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Wolfgang Kiesel über junge Tageszeitungsjournalisten: Zwischen Pest und Cholera

Wolfgang Kiesel über junge Tageszeitungsjournalisten: Zwischen Pest und Cholera Wolfgang Kiesel.

Warum sollte man einem Mitarbeiter, der zwei Jahre lang bewiesen hat, dass er mit 800 bis 1.000 Euro netto monatlich auskommen kann, anschließend mehr als 1.300 Euro netto zahlen? Von Wolfgang Kiesel.

Bremen - Unser Autor: Wolfgang Kiesel ist Redakteur (Freiberufler) und Dozent. Der Experte informiert in seinen Seminaren über Sozialversicherungs- und Steuerrecht und über die Rahmenbedingungen journalistischer Arbeit.


Diese zynische Überlegung trifft jedoch auf einen großen Teil der jungen Tageszeitungsjournalisten zu.

 

Der Verlag M. DuMont Schauberg (MDS) befindet sich mit seinem möglichen Ausstieg aus den Pauschalisten-Verträgen für junge Journalisten sehr im Gerede (unlängst hat die „taz“ über den Fall bundesweit berichtet). Ich finde, zu Unrecht. Denn in Wahrheit befindet sich der Verlag in bester Gesellschaft. Und die Höhe der Vergütungen für Master-Absolventen mit drei bis fünf Praktika, mit abgeschlossenem Volontariat (oder einer Journalistenschule oder einem journalistischen Stipendiat) variiert nur wenig.

 

Bisher wurden zwischen Rhein und Weser zumeist zwischen 1.800 und 2.200 Euro Honorar an Jungredakteure gezahlt – Monatspauschalen genannt. Im Vertrag standen immer schön nur 18 Arbeitstage, weil ansonsten die 5/6-Scheinselbstständigkeitsgrenze überschritten wäre. Je nach tatsächlich gearbeiteten Tagen in der Redaktion ergab dies Tagessätze zwischen 80 und 120 Euro. Bei genauer Berechnung der tatsächlichen geleisteten Arbeitszeit wird derzeit in vielen Redaktionen die Mindestlohngrenze unterschritten – würden nur die Arbeitszeiten erfasst.

 

Was bleibt den Journalisten davon übrigen? Es kommt darauf an. Mit Sozialversicherungsbetrug manchmal 1.350 Euro – ohne Sozialversicherungsbetrug oft 1.000 Euro oder weniger! Und was macht den Sozialversicherungsbetrug aus? Die Informationen, mit denen die jungen Journalisten eine angebliche freiberufliche Tätigkeit gegenüber der Künstlersozialkasse darstellen. Die übernimmt bei der (falschen) Anerkennung der Pauschalisten als „Freie“ nämlich 50 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge.

 

Fatale Folgen

 

Die Folgen sind fatal: Diejenigen, die sich erfolgreich als Freiberufler bezeichnen, sind auf niedrigem Niveau komplett über die KSK sozialversichert. Diejenigen, die gegenüber der Sozialversicherung ehrlich waren, können sich bei kompletter Versicherung als Selbstständige ihren Job nicht mehr erlauben (rund 50 Prozent Abzüge) und diejenigen, die ehrlich bleiben möchten aber trotzdem leben wollen, verzichten derzeit fast alle komplett auf die Altersvorsorge – auch die bei der Deutschen Rentenversicherung Bund. Und als (offiziell) Selbstständige sind sie dazu nicht verpflichtet.

 

Und? Regt sich Widerstand? Bisher außer vergeblichen Appellen kaum. Die Künstlersozialkasse fordert die Krankenkassen auf, die Scheinarbeitsverhältnisse in den Tageszeitungsverlagen aufzudecken (sie selbst darf keine Sozialversicherungsprüfungen anordnen). Doch manche Kasse scheut sich vor dem Konflikt mit prominenten Arbeitgebern.

 

Seit 2015 ist in wenigen Fällen der Zoll mit der Suche nach Sozialversicherungsbetrügern in Verlagen aktiv geworden und besonders pikant erscheinen die Unternehmen, die sich selbst bezichtigten – ja sogar Selbstanzeigen geschrieben haben sollen, und anschließend dieselben Pauschalistenverträge mit dem redaktionellen Nachwuchs schlossen.

 

Wolfgang Kiesel