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Arbeitsbedingungen: Welche Zumutung ist die eine zu viel?

Arbeitsbedingungen: Welche Zumutung ist die eine zu viel? Mediencoach Attila Albert

Kein eigener Schreibtisch mehr, kein Festnetztelefon. Mehr Arbeit, dafür beim Gehalt und Titel herabgestuft. Für sich allein sind viele Zumutungen noch erträglich, aber nicht in der Summe. Mediencoach Attila Albert sagt, wie Sie sich davon befreien, jede Verschlechterung hinzunehmen.

Berlin – Wer mit seinem aktuellen Arbeitsverhältnis nicht mehr glücklich ist, tut sich oft schwer damit, den genauen Grund dafür zu benennen. „Eigentlich sind es alles Kleinigkeiten“, denkt sich mancher und hat fast ein schlechtes Gewissen, angesichts der Branchenlage noch mäkelig zu werden. Beim genaueren Nachdenken haben sich Kleinigkeiten addiert: Man sitzt nur noch vor dem Computer, weil immer mehr organisatorische und technische Zusatzarbeiten dazu gekommen sind. Das Gehalt stagniert seit Jahren, real ist es gesunken. Der Chef gibt einem ständig das Gefühl, dass man froh sein könne, überhaupt noch da zu sein.


Fast immer sind es viele kleine Zumutungen, die für sich gesehen akzeptabel waren und gerechtfertigt werden konnten, etwa mit Auflagen- oder Einnahmeverlusten oder stärkerem Wettwerb. Wer will seinen Arbeitgeber nicht unterstützen, wenn die Zeiten schwierig sind? Aber in der Summe, über fünf oder zehn Jahre, ist die eigene Position spürbar erodiert. „Als würde ich auf einer Eisscholle sitzen, die immer kleiner wird”, so beschrieb mir eine Klientin einmal ihr Gefühl. Die eigenen Handlungsspielräume werden fortlaufend kleiner, Veränderungen gehen durchweg zu eigenen Lasten.


Viele kleine Verschlechterungen addieren sich

Nachfolgend zehn häufige Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, die Medienprofis als belastend erleben. Zählen Sie für sich durch: Welche haben Sie bisher betroffen, wo haben Sie mehr oder weniger freiwillig zugestimmt, obwohl Sie das Gegenteil wollten?

 

1. Ihnen wird das Festnetztelefon weggenommen. Sie sollen ein Handy benutzen, obwohl der Empfang im Gebäude schlecht ist. Telefonate sind bald so mühselig und im Großraumbüro auch zu laut, weshalb Sie bald nur noch E-Mails schreiben.

 

2. Ihnen wird der eigene Schreibtisch weggenommen. Sie müssen sich nun jeden Morgen erst irgendwo einen freien „Flex Desk“ suchen, Computer und Telefon aus einem Schließfach holen und aufbauen. Abends alles wieder zurück.

 

3. Lange übliche Sozial- und Extraleistungen werden reduziert oder gestrichen. So sinkt z. B. das Urlaubsgeld um 20 Prozent, und Tantiemen gibt es nur noch für wenige Redakteure. Angeblicher Ausgleich: Gratis Wasser, Kaffee und Obst.

 

4. Der Arbeitgeber reduziert die Zahl der „Flex Desks“: 20 Prozent weniger Plätze, als es Mitarbeiter gibt. Wenn nicht gerade Ferien sind, heißt das: Wer als letzter in die Redaktion kommt, muss in der Kantine sitzen oder zurück nach Hause.

 

5. Die Redaktion soll zukünftig von 6 bis 23 Uhr besetzt sein. Bedeutet: Arbeiten nun im 3-Schicht-System. Oft erst am Vortag geplant, und auf manche Spätschicht folgt eine Frühschicht. Für Pendler heißt das dann: 4 Uhr morgens Aufstehen.

 

6. Die Redaktion möchte, dass Sie nur noch am Computer sitzen. Es wird nicht mehr gern gesehen, wenn Sie für Termine das Haus verlassen. Stattdessen sollen Sie mehr Nebenarbeiten (z. B. Social Media, Newsletter) übernehmen.

 

7. Der Arbeitgeber lehnt bestimmte politische und gesellschaftliche Ansichten ab und möchte andere gefördert sehen. Sie erhalten Sprachregelungen und -verbote für Ihre Beiträge, die Sie – ungeachtet Ihrer eigenen Ansichten – einzuhalten haben.

 

8. Die Anzeigenabteilung verspricht ihren Kunden, dass die Redaktion über sie berichten werde. Das widerspricht den Redaktionsstatuten und war auch nicht abgesprochen. Doch die Geschäftsführung drängt subtil, es trotzdem zu tun.

