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„Spiegel-Online“-Korrespondent Hasnain Kazim: "Erdogan muss Kritik aushalten können"

Seit Donnerstag ist „Spiegel-Online“-Korrespondent Hasnain Kazim zurück in der Türkei. Im Interview nimmt der Journalist Ministerpräsident Recep Tayip Erdogan in die Pflicht: „Unabhängige Berichterstattung zu diffamieren, ist keine Art des Umgangs mit Kritik.“ Von Bülend Ürük.

Istanbul - Hasnain Kazim, Jahrgang 1974, gilt als erfahrener Auslandskorrespondent. Seit dem Sommer 2013 berichtet er aus Istanbul, davor hat er vier Jahre für „Spiegel Online“ und den „Spiegel“ als Südasienkorrespondent mit Sitz im pakistanischen Islamabad berichtet.

Bei seinem Auftritt in Köln hat der türkische Regierungschef Recep Tayip Erdogan auch „Spiegel Online“ und seinen Türkei-Korrespondenten Hasnain Kazim angegriffen.

 


"Spiegel-Online"-Korrespondent Hasnain Kazim ist seit dem vergangenen Donnerstag zurück in Istanbul. Foto: privat

 

 

Kazim war am 24. Mai persönlich vor Ort in der Lanxess-Arena: „Ich wurde in Köln von vielen seiner Fans erkannt und beschimpft“, so Kazim im Gespräch: „Dass er meinen Artikel erwähnt und nicht einmal richtig stellt, dass es ein Zitat eines wütenden Bergarbeiters war, sondern wiederholte, ich hätte ihn beleidigt, damit habe ich nicht gerechnet. Seine Fans haben ihn dafür gefeiert und mich ausgebuht. Kein schönes Gefühl, aber ich kann damit leben“, betont Hasnain Kazim, der gesteht: „Ich bin mir bewusst, dass man angegriffen wird, wenn man die Mächtigen kritisiert. Mit dieser Heftigkeit habe ich allerdings nicht gerechnet.“

In der vergangenen Woche äußerte sich sogar erstmals die deutsche Bundesregierung offiziell zu den Drohungen gegen Hasnain Kazim und nahm den Journalisten in Schutz.

Eine Regierungssprecherin sagte auf Nachfrage von NEWSROOM: „Schärfe und Umfang der Drohungen hatten ein Ausmaß angenommen, das Anlass zur Besorgnis gab“. Untätigkeit, die der Berliner Politik in Kazims Fall vorgeworfen wurde, widersprach die Regierungssprecherin allerdings: „Das Auswärtige Amt hat diese Kampagne gegen den deutschen Korrespondenten gegenüber Gesprächspartnern im türkischen Außenministerium problematisiert, die Sorge über die Gefährdung des Korrespondenten ausgedrückt und damit die Bitte verbunden, alles Notwendige und Mögliche zu unternehmen, um dessen Sicherheit zu gewährleisten. Die türkische Seite hat das deutsche Anliegen entgegengenommen und zugesagt, die Sorge um die Sicherheit des Journalisten ernst zu nehmen."

Im Interview mit NEWSROOM spricht Hasnain Kazim erstmals über Agendasetting, kritische Nachfragen und die Angst vor unabhängigen Berichterstattern. Und er erklärt, wie ein Zitat in einer Überschrift ihn und seine Redaktion dazu bewogen hat, dass er für eine kurze Zeit die Türkei verlässt. 

Herr Kazim, welche Agenda verfolgen die ausländischen Medien in der Türkei? Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie so kritisch über die türkische Regierung berichten sollen?

Hasnain Kazim: Sie verfolgen keine „Agenda“, sondern kommen ihrer Aufgabe nach, unabhängig und kritisch über die Dinge zu berichten, die sich in der Türkei ereignen. Diese ständige Behauptung, Journalisten würden eine Agenda ihrer Heimatländer verfolgen, soll offensichtlich eine kritische Berichterstattung diskreditieren. Genauso die Frage, wer einem eigentlich den Auftrag gegeben habe, „so kritisch“ über die türkische Regierung zu berichten. Es ist die Aufgabe von Journalisten, kritisch zu sein. Oft folgt die Frage, warum man denn nie etwas Positives berichte, das habe ich schon oft gehört, und nicht nur in der Türkei. Das tun wir natürlich auch, aber daran wollen sich die jetzt Kritisierten dann nicht mehr erinnern. Um es ganz deutlich zu sagen: Meine Redaktion und ich berichten aus unserem journalistischen Selbstverständnis heraus kritisch.

