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Christian Jakubetz über Facebook, dem netten "Sklavenhalter" von nebenan

Christian Jakubetz über Facebook, dem netten "Sklavenhalter" von nebenan Christian Jakubetz

Ändert Facebook seinen Algorithmus und werden wir alle am organischen Reichweitenverlust sterben? Die Debatte geht in die falsche Richtung. Viel wichtiger ist die Grundsatzfrage: Haben wir uns nicht viel zu sehr in eine sklavische Abhängigkeit begeben? Von Christian Jakubetz.

München - Zugegeben: Ich habe zu Facebook ein Verhältnis, das mit schizophren freundlich umschrieben ist. Ganz persönlich gibt es für mich fast nichts, was ich an Facebook mag. Ich finde das Layout inakzeptabel, das Netzwerk mit seinem ganzen Verhalten ist aufdringlich, penetrant, nervtötend.

 

Ständig schreit es: Komm her, es gibt wieder etwas wahnsinnig Interessantes zu entdecken (in den meisten Fällen stimmt das nicht mal). Schon klar, das muss aus der Sicht des Netzwerks so sein und so gesehen machen die Kollegen da einen guten Job. Wer zwei Milliarden Menschen sklavisch an sich kettet, der kann nicht so viel verkehrt gemacht haben.

 

Auf der anderen Seite: Man kann sich da so furchtbar schlecht raushalten, weder privat und schon gar nicht als Journalist. Man würde sich einem öffentlichen Diskurs in vielen Fällen schlichtweg entziehen, würde man sich bei Facebook plötzlich unsichtbar machen. Und, schon klar: Natürlich entdecke ich neben vielem Müll immer wieder auch Perlen. Das ist häufig der Mühe wert. Aber es ist zu viel verlangt, dass man das Durchwühlen eines Müllhaufens nach Perlen auch noch angenehm finden soll.

 

Genau das ist die Crux des Netzwerkeffekts. Nicht nur für mich als Einzelperson, sondern selbst für große publizistische Einheiten. Weswegen es bisher als Dogma gilt: Natürlich muss man als Redaktion, als Sender, als Unternehmen bei Facebook vertreten sein. Natürlich fände man es schöner, wenn die Nutzer auf den eigenen Plattformen lesen, schauen, debattieren würden. Tun sie aber mehrheitlich nicht. Eigene, sehr persönliche Beobachtung: Seit es Facebook in dieser Macht und Ausprägung gibt, sind die Kommentare auf meinen eigenen Blogs und Webseiten um fast 80 Prozent geschrumpft. Es wird andere Fälle geben, unbestritten, aber das sind Ausnahmen.

 

Und jetzt das: Facebook hat gerade in mehreren Ländern einen Testlauf gestartet, bei dem die Posts von Seiten (und damit auch von Medien) nicht mehr in der Freunde-Timeline angezeigt werden. Sondern in einem „Entdecker-Feed“. Das ist einer der schönsten Euphemismen, die man sich denken kann. In der Praxis heißt das: unter ferner liefen. Natürlich verweist Facebook darauf, dass seine Nutzer in erster Linie an den Posts von Freunden interessiert sind. Vermutlich stimmt das sogar. Niemand ist Facebook beigetreten, weil er dort Meldungen der „Süddeutschen“ und des „Spiegel“ lesen will. Das war immer nur eine mehr oder weniger nette Dreingabe.

 

Tatsächlich aber dürfte es Facebook um etwas Anderes gehen: Wer künftig besser platziert und wieder organische Reichweite haben will, der muss eben zahlen. Das ist legitim, nichts Anderes macht Google mit AdWords auch. Das Problem ist nur, dass sich etliche Häuser in eine sklavische Abhängigkeit von Facebook begeben haben und die Zahl der Fans zu einem echten Fetisch geworden ist.

 

Wie kommen wir aus der Zwangsjacke Facebook?

 

Überhaupt, gerade wirken viele Redaktion desillusioniert. Die Hoffnungen, mit Facebook einen neuen, kostenlosen und enorm reichweitenstarken Kanal dazuzubekommen, haben sich oft nicht erfüllt. Auch die Idee, gemeinsam Artikel zu verkaufen und damit zusätzlich Geld zu verdienen, läuft zumindest in Deutschland nur mittelgut. Redaktionen, die ihre großen Erfolge mit „Instant Articles“ feiern, sind noch nicht bekannt geworden. Im Gegenteil: Die ersten haben sich schon wieder zurückgezogen.

 

Dazu kommt: Facebook hat ein echtes Image-Problem mit der Glaubwürdigkeit der Inhalte. Die Zahlen schwanken von Studie zu Studie. Aber unbestritten ist: Den meisten Deutschen ist durchaus klar, dass Facebook eben auch ein Hort der Unwahrheiten, der Halbwahrheiten und manchmal der Beleidigungen ist. Egal, ob man Facebook bei dieser Entwicklung Versagen vorwerfen will oder nicht: Mittlerweile ist das keine Umgebung mehr, in dem man sich als seriöses Medium zwingend wohlfühlen muss.