 

9. Ein externe Berater wird Ihnen als Ihr neuer Teamleiter vorgestellt. Er erwartet eine ausführliche Selbstanalyse von Ihnen, aber auch, dass Sie Berichte über frühere Chefs und aktuelle Kollegen abgeben, wenn Sie bleiben wollen.

 

10. Der Arbeitgeber meint, dass Sie überbezahlt sind. Er kann Ihnen den aktuellen Vertrag rechtlich nicht wegnehmen, drängt Sie aber massiv dazu, „freiwillig“ einen Gehaltsverzicht von 20 Prozent sowie einen niedrigeren Titel zu akzeptieren.

 

Bei einigen Punkten werden Sie gedacht haben: Nicht schlimm, heute eben normal. Wenn Sie jünger sind, kennen Sie es vielleicht gar nicht anders. Der Blick nach oben relativiert das: Ihr Vorstand arbeitet wahrscheinlich nicht im Großraumbüro ohne eigenen Schreibtisch, und die Einkommen dort – sowieso in Millionenhöhe – steigen. Wer ein gewinnorientiertes, gar börsennotiertes Unternehmen für eine Solidargemeinschaft hält, wird feststellen, dass das nur für Teile der Belegschaft gilt, oft sogar nur für einzelne Mitarbeiter. Entscheiden Sie daher selbst, was Sie hinnehmen wollen und wo Sie eine Grenze ziehen.

 

Das Gefühl, fremdbestimmt zu sein

Für die meisten Medienprofis sind die praktischen Konsequenzen oft gar nicht entscheidend, was Arbeitgeber natürlich ausnutzen. So ist ein „Flex Desk“ für sich allein vielleicht nur eine hinnehmbare Unannehmlichkeit, die täglich 20 Minuten Arbeitszeit kostet und ein wenig zusätzlich stresst (fehlendes eigenes Territorium, tägliche Platzsuche, getrennt von Kollegen sitzen). Auch eine finanzielle Herabstufung können viele verkraften. Was belastet und die eigene Würde verletzt, ist das Gefühl, fremdbestimmt und ausgeliefert zu sein – mit der Sorge, dass diese empfundene schrittweise Abwertung immer weitergehen wird.

 

Sie befreien sich davon, indem Sie daran arbeiten, unabhängiger zu werden – ganz praktisch und auch innerlich. Das nimmt Ihnen die Angst vor Konsequenzen, wenn Sie für sich einstehen. Vage Befürchtungen wie: Was geschieht, wenn ich es mir durch Widerworte oder gar aktive Ablehnung z. B. einer Vertragsänderung verscherze? Werde ich aus der Firma gedrängt, finde ich etwas Vergleichbares, ruiniere ich mir den Ruf in der Branche? Fast immer sind diese Sorgen stark übertrieben und verleiten nur dazu, jede Zumutung hinzunehmen. (Mehr zum Umgang damit in meinem Buch „Ich mach da nicht mehr mit“).

 

Planen Sie Ihre Zukunft selbst

Je aktiver Sie Ihre Zukunft selbst planen und angehen, desto weniger Macht haben andere über Sie. Listen Sie dafür zuerst einmal konkret auf, was Sie an Ihrem aktuellen Arbeitsverhältnis schätzen und was Sie stört. Vermerken Sie auch, seit wann Sie nicht mehr zufrieden sind – „im Moment“ oder eigentlich schon seit Jahren? Zählen Sie danach nicht einfach Vor- und Nachteile durch und vergleichen, wo Sie mehr aufgelistet haben. Diese Methode (ohne Gewichtung der einzelnen Punkte) führt fast immer dazu, dass Sie „erst einmal weiter durchhalten“ wollen, weil sich das zumindest sicherer anfühlt.

 

Denken Sie besser perspektivisch: Wie soll Ihr beruflicher Alltag aussehen – womit wollen Sie sich beschäftigen, wie arbeiten, welches Umfeld wäre Ihnen wichtig? Definieren Sie dabei auch, was für Sie nicht (mehr) verhandelbar ist. Je klarer Sie sich über all das sind, desto gezielter und erfolgreicher werden Sie nach Alternativen suchen und bei passenden Gelegenheiten mutiger zugreifen. Unüberlegte Aktionen, etwa eine Kündigung aus Wut oder die Flucht in die Krankschreibung, sind unnötig. Wechseln Sie lieber überlegt und geplant in ein Umfeld, das besser zu Ihren Wünschen und Werten passt.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Braucht jeder Medienprofi eine eigene Website?

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.

 

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