Vermischtes
Newsroom – Theresa Steininger

Wie kann man an Projekten wie den Panama oder Pandora Papers mitarbeiten?

Wie kann man an Projekten wie den Panama oder Pandora Papers mitarbeiten? Gerard Ryle

Und wie arbeiten 600 Journalisten parallel an Millionen von Dokumenten? Gerard Ryle, Direktor des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten (ICIJ), gibt Antworten.

Wien – Wie kann man an Projekten wie den Panama oder Pandora Papers mitarbeiten? Wie wird diese Arbeit finanziert? Wer trägt die Verantwortung für das Publizierte? Und wie arbeiten 600 Journalisten parallel an Millionen von Dokumenten? In einem online-Gespräch von fjum und Presseclub Concordia in Wien beantwortete Gerard Ryle, Direktor des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten (ICIJ) mit Sitz in Washington DC., diese und weitere Fragen.

 

Der irische-australische Investigativjournalist ist der Mann hinter den größten journalistischen Kooperationen der Geschichte, er ist seit zehn Jahren beim ICIJ, die er als „global watch dog“ sieht. Vor Gründung des Konsortiums, als er mit der Idee hausieren ging, wurde er in Redaktionen noch für verrückt erklärt, erzählt er. Wer würde schon seine mühsam erstellte Recherche mit anderen teilen?

 

Doch in den vergangenen Jahren sei ein Umdenken passiert, so Ryle: „Nun teilen wir Recherchematerial, das wir früher sogar vor unserem Nachbarn geheim gehalten hätten – und bekommen so eine tiefer reichende, sehr oft globale Story. Es geht um ein neues Verständnis von Journalismus.“ Heute erhalte er unzählige Anfragen von Journalisten, die sich gerne an seinen Projekten beteiligen möchten. Wie er auswählt? „Man kann sich natürlich um Aufnahme bewerben – wir haben mittlerweile ein Komitee, dass dann darüber entscheidet, wer mitarbeiten darf. Gut ist, wenn man von Kollegen, die dabei sind, empfohlen wird – und natürlich, wenn man mit einer spannenden Story kommt“, sagt er.  

 

Aktuell sind rund 600 Journalisten an den Projekten des ICIJ beteiligt. „Es ist herrlich, wenn dir 600 Kollegen bei deiner Recherche helfen“, sagt Ryle schmunzelnd. ICIJ selbst bezahle die auf zahlreiche Länder verteilten Reporter nicht, diese arbeiten weiter bei ihren eigenen Medien, bekommen aber den Zugang zum Recherchematerial durch ICIJ. „Das ist das Gegengeschäft. Die Medien dürfen mit dem Material arbeiten, dafür kooperieren sie mit uns. Wir bringen die Stories zu Partnern in aller Welt, die Journalisten arbeiten weiter für ihre Arbeitgeber, aber auch für uns und unser gemeinsames Ziel. So kann eine kleine Organisation wie wir viel Output erreichen.“ Die eigenen Leute, darunter rund die Hälfte Techniker und Datenjournalisten, finanziere man rein durch Spenden, aus Stiftungen und Lotterien, aber auch kleinen Individualspenden, wie Ryle betont.

 

Verantwortlich für das Publizierte seien die Medien selbst. „Und gerade in manchen Ländern riskieren die Journalisten viel dafür, hier mitzuarbeiten“, so Ryle. Nach „China Leaks“ war es beispielsweise nicht mehr möglich, Kooperationspartner in China zu finden, in Russland müssten Ryle oder Kollegen sechs Jahre ins Gefängnis, würden sie einreisen – zu russischen Themen arbeitet man mittlerweile nur mehr mit Reportern außerhalb des Landes. „Wir könnten generell mit Drohungen, die wir erhalten haben, Wände tapezieren, aber das ist nichts im Vergleich zu den Risken, die unsere Kollegen in manchen Ländern tragen.“

 

Wie aber würde die Arbeit von 600 Reportern nun koordiniert? „Wir haben zwei Plattformen, auf denen wir das Material zur Verfügung stellen“, erzählt Ryle. „Einerseits eine Datenbank, in deren System man Suchbegriffe eingeben kann und auf die die Kollegen in gut gesichertem Modus zugreifen können.  Andererseits eine Art Facebook für Journalisten, wo man jederzeit sieht, wer von den Kollegen online ist, und sich zu Recherchen austauschen kann. Denn ein Dokument oder ein Name war noch nie allein eine Geschichte, man muss immer einen Kontext darum bauen.“

 

Auf diese Plattformen und somit Millionen Dokumente können die beteiligten Journalisten von ihren eigenen Computern aus und von überall in der Welt zugreifen. Außerdem gibt es einen Manager, der die Rechercheergebnisse der Kollegen regelmäßig für alle zusammenfasst. „Die große Gefahr ist ja, im Material zu ertrinken. So ist es herrlich, jeden Tag aufzuwachen und per Klick alle neuen Erkenntnisse der Kollegen lesen zu können. Investigativer Journalismus ist ja ein einsames Geschäft – in unserem virtuellen Newsroom und durch den ständigen Austausch gibt es eine perfekte Art, die Moral hochzuhalten.“ Neben der Erkenntnis, dass Journalisten nur dann zu derart umfassenden Recherchen kommen, wenn sie jederzeit und von überall auf das Material zugreifen können, war ein wichtiges „Learning“ für Ryle, „dass Medienpartner von Anfang an in die Recherche involviert sein müssen, damit sie Vertrauen aufbauen – sonst sagen sie noch: Woher soll ich wissen, ob das stimmt, was du mir hier an Ergebnissen bringst?“, plauderte Ryle aus dem Nähkästchen.

 

Und noch etwas habe er gelernt: Direkte Rivalen wie etwa die „Washington Post“ und die „New York Times“ könnten nicht beide beteiligt sein, sonst wäre die Konkurrenz zu groß. „Es geht hier um großes Vertrauen, immerhin müssen die Beteiligten eineinhalb Jahre oder mehr ein großes Geheimnis bewahren.“ Wie er wisse, wem er trauen könne? „Ich komme aus einer großen Familie, die Älteren lehren die Jüngeren die Regeln – das ist hier dasselbe. Und wer sich nicht an die Regeln hält, wird nicht mehr mitarbeiten.“ Für ihn sei klar: „Das, was wir hier machen, sind die Geschichten, die im heutigen Journalismus unbedingt notwendig sind – das ist es, was uns alle antreibt.“