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Russische Desinformation: Das Gleichgewicht zwischen Kühlschrank und Fernseher

Russische Desinformation: Das Gleichgewicht zwischen Kühlschrank und Fernseher Viola von Cramon

Viola von Cramon, Abgeordnete des Europäischen Parlaments (Grüne), sprach am Deutschen PR-Tag 2022 über die Lehren aus der russischen Invasion in die Ukraine.

Hannover – Die Keynote von Viola von Cramon im Wortlaut:

 

Desinformation ist nichts Neues; sie wird seit über einem Jahrhundert als aktive Waffe der hybriden Kriegsführung eingesetzt. Diese „Kunst“ der Täuschung wurde von der bolschewistischen Regierung in Sowjetrussland entwickelt und perfektioniert. Die sogenannten aktiven Maßnahmen umfassen Desinformation, Propaganda, Täuschung, Sabotage, Subversion und Spionage und wurden vom sowjetischen Sicherheitsdienst mehrfach erfolgreich u.a. in Revolutionen, Attentaten und Dokumentenfälschungen umgesetzt. Das am häufigsten eingesetzte Instrument der aktiven Maßnahmen, Desinformation, ist aufgrund seiner Reichweite ein äußerst heimtückisches Mittel. Wir leben im Zeitalter der Desinformation. Spionagedienste setzen enorme Ressourcen ein, um Informationen zu hacken und zu fälschen, oft mit dem Ziel, das Fundament liberaler Demokratien zu schwächen: Vertrauen in Fakten. Aus diesem Grund hat die EU begonnen, gegen Desinformation vorzugehen, u.a. durch den „Sonderausschuss für ausländische Einmischung in alle demokratischen Prozesse in der EU, einschließlich Desinformation“ im Europäischen Parlament.

 

Die russische Invasion der Ukraine kam weder unerwartet noch spontan. Die Vorbereitungen dafür erfolgten mindestens seit acht Jahren und waren in erster Linie ideologischer Art. Während sich der Kreml mit Raketen und Panzern eindeckte, investierte er auch Milliarden in die Verbreitung von Desinformation. Russische Propaganda leugnet die Ukraine als Nationalstaat und die Ukrainer als Ethnie. Diese hasserfüllte Ideologie reicht bis in die Zarenzeit zurück. Putin persönlich übernahm diese historische Verachtung und verstärkte sie durch Desinformation. Dazu zählt sein mit Lügen gefüllter Essay „Über die historische Einheit von Russen und Ukrainern“, der mit dem Hinweis endet: „Ich bin zuversichtlich, dass eine echte Souveränität der Ukraine nur in Partnerschaft mit Russland möglich ist.“ Mit dieser de facto Kriegserklärung setzt er Geschichte als Waffe ein.

 

Zudem sprach er von der „Entnazifizierung“ der Ukraine, ein Begriff, der in seinen durch Putins Ideologie geschaffenen Kontext gesetzt noch abscheulicher wird. Aus russischer Sicht sind die Ukraine, aber auch Belarus, Anomalien, die von ethnischen Russen besiedelt wurden, deren Geist vom „bösen Westen“ vernebelt wurde, um Russland zu schaden. Alle, die ihre ursprüngliche ethnische Zugehörigkeit, ihr „Russischsein, leugnen, sind Nazis und müssen beseitigt werden“. Im Falle einer erfolgreichen Besatzung haben die Ukrainer also die Wahl, ihre Identität zu verleugnen oder mit entsprechenden Konsequenzen – die eigene Vernichtung – zu Nazis erklärt zu werden.

 

Die staatliche Nachrichtenagentur, Ria Novosti, veröffentlichte vor Kurzem einen Artikel, der die „Entnazifizierung“ der Ukraine durch ihre Vernichtung propagiert. Im Rahmen der mehrere Generationen andauernden „Umerziehung“ der Ukrainer, soll alles Ukrainische verboten und die Unterstützer einer unabhängigen Ukraine bestraft werden.

