Pressefreiheit
dpa - Deutsche Presseagentur GmbH

Journalistenmord vor einem Jahr spaltet die Slowakei bis heute

Der brutale Mord an einem slowakischen Journalisten und seiner Verlobten schockte vor einem Jahr die ganze Welt. In der Slowakei selbst führten von dem Ermordeten angestoßene Enthüllungen zum Sturz der Regierung. Die Mordermittlungen laufen immer noch.

Bratislava (dpa) − Es war ein kaltblütiger Auftragsmord, so viel steht aus der Sicht von Polizei und Staatsanwaltschaft fest. Am 21. Februar 2018 wurden der Enthüllungsjournalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova in ihrem Haus im westslowakischen Dorf Velka Maca erschossen.

Kuciak hatte über Verfilzungen von Politik und zweifelhaften Unternehmern geschrieben. Seine erst nach dem Mord veröffentlichte letzte Reportage über die Verbindungen mutmaßlicher italienischer Mafia-Clans zu slowakischen Regierungspolitikern löste Massendemonstrationen aus, die zum Rücktritt der vom sozialdemokratischen Langzeit-Premier Robert Fico geführten Regierung führten.

Doch nicht nur diese Rücktritte von Männern, die sich jahrelang allmächtig wähnten, sei ein wichtiger Erfolg, sagt Arpad Soltesz, Leiter des nach dem Ermordeten benannten und zur Fortführung seiner Arbeit gegründeten „Jan-Kuciak-Investigativzentrums“ (ICJK). Eine bedeutende Veränderung zum Besseren sei, dass Polizei und Justiz auch dank internationaler Aufmerksamkeit unabhängig arbeiten könnten und dadurch in der slowakischen Öffentlichkeit deutlich an Vertrauen gewonnen hätten, sagt der erfahrene Journalist.

 

„Und während wir fast überall sonst in der Welt eine Vertrauenskrise gegenüber den Medien sehen, hat in der Slowakei die Arbeit der Journalisten gerade nach dem Mord an Zustimmung und Vertrauen gewonnen“, ergänzt Soltesz im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Die Medien stehen aber auch unter Kritik: Tag für Tag veröffentlichen Zeitungen und Internetportale unbestätigte Informationen aus den Verhörprotokollen der Verdächtigen des Mordfalls, die eigentlich geheim bleiben sollten, um die weiteren Ermittlungen nicht zu gefährden, wie die Staatsanwaltschaft fordert. Soltesz sagt, dass die Journalistenszene uneins über diese Veröffentlichungen sei. Doch sei dadurch zumindest garantiert, dass Hinweise nicht mehr verloren gehen würden. In der Vergangenheit seien Korruptionsskandale ungesühnt geblieben, weil es keine kontrollierende Öffentlichkeit gegeben habe.

 

Ganz anders sieht das Lubos Blaha, der für die regierenden Sozialdemokraten den europapolitischen Ausschuss des slowakischen Parlaments leitet. Es sei kein Zufall, dass sich Staranwälte wie der ehemalige konservative Justiz- und Innenminister Daniel Lipsic angeboten hätten, die keineswegs finanzkräftigen Familien der Mordopfer zu vertreten. Wer als Anwalt Einsicht in alle Akten und Vernehmungsprotokolle habe, könne die Medien nach eigenem Willen mit selektiven Informationen füttern und dadurch die öffentliche Meinung lenken.

„Im Unterschied zu typischen westlichen Demokratien gibt es bei uns keine linken Medien. Alle Medien gehören wohlhabenden Eigentümern oder ausländischen Konzernen“, beklagt sich der Sozialdemokrat. In dieser Medienlandschaft sei die von der Polizei nur vorübergehend verfolgte Spur zur italienischen Mafia so aufgebauscht worden, dass der Eindruck entstanden sei, die Regierung stehe hinter dem Mord.

 

Inzwischen sitzen wegen des Journalistenmordes drei Männer und eine Frau im Gefängnis: der mutmaßliche Mörder Tomas Sz., sein Fahrer Miroslav M., die direkte Auftraggeberin Alena Zs. und ein weiterer Komplize Zoltan A., der offenbar als einziger geständig ist. An die Medien sickern seit Monaten Gerüchte durch, wonach der Komplize auch den eigentlichen Auftraggeber längst genannt haben solle, nämlich den inzwischen wegen eines vom Mord unabhängigen Betrugsvorwurfs im Gefängnis sitzenden Unternehmer Marian Kocner.

 

Der hatte Kuciak vor dessen Ermordung gedroht. Allerdings nicht mit Gewalt, sondern damit, dass er gegen ihn und seine Familie ebenso viel diskreditierende Informationen sammeln wolle, wie dieser über ihn veröffentliche. Eine Strafanzeige, die Kuciak wegen dieser Drohung erstattete, wurde von der Polizei liegen gelassen. Nach Kocners Verhaftung wurde bekannt, dass er tatsächlich über mehrere Journalisten wie auch Politiker vertrauliche Informationen sammelte und sie bespitzeln ließ, möglicherweise in der Absicht, sie später erpressen zu können.

 

Arpad Soltesz spricht vielen slowakischen Journalisten aus der Seele: „Der Hauptverdächtige ist jetzt natürlich Marian Kocner. Wir würden uns nach all diesen Angriffen von seiner Seite auf uns Journalisten geradezu wünschen, dass er der Auftraggeber war. Aber das ist natürlich eine gefährliche Situation, wo wir besonders aufpassen müssen, dass wir nicht jene Fakten übersehen, die ihn entlasten könnten.»

 

Von Christoph Thanei, dpa