Pressefreiheit
dpa - Deutsche Presseagentur GmbH

Zwei Journalisten in der Türkei frei − Kritik an „Mafia-Sultanat“

Überraschend können in der Türkei zwei Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ das Gefängnis verlassen − nach mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft. Einer von ihnen übt direkt danach erneut Kritik an der türkischen Regierung.

Istanbul (dpa) − Zwei führende Journalisten der regierungskritischen türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ sind nach mehr als 400 Tagen in Untersuchungshaft überraschend freigelassen worden. Chefredakteur Murat Sabuncu und der Investigativjournalist Ahmet Sik konnten nach einem entsprechenden Gerichtsbeschluss in der Nacht zum Samstag das Gefängnis in Silivri bei Istanbul verlassen. Sik übte kurz darauf scharfe Kritik an der Regierung in Ankara. „Ich garantiere, dass dieses Mafia-Sultanat enden wird“, sagte er in einem Video, das „Cumhuriyet“ ins Netz stellte.


Das Gericht verfügte, dass „Cumhuriyet“-Herausgeber Akin Atalay in U-Haft bleiben muss. Er saß am Sonntag 497 Tage in Haft. Sabuncu war genau 495 Tage im Gefängnis gewesen, Sik 434. Den insgesamt 18 Angeklagten in dem „Cumhuriyet“-Prozess wird Unterstützung verschiedener Terrororganisationen vorgeworfen. Das Verfahren wird international als politisch motiviert kritisiert. Es soll am 16. März fortgesetzt werden. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen (ROG) drohen den Angeklagten bis zu 43 Jahre Haft.

 

Das Gericht in Silivri verfügte, dass Sabuncu und Sik das Land nicht verlassen dürfen. Sie müssen sich jeden Sonntag bei der Polizei melden. Sik, Sabuncu, Atalay und 15 andere Angeklagte werden beschuldigt, die Gülen-Bewegung, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK oder die linksextremen DHKP-C unterstützt zu haben. Unter den Angeklagten ist auch der frühere Chefredakteur der Zeitung, Can Dündar. Er lebt mittlerweile im Exil in Deutschland.

 

Dündar war im Mai 2016 wegen Geheimnisverrats zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Hintergrund war ein „Cumhuriyet“-Bericht über angebliche türkische Waffenlieferungen an syrische Rebellen. Der Oberste Gerichtshof in Ankara hatte das Urteil am vergangenen Freitag aufgehoben und verfügt, ein neues Verfahren gegen Dündar müsse um den Straftatbestand der Spionage ausgeweitet werden. Damit droht ihm eine deutliche längere Haftstrafe.

Der türkische Justizminister Abdulhamit Gül sagte am Samstag zu der Entscheidung über die Freilassung Sabuncus und Siks, die Justiz sei unabhängig. Die Gerichtsentscheidungen würden respektiert.

 

Die türkische Regierung macht den im Exil in den USA lebenden muslimischen Prediger Fethullah Gülen − einst Weggefährte des heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan − für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt der EU-Beitrittskandidat Türkei auf Platz 155 von 180 Ländern. Dutzende Journalisten sind im Gefängnis.

 

Sik ist ein prominenter Kritiker der Gülen-Bewegung. Er hatte ein Buch über sie veröffentlicht, in dem er den Aufstieg der islamischen Bewegung in Machtpositionen des Staates, etwa der Justiz, kritisierte. Dafür musste er 2011 ein Jahr ins Gefängnis. Damals waren Erdogan und Gülen noch Verbündete.