 

Westliche Geheimdienste haben vor der langen Liste mit Personen gewarnt, die Russland nach der Übernahme Kyjiws hinrichten wollte. Tausende von Leichensäcken im Gepäck der russischen Truppen deuteten darauf hin. Diese grausame Mentalität der russischen Führung und Millionen ihrer Anhänger ist nicht über Nacht entstanden. Sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Desinformation und sorgfältiger, unmenschlicher Gehirnwäsche der eigenen Bevölkerung, insbesondere der Verwundbarsten: Arme und Ältere. Besonders staatliche Medien spielten dabei eine gegen jegliche Moral verstoßende Rolle.

Da nach Putins Machtübernahme immer mehr Agenturen von seinen Handlangern geführt wurden, kam in den russischen Medien das Wort „Demokratie“ kaum mehr vor. „Demokratie“ wurde zu einem „trojanischen Pferd“ des Westens, dem Russland widerstehen musste. Gemäß diesem Narrativ kann nur Putin Russland vor der Demokratie retten. Wie in anderen autokratischen Regimen gibt es nur eine „Wahrheit“, nämlich die von der Regierung definierte.

 

Vor allem ältere Menschen beziehen ihre Informationen aus den staatlichen Fernsehsendern. Ziel dieser Sender ist nicht nur Lügen zu verbreiten, sondern sie mit so viel unverständlichem Lärm zu überhäufen, dass sie vom Kern der Politik abgeschreckt werden. Die Menschen sollen die Aufgabe, sich mit der Komplexität der Politik zu beschäftigen, allein „ihrer Regierung anvertrauen“. Ein Staat, in dem gefügige Bürger nicht an Entscheidungen beteiligt sind, ist ein Staat, den Autokraten ungestraft beherrschen können, solange sie die Grundbedürfnisse ihrer Bürger befriedigen.

 

In Russland sagt man, dass das richtige Gleichgewicht zwischen Kühlschrank und Fernseher der Schlüssel zu Putins Erfolg ist. Je leerer die Kühlschränke der Russen werden, desto mehr braucht es das Fernsehen, um die Balance zu halten.

 

Vieles, was in russischen Medien verbreitet wird, sind Lügen jenseits unserer Vorstellungskraft. Getötete Kinder rufen starke Gefühle hervor – und so erfinden russische Medien viele davon. Gut recherchierte Beispiele aus der ersten Invasion im Donbas dokumentieren, wie die russische Propaganda Schauspieler einsetzt, um diese Geschichten zu fabrizieren.

 

So unglaublich diese Geschichten auch sind, sie verbreiten sich schnell durch die Vervielfältigung der Kreml-Trolle. Laut Radio Liberty gibt es in den sozialen Medien Tausende von gefälschten Konten, die von russischen Propagandisten unterhalten werden. Diese Trolle erbringen jeweils in 12-Stunden-Schichten ein tägliches Soll von 135 geposteten Kommentaren.

 

Wenn Fakten-Checker die Lügen der russischen Medien widerlegen, ist es oft schon zu spät. Sie sind im Umlauf und all jene, die daran glauben, lesen in der Regel weder trockene Fakt-Checking-Berichte noch ausführliche Artikel vom Guardian oder der FAZ.

 

So schrecklich die Desinformation in Russland auch ist, warum sollten wir uns in der EU überhaupt darum kümmern? Da die liberale Demokratie von Putins Regime als Bedrohung angesehen wird, ist er entschlossen, die EU mit allen Mitteln zu destabilisieren. Auf diese Weise versucht Putin, seinen Bürger zu erzählen, dass Demokratie nicht funktioniert und nur sein Regime stabil ist.

 

Desinformation ist für Putins Regime ein effizientes und kostengünstiges Instrument, das es ihm bislang ermöglicht, ungestraft zu handeln.