 

Nur: Wie kommt man raus aus dieser Social-Media-Zwangsjacke? Nur ein paar Gedanken dazu, auch auf die Gefahr hin, dass sie als naiv bezeichnet werden.

 

Erstens: Momentan haben wir es mit dem klassischen Henne-Ei-Problem zu tun. Wollen die die Nutzer News bei Facebook lesen oder lesen sie sie, weil sie ohnehin schon da sind? Die Frage lässt sich kaum beantworten. Aber selbst Facebook hat inzwischen den Stellenwert von Seiten deutlich reduziert. O-Ton des Unternehmens: „People tell us they want an easier way to see posts from friends and family. We are testing having one dedicated space for people to keep up with their friends and family, and another separate space, called Explore, with posts from pages.”

 

Zwar betont Facebook, dass es sich vorläufig nur um einen Test handelt und es keine weiteren Pläne gebe, diese Trennung der Timelines auszudehnen oder dauerhaft zu machen. Trotzdem: Wenn es gar keine Pläne in diese Richtung gäbe, müsste man nicht testen. Und zudem zeigt die Aufregung um diesen momentanen Test, wie sehr Medien inzwischen in Abhängigkeit geraten sind. Aber wenn es tatsächlich so wäre, dass es die User sind, die weniger Journalismus und mehr Freundes-Feed haben wollen – müsste man dann nicht konsequenterweise dem Userwunsch entsprechen und wieder sehr viel mehr Angebote außerhalb von Facebook machen?

 

Zweitens: Natürlich reden wir immer von Communities und davon, dass wir die Menschen da abholen müssen, wo sie sich gerade befinden. Aber wie wird dauerhaft der Stellenwert dieser Communities sein, wenn die organische Reichweite möglicherweise deutlich sinkt? Wäre eine eigene Community mit wirklich interessierten Mitgliedern nicht sehr viel mehr wert als eine, die zu einem beträchtlichen Teil aus einem schnell hingeklickten Like besteht? Und: Bleibt den Nutzern nicht zwingend der Eindruck, sie befinden sich jetzt gerade bei Facebook, wenn sie bei Facebook sind? Sind die Begegnungen mit uns Journalisten dort wirklich gewollt oder nicht doch eben nur flüchtig und manchmal eher zufällig?

 

Als Sub-Marke von Facebook funktionieren Medien nicht

 

Drittens: Ist es eigentlich eine sehr sinnvolle Markenstrategie, wenn man sich als eine Art Sub-Marke von Facebook positioniert? Da hilft der Blick zu Amazon: Kein Mensch registriert bewusst, dass er gerade einen Artikel von einem Drittanbieter gekauft hat. Man bestellt hat „bei Amazon“. Wer am Ende ausliefert, ist dem Kunden egal. Diese zugegeben sehr hohe Reichweite lässt sich Amazon erstens sehr teuer bezahlen und zweitens mit der Stärkung der eigenen und der Schwächung anderer Marken zusätzlich entgelten. Bei Amazon bleibt den Drittanbietern wenigstens ein idealerweise gestiegener Umsatz. Bei Facebook? Noch kenne ich kein Medium, das damit signifikant Geld verdient.

 

Was also könnten wir tun?

 

Sich Facebook weiter zunutze machen, schon klar. Einfach auszusteigen, das geht nicht. Wohl aber ist ein Strategiewechsel erlaubt. Hin zu einer Strategie, die sich nicht an Fanzahlen, Likes und Engagement alleine ergötzt. Sondern einer, die am Ende nur einem Ziel dient: die eigenen Inhalte zu stärken.

 

Dazu gehört, dass man sich die eigenen Kanäle mal wieder genau anschaut. Eigene Kanäle sind ja nicht per se gut, weil es die eigenen sind. Wer Publikum wieder weglocken will von Facebook, muss eine ausgezeichnete Alternative bieten. Und da, so viel Selbstkritik muss sein, gibt es bei einer ganzen Menge Häuser noch sehr viel Nachholbedarf. Facebook, Google et al sind ja nicht ganz ohne Grund so erfolgreich geworden. Sondern hauptsächlich deshalb, weil sie ausgezeichnete Produkte mit einem klaren Kundenfokus bieten. Wer das von seinen eigenen Produkten auch behaupten kann: prima! Wer nicht: ran an die Arbeit!

 

Christian Jakubetz


Newsroom.de-Hinweis: Was sagen Sie? Hat Christian Jakubetz recht? Oder liegt er falsch? Ihre Einschätzung senden Sie bitte an chefredaktion@newsroom.de. Der Debattenbeitrag von Christian Jakubetz ist zuerst im Blog des Münchner Medienberaters und Journalisten erschienen.

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