, um Inhalte auszuspielen und Abos zu bewerben. Aber geschlossen wird nie wird einer. Die Zahl der redaktionellen Plattformen und Werkzeuge – für Ablagen, Analysen, Kommunikation, Kollaboration etc. – wächst ständig. Zusammengeführt und bereinigt wird nie. Auf der Webseite wuchert die Zahl der Formate, Untermenüs und Seitenlayouts. Dabei läuft der Traffic sowieso fast nur über die Startseite. Im Verlag explodiert parallel die Zahl der Projekte, Initiativen und Methoden. Transformation, Innovation, Qualität, Agilität, Lean, kulturelle Veränderung, Nachhaltigkeit, Vielfalt … 

 

Derart überfrachtet stellt sich der Arbeitsalltag heute für viele Medienprofis dar. Alles hat zudem angeblich „Prio 1“, was schon der Grundidee von Prioritäten widerspricht und für viele unnötige Ziel- und Ressourcen-Konflikten sorgt. Was steckt dahinter? Perfektionismus auf der unternehmerischen Ebene, also das Verfolgen unerreichbarer oder unnötiger Ideale. Er führt bei besten Absichten zu einem schwächeren Ergebnis und mehr Stress – für den einzelnen Medienprofi wie für die gesamte Organisation. Hier fünf Perfektionismus-Fallen im redaktionellen Alltag und wie Sie sie vermeiden.

 

Falle 1: Jeden Nutzerwunsch erfüllen wollen

Wer jeden denkbaren Nutzerwunsch erfüllen will, lässt es im Laufe der Jahre zu, dass das eigene Produkt- und Serviceangebot völlig ausufert: Präsent auf allen Kanälen, Apps für alle Betriebssysteme, redaktionelle Angebote für jede Nische. Das erhöht aber den Bedarf an Mitarbeitern, technischer Ausstattung und Schulungen, bindet damit Kapital und verhindert eine Spezialisierung im Wettbewerb. Beste Strategie dagegen: Mindestens jährliches Auswerten der Umsätze und Margen pro Kanal und Produkt bzw. Dienstleistung (interne Kosten ehrlich aufteilen) – und bewusstes Aufgeben der schwächstes Angebote.

 

Falle 2: Jeden Nutzer behalten wollen

Es ist verständlich, dass im Medienwettbewerb zunächst jeder Umsatz, jeder Klick und jede Social-Media-Interaktion zählen. Doch mit wachsender Nutzerzahl wächst auch die Zahl derjenigen, die mehr kosten, als sie einbringen. Meist durch hohen Betreuungsbedarf bei geringem Umsatz und viele Reklamationen (z.B. Kritik an Beiträgen, Beschwerden über die App). Beste Strategie: Eine jährliche Umsatz- und Gewinnauswertung pro Nutzer bzw. pro Nutzergruppe, danach abgestufte Angebote – und auch hier eine gezielte Verabschiedung von wirtschaftlich unattraktiven Nutzern, z.B. durch Kommentarverbot für Nichtzahler.

 

Falle 3: Produkte verkomplizieren

Fast jedes Produkt (z.B. Digital-Abo, App) erhält über die Zeit immer weitere Funktionen, wird technisch verbessert oder optisch modernisiert. Häufig haben sich allerdings vor allem Produktmanager und Entwickler in diese Verbesserungen verliebt. Für die Nutzer spielen sie nicht selten keine Rolle, machen alles nur komplizierter und umständlicher. Damit steigen Betreuungsbedarf und Reklamationen, also die Kosten. Beispiel: Ein Dickicht aus Abo-Modellen, das keiner mehr durchblickt. Beste Strategie dagegen: Regelmäßige offene Kundenbefragungen, um strukturiert zu erfragen, was ihnen wirklich wichtig ist.

 

Falle 4: Alles selbst erledigen wollen

Wer alles selbst erledigen will, kombiniert einseitiges Kostendenken mit falschem Ehrgeiz. Selbst erledigt kostet auch Geld – die interne Kosten sind oft sogar erstaunlich hoch, wenn sie einmal berechnet werden. Zusätzlich schwächt dieser Ansatz das Team bei seinen Kernaufgaben. Beispiel: Wer seine Reporter oder Anzeigenverkäufer „nebenbei“ Hilfsarbeiten (z.B. Artikel und Newsletter bauen, Zeitungen abheften, Spesen abrechnen) erledigen lässt, kürzt ihnen damit die Zeit, in der sie relevanten Geschichten bzw. Kunden auftun könnten. Beste Strategie: Ständig prüfen, was sich an administrativen, technischen und organisatorischen Aufgaben ganz streichen, vereinfachen oder auslagern ließe.

 

Falle 5: Alles regeln zu wollen

Schon von Seiten des Gesetzgebers gibt es seit Jahren nur eine Tendenz: Immer noch mehr Regelungen (rund 500 Bundesgesetze allein seit 2017). Das findet seine Entsprechung in den Medienhäusern mit einer ständig wachsenden internen Bürokratie, die jeden nur denkbaren Fall regeln und verbessern will. All das parallel zum Produktionsprozess, oft eher Hindernis als Hilfe. Beste Strategie: Scharfe Kennziffern (z.B. „Innovation“ gemessen an der Zahl der Patente oder erfolgreichen Launches) – und eine Regel, nach der für eine neue Projektgruppe oder Initiative mindestens zwei bestehende beendet werden müssen.

 

Die Herausforderung bei all diesen Themen liegt darin, dass sie eine Entscheidung erfordern: Sich vom unternehmerischen Perfektionismus zu lösen, der plausibel klingende Begründungen und ehrenvolle Absichten anführt. Oft ist ein regelmäßiger Workshop (z.B. alle sechs Monate ein halber Tag) ein gutes Format, um auf Basis von Nutzer- und Finanzdaten gemeinsam zu entscheiden: Was soll zukünftig nicht mehr erledigt werden, um wieder fokussierter und wirkungsvoller arbeiten zu können? Für das Team insgesamt, aber auch individuell für jeden einzelnen Medienprofi.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Ständig zu viel Stress

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.

 

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