Der türkische Ministerpräsident Erdogan sieht das anders. Er sagt, dass ausländische Medien ihn verfolgen, dem Aufstieg des Landes mit aller Macht verhindern wollen.

Hasnain Kazim: Er ist der Premierminister der Türkei, einem einerseits aufstrebenden Land, das andererseits eine Menge Probleme hat, und zwar teils selbst verschuldet, teils aufgrund der weltpolitischen Lage. Wir als Journalisten beobachten und beschreiben Politik und ordnen sie ein. Ein Regierungschef muss sich Kritik stellen, vor allem der seiner Bevölkerung. Es kann nicht sein, dass Medien ihn vor dieser Kritik schützen oder gar als Puffer dienen. Er muss das aushalten können. Wenn er umgekehrt bemängelt, man berichte zu wenig über seine Erfolge, kann er das ja artikulieren. Dann muss er aber auch bereit sein, mit Journalisten zu reden und ihnen Einblicke in die Dinge zu geben, die seiner Meinung nach wichtig sind. Unabhängige Berichterstattung zu diffamieren, ist dagegen keine Art des Umgangs mit Kritik. Im Übrigen freue ich mich über den Aufstieg des Landes, schließlich lebe ich hier. Immer wieder höre ich, Deutschland sei zum Beispiel gegen den neuen Großflughafen in Istanbul. Glauben Sie mir: Ein neuer Flughafen, der die beiden jetzigen, völlig überfüllten entlastet, wäre sehr in meinem Sinne. Das heißt aber nicht, dass man nicht kritisch darüber berichtet, wo und wie ein solcher Flughafen entsteht.

„Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann behauptet, dass die türkische Bevölkerung sich langsam von Erdogan abwendet. Wie ist Ihre Einschätzung?

Hasnain Kazim: Von einem Abwenden der türkischen Bevölkerung von Erdogan würde ich nicht sprechen, im Gegenteil. Er hat die Kommunalwahl Ende März zu einer Abstimmung über sich stilisiert und gewonnen. Ein großer Teil der Bevölkerung steht nach wie vor hinter ihm. Richtig ist, dass in Soma, der Stadt im Westen der Türkei, in der sich Mitte Mai das schwerste Bergwerksunglück in der Geschichte der Türkei ereignete, viele Menschen enttäuscht bis wütend auf Erdogan und seine Regierung sind. Ich treffe auch gelegentlich auf Anhänger seiner Partei AKP, die hinter vorgehaltener Hand Kritik an seinem Regierungsstil und an seiner hitzköpfigen Art äußern. Aber offene Kritik ist tabu, das entspricht nicht der politischen Kultur des Landes. Sie sehen Erdogan als ihren Vater, die AKP als ihre Familie, und da kritisiert man nicht öffentlich. Dann gibt es natürlich die große Gruppe der Erdogan-Gegner, die ihn nach wie vor kritisieren, die Gezi-Bewegung zum Beispiel. Durch das Zerwürfnis zwischen Erdogan und dem islamischen Prediger Fethullah Gül, seinem einstigen Weggefährten, wenden sich auch Gülenisten von Erdogan ab. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass sich nun plötzlich die gesamte Bevölkerung von Erdogan abwendet. Meinungsverschiedenheit, politischer Streit, Debatte sind übrigens etwas Positives, sie führen zu Gedankenaustausch und im Idealfall zu einem Kompromiss, mit dem alle leben können, und zu einer Verbesserung der Lebenssituation. Es ist mir ein Rätsel, warum manche Menschen denken, es wäre nur dann alles gut, wenn alle einer Meinung sind und wenn alle nur dasselbe denken und glauben.

Ihre Redaktion hat Sie vor gut zwei Wochen von Istanbul zurück nach Hamburg geholt. Was war genau passiert?

