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dpa

Der missglückte Online-Wahlkampf von CDU und CSU

Spätestens seit Donald Trumps aggressiver US-Wahlkampagne wissen Parteistrategen um die Bedeutung des Online-Wahlkampfs. Doch Lehren daraus zog die Union offensichtlich nicht.

München (dpa) − Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl suchen die gequälten Parteistrategen nach Antworten: Wie konnte das nur möglich sein? Horst Seehofer präsentierte am Wahlabend schon wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale seine Antwort: Die Union habe eine „offene rechte Flanke“ gehabt, analysierte der CSU-Chef. 

 

Ein Blick auf seine eigene Facebook-Seite könnte Seehofer bei der Fehlersuche behilflich sein. Dort findet sich eine Fülle teils aggressiver, teils beleidigender, teils verängstigter Kommentare, großenteils zur Flüchtlingspolitik. Beliebige Beispiele: „Solange ich um meine Tochter Angst haben muss, wenn sie nachts von der Arbeit nach Hause kommt, weiß ich, wen ich zu wählen habe.“ „Herr Seehofer, Ihre Obergrenze glaubt keiner mehr.“ „Ihr habt unser schönes Land schon genug kaputt gemacht.“ Enttäuschte Bürger bekundeten scharenweise, AfD wählen zu wollen. Ähnliches lässt sich auf den Seiten Merkels und vieler anderer Unionspolitiker lesen. 

Die Rechtspopulisten heizten die Panikstimmung bewusst an und beteiligten sich auch an der Flut der Negativkommentare. Das Erstaunliche: Es fehlte weitgehend die Reaktion der Wahlkampfteams von CDU und CSU − keine Erklärung der eigenen Politik, keine Richtigstellungsversuche von Falschbehauptungen, nichts. 

Seehofer präsentierte enttäuschten Wählern im Internet weniger eine offene rechte Flanke als vielmehr einen Leerraum, in dem Rufe ungehört verhallten. Dabei hätte die Union gewarnt sein können: Donald Trump wurde 2016 auch mit Hilfe einer aggressiven Online-Kampagne US-Präsident. 

Doch die Wahlkampfmanager der Union beschränkten sich im Internet weitestgehend darauf, Slogans zu verbreiten. „Wir wollen die Zukunft gestalten: Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“, erklärte das Merkel-Team. „Wir wollen dafür sorgen, dass es mit Deutschland weiter bergauf geht“, hieß es bei Seehofer. 

CSU und CDU überließen der AfD mehr oder minder kampflos das Feld. Und auch in der realen Welt fand von Seiten der Union kaum eine Auseinandersetzung mit der AfD oder enttäuschten Anhängern statt: Schweigen statt Antworten. Die AfD vereinnahmte in Bayern ohne nennenswerte christsoziale Gegenwehr sogar deren Patriarchen Franz Josef Strauß für sich. Erwin Huber, Seehofers alter Widersacher und Vorgänger als Parteichef, hält die Strategie des weitgehenden Ignorierens für einen Fehler: „Aus meiner Sicht eine Unterlassung, die sich bitter gerächt hat.» 

„Soziale Medien sind dazu vorgesehen, den Dialog mit den Bürgern herzustellen“, meint der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger von der Universität Hohenheim. «Damit das funktioniert, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss authentisch sein, und man muss auf die Beiträge der Bürger reagieren, so wie auch die natürliche Kommunikation zwischen Menschen abläuft.» 

Es wäre verwegen, die hohen Verluste der Union ausschließlich auf einen missglückten Online-Wahlkampf zurückzuführen. SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz war im Netz wesentlich engagierter und verlor trotzdem ebenso dramatisch. Doch zielte die AfD vor allem auf die Union, und weder CDU noch CSU unternahmen nennenswerte Versuche, den Scharen der Enttäuschten zu antworten. Das ist auch an der Basis aufgefallen: „Liest die CSU denn nicht, was die Leute in Facebook zu 98 Prozent unter CSU Postings antworten?“, fragte ein Ortsvorsitzender der Christsozialen am Dienstag auf Facebook. «Selbst wenn man davon ausgeht, dass dort nur Unzufriedene schreiben, ist das eklatant.»