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dpa

„Spiegel“ hat 1993 bei Titel zu Bad Kleinen Fehler gemacht

Vor 27 Jahren veröffentlichte der „Spiegel“ eine Titelgeschichte zu einem Polizeieinsatz gegen die RAF. Später bat der Autor dafür um Entschuldigung, dass er einer anonymen Quelle zu einem entscheidenden Detail vertraut hatte. Eine Kommission hat den Fall aufgearbeitet.

Hamburg (dpa) − Mit einer vor rund 27 Jahren erschienenen Titelgeschichte zu einem GSG-9-Einsatz gegen die terroristische Rote Armee Fraktion (RAF) in Bad Kleinen hat der „Spiegel“ aus Sicht einer Aufklärungskommission einen Fehler gemacht. Im Abschlussbericht, den das Nachrichtenmagazin am Donnerstag auf seiner Website veröffentlichte, heißt es: „Nach vielen Gesprächen mit damals Beteiligten − innerhalb und außerhalb der Redaktion − ist die Kommission zu der Überzeugung gelangt, dass der „Spiegel“ mit der Berichterstattung über die Abläufe in Bad Kleinen auf Basis einer mangelhaft geprüften und falschen Aussage einen journalistischen Fehler begangen hat.“ Der Autor der damaligen Titelgeschichte „Der Todesschuss“ (SPIEGEL 27/1993), Hans Leyendecker, bezeichnete den Abschlussbericht als „unredlich und unseriös“.

 

In dem Artikel geht es um den pannenreichen Einsatz der Elite-Polizisten 1993 in der Kleinstadt Bad Kleinen in Mecklenburg-Vorpommern zur Festnahme von zwei RAF-Mitgliedern. Terrorist Wolfgang Grams sowie ein GSG-9-Beamter starben. Grams hatte sich laut einem Gutachten selbst umgebracht. Allerdings gab es Gerüchte, dass das RAF-Mitglied hingerichtet worden sei und auch Medienberichte wie den „Spiegel“-Artikel zu dieser Frage. In die Titelgeschichte floss als Quelle auch ein anonymer Zeuge ein, der laut Artikel gesehen haben wollte, wie ein Polizist Grams erschoss. Im Nachgang kamen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Quelle auf.

 

Die vom „Spiegel“ beauftragte Kommission schreibt, dass es eine Quelle gegeben habe − zumindest eine anonyme. Zugleich wird an anderer Stelle im Bericht kritisiert: „Die redaktionellen Kontrollen und die Überprüfung durch die Dokumentation haben versagt; das Justiziariat hat zwar Unstimmigkeiten bemerkt, aber nicht Alarm geschlagen.“ Der Fehler sei nicht nur Leyendecker anzulasten. Ganz zum Schluss des Berichtes heißt es: „Die Verantwortung dafür, eine nicht überprüfte, widersprüchliche Aussage dieser Tragweite zu einer Titelgeschichte zu machen, trug allerdings die Chefredaktion.»

 

Leyendecker, der heute für die „Süddeutsche Zeitung“ arbeitet und zu den profiliertesten Journalisten im investigativen Bereich zählt, teilte der Deutschen Presse-Agentur mit: „Dass der „Spiegel“ den Quellenschutz im Grunde nicht respektiert ist für jemanden, der fast zwanzig Jahre für dieses wichtige Blatt gearbeitet hat, nicht nachzuvollziehen. Die Frage der Kommission, ob ich einen Kontakt zu der damaligen Quelle herstellen könne, war eine Bankrotterklärung der heutigen „Spiegel“-Macher.»

 

Leyendecker betonte auch: „Seit 27 Jahren entschuldige ich mich dafür, dass ich 1993 die Glaubwürdigkeit einer Quelle falsch eingeschätzt habe. Das war mein Fehler. Aber natürlich gab es diese Quelle.“ Dass der „Spiegel“ nun hingehe und der damaligen „Spiegel“-Chefredaktion Fehler in der Sache vorwerfe, sei absurd: „Die damalige Chefredaktion hat alles Notwendige gemacht. Mit dieser Art Berichterstattung schadet der Spiegel der notwendigen Diskussion über Fehler im Journalismus.»

 

Der ganze Vorfall in Bad Kleinen samt den Gerüchten dazu hatte die damalige Bundesregierung und die Sicherheitsbehörden in eine Krise gestürzt. Es gab personelle Konsequenzen. Der damalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl musste seinen Posten räumen. Auch Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) trat ab. Nach „Spiegel“-Angaben meldete sich von Stahl 25 Jahre nach Erscheinen des Artikels − das sei der Ausgangspunkt für die Überprüfung gewesen.

 

Die Aufklärungskommission, die mittlerweile von einer Ombudsstelle abgelöst wurde, hatte auch den Fälschungsskandal um Claas Relotius aufgearbeitet. Den Skandal hatte das Magazin im Dezember 2018 selbst öffentlich gemacht. Der Reporter Relotius hatte in „Spiegel“-Artikeln immer wieder Szenen, Gespräche und Ereignisse erfunden. Die Ombudsstelle ist eine Folge aus dem Skandal gewesen. Sie ist dafür gedacht, um unparteiisch auf Strittiges einzugehen.