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Was fängt den Leser? Rezepte gegen Schwund

Das von manchen erwartete Ende der gedruckten Zeitung vor Augen sucht die Branche nach dem Königsweg. Eine zentrale Rolle spielt die selbstkritische Analyse des Angebots − und: Optik, Optik, Optik.

Wien (dpa) − „Miss es oder vergiss es“ − das Motto bei der „Schwäbischen Zeitung“ gilt stellvertretend für die Branche. Bei der Suche nach dem Medienkunden der Zukunft werden immer öfter Geschichten, ob lang oder kurz, auf ihre Wirksamkeit beim Empfänger genau durchleuchtet. Die zentrale Frage: Welcher Online-Artikel führt zu einem Abonnement? „Es sind oft multimedial aufbereitete, lange Lesegeschichten, gern auch aus der Wirtschaft, in der Menschen im Mittelpunkt stehen“, sagte der stellvertretende Chefredakteur und Leiter Digitales der Zeitung, Yannick Dillinger, am Montag in Wien. Wenig nützlich im Ringen um Abonnenten seien Unfälle oder Breaking News. Die Zahl der Digital-Abonnenten sei auf 24 000 gestiegen. Ein Schema, das überall funktioniere, gebe es aber nicht, so Dillinger.

Mehrere hundert Journalisten und Medienschaffende diskutierten beim European Publishing Congress in der österreichischen Hauptstadt über notwendige Weichenstellungen angesichts rapide schwindender Auflagen. Publizistische Erfolgsgeschichten wie die des britischen „Economist“ werden dringend gesucht. Das Magazin floriere und habe zig Millionen Follower, sagte Marina Haydn aus dem Management. Einer der wichtigsten Aspekte für den Erfolg sei die optische Attraktivität. „Der „Economist“ ist ein „viewspaper“ und kein „newspaper»“, sagte sie. Eine Hürde beim Abschluss eines Abos sei, dass sich Interessenten vor einer nicht zu bewältigenden Infoflut fürchteten.

Unter den mit dem European Newspaper Award ausgezeichneten Blättern ist die Lokalzeitung „Sunnhordland“ aus Norwegen. Dort machen sechs Journalisten, zwei Fotografen und drei Layouter ein Blatt mit einer Auflage von 6000 Exemplaren. Das Erfolgsrezept ist laut Blattmacher Magne Kyland: „glückliche und motivierte Mitarbeiter“, „viele Freiheiten“ und − auch hier − „starke Optik“.

Skandinavien sei führend bei Fotoreportagen, und die Medien dort leisteten sich entsprechende Spezialisten, sagte Zeitungsdesigner Norbert Küpper. Die besondere Weise, eine Geschichte über eine Grafik zu erzählen, demonstrierte laut Küpper auch die Zeitung „Het Nieuwsblad»“. Dort wurde der Flug des belgischen Königs und seiner großen Wirtschaftsdelegation nach Kanada auf originelle Weise abgehandelt: Auf den auf sechs Seiten abgebildeten Sitzreihen wurden alle Teilnehmer charakterisiert.

Eine Lanze für die Kultur und das Feuilleton brach Michael Angele. Der Chefredakteur der Wochenzeitung „Der Freitag“, ausgezeichnet als „Wochenzeitung des Jahres“, sagte, diese Ressorts sollten Leser intellektuell herausfordern. Grundsätzlich seien Wochenzeitungen mit ihrer gemäßigten Aktualität und Tiefgründigkeit wohl die Form, in der Print am ehesten überlebe.

Die Herausforderung, Redaktionen durch die unsicheren Zeiten zu leiten, gleiche aktuell dem unmöglichen Versuch, „den eigenen Zug beim Fahren zu beobachten“, sagte die Chefredakteurin von „sueddeutsche.de“, Julia Bönisch. Der Wandel sei ohne Beispiel. Die Kunst sei es auszuhalten, dass es keine einfachen Antworten gebe.

Burda-Vorstand Philipp Welte hatte zum Auftakt des Kongresses auf grundsätzlich gefährliche Entwicklungen hingewiesen. Die Pressefreiheit sei auch in Europa in wachsendem Maß bedroht. „Es kann Journalisten heute ihr Leben kosten, wenn sie einfach ihrem Auftrag nachgehen“, sagte Welte. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erinnerte an die Einführung einer Digitalsteuer für Konzerne wie Google, Amazon und Facebook. Die Alpenrepublik will mit einem Teil der Erlöse von insgesamt etwa 200 Millionen Euro Medien in Österreich bei der digitalen Entwicklung unterstützen.

Für den Abend war die Verleihung wichtiger Auszeichnungen geplant. Der Branchendienst „kress“ will Verlegerin Friede Springer mit einem Sonderpreis für ihr Lebenswerk ehren. „Tagesspiegel“-Herausgeber Sebastian Turner wurde in einer Publikumswahl unter „kress“-Lesern zum „Medienmanager des Jahres“ gekürt. „Chefredakteurin des Jahres“ ist Julia Bönisch.

 

Von Matthias Röder, dpa