Hasnain Kazim: Mitte Mai habe ich vom Bergwerksunglück im westtürkischen Soma berichtet. In einem Artikel zitierte ich einen überlebenden Bergwerksarbeiter, der mir erzählte: ‚Ich hätte so etwas bis jetzt nicht geäußert, aber nun möchte ich Erdogan nur sagen: Scher dich zum Teufel!‘. Das Zitat ‚Scher dich zum Teufel, Erdogan!‘ wurde zur Überschrift. Es war keine Einzelmeinung, sondern gab die vorherrschende Stimmung vor Ort nach einer Rede Erdogans wieder, die als wenig mitfühlend empfunden wurde. Mehrere türkische Medien, sowohl regierungsnahe als auch regierungskritische, legten nun mir die Worte des aufgebrachten Arbeiters in den Mund. Sie schrieben, ich würde den Premierminister beleidigen beziehungsweise ihm endlich die Meinung sagen. Die einen benutzten mich also als Feindbild, die anderen machten mich zu ihrem Helden. Inzwischen haben einige davon die Sache richtig gestellt, nämlich dass ich lediglich einen Überlebenden des Bergwerkunglücks zitiert habe. Weil ich aber lauter Drohungen per Twitter, Facebook und E-Mail erhielt und weil sogar Bilder von mir verbreitet wurden, entschieden wir uns, für ein paar Tage nach Deutschland zu reisen und den Sturm vorüberziehen zu lassen.

Seit dem vergangenen Donnerstag sind Sie zurück in Istanbul. Wie war die Reaktion von Journalisten, als sie von Ihrer Rückkehr in die Türkei erfahren haben?

Hasnain Kazim: Die Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, freuen sich, dass ich wieder zurück bin. Manche rechneten mit einem längeren Rückzug, aber dafür gibt es aus meiner Sicht keinen Grund. Ich mag Istanbul in all der Buntheit und Vielfalt.

Am vergangenen Samstag haben Sie den Jahrestag der Gezi-Proteste erlebt. Hat sich die Lage im Land aus Ihrer Sicht geändert?

Hasnain Kazim: Ich sehe, dass es immer noch eine Spaltung in der Gesellschaft gibt, dass viele die Regierung für ihre Art zu regieren kritisieren und dass andere das anders sehen und hinter Erdogan stehen. Und ich sehe, dass der größte Teil der Demonstranten friedlich protestiert, aber mit Gewalt daran gehindert wird, auf die Straßen zu gehen, und dass ein kleiner Teil gewaltbereit ist, Molotowcocktails und Steine wirft, Feuerbarrikaden errichtet und der Sache der Demonstranten damit schadet. Wer diese Gewaltbereiten sind, die es auch im vergangenen Jahr während der Gezi-Proteste gab, weiß ich nicht mit Sicherheit.

 


Jetzt hat es auch CNN-Korrespondent Ivan Watson in die türkischen Gazetten geschafft. Am Samstag war der renommierte US-amerikanische Journalist während einer Live-Übertragung an seiner Arbeit gehindert worden. Schadenfroh berichtet die regierungsnahe Zeitung "Takvim" heute über den Vorfall.

 

Sie hatten die Möglichkeit, nach den Drohungen abzureisen. Diese Möglichkeit haben türkische Kollegen nicht. Wie sehen Sie die Situation der Presse in der Türkei?

Hasnain Kazim: Die Situation ist schwierig. Eine systematische Zensur findet zwar nicht statt, es gibt keine Zensurbehörde wie in anderen Ländern. Aber ich kenne viele türkische Kollegen, die über Drohungen klagen und sich einer Selbstzensur unterwerfen, aus Angst, den Job zu verlieren, wenn sie etwas schreiben, das den Mächtigen missfällt.

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen wie den freien Journalistinnen Ebru Tasdemir und Mely Kiyak, Özlem Gezer (Der Spiegel), Deniz Yücel (taz) oder Özlem Topcu und Yassin Musharbash (Die Zeit) haben Sie in der Vergangenheit bei dem Live-Event Hate Poetry besonders aggressive Leserbriefe zum Vergnügen der Leserschaft vorgetragen. Werden Sie die Hassbriefe aus der Türkei auch in einer Ihren nächsten Lesungen zum Besten geben?

Hasnain Kazim: Mit Sicherheit. Ich habe in den vergangenen Tagen mehr Hassbriefe erhalten als in meinem ganzen Leben zuvor. Das waren nicht nur Schreiber aus der Türkei, sondern auch türkischstämmige Schreiber aus Deutschland. Allerdings muss ich auch sagen, dass die nicht sonderlich kreativ waren mit ihren Beschimpfungen. Immer nur ‚Hurensohn‘ und ‚Ich fick‘ deine Mutter‘, das ist ziemlich einfältig. Aber ein paar Perlen gibt es, die werde ich mir für Hate Poetry aufbewahren.

Die Fragen an Hasnain Kazim, Korrespondent von „Spiegel Online“ in der Türkei, stellte Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.