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Endlich etabliert, aber unzufrieden: Warum Medienprofis mit Ende 30 einen Wechsel wagen

Endlich etabliert, aber unzufrieden: Warum Medienprofis mit Ende 30 einen Wechsel wagen Attila Albert

Lange zu wenig verdient, mit schwierigen Arbeitsbedingungen arrangiert, Sparrunden und Umstrukturierungen überstanden: Wer mit Ende 30 endlich seinen Platz in der Branche gefunden hat, könnte aufatmen. Doch viele wagen gerade dann den Wechsel. Mediencoach Attila Albert sagt, warum.

Berlin – Ende 30 ist für viele Medienprofis heute erst das Alter, in dem sie die Herausforderungen der Anfangsjahre überstanden und ihre Routine gefunden haben, eventuell sogar eine Heimat in einem Unternehmen. Es wäre der Zeitpunkt, durchzuatmen, sich ein wenig dem Ablauf des Gewohnten zu überlassen, dann die nächste Karrierestufe anzugehen. Doch viele, die sich nach großen Anstrengungen endlich etablieren konnten, überlegen einen anderen Weg: Ihren Beruf noch einmal neu zu definieren, vielleicht sogar ganz zu wechseln.


Ihr Karriereweg, geprägt von den Branchenumbrüchen der vergangenen beiden Jahrzehnte, unterscheidet sich deutlich von dem ihrer älteren Kollegen. Sie haben meist lange zu wenig verdient, sich mit schwierigen Arbeitsbedingungen arrangiert. Oft mehrere Sparrunden und Umstrukturierungen überstanden, manchmal auch schon den Job verloren. So blicken sie skeptischer und desillusionierter auf die Branche und ihre Arbeitgeber. Vielfach mit der grundsätzlichen Frage: Bleiben oder trotz des Erreichten etwas Neues wagen?

 

Schon viele Enttäuschungen hinter sich

Wer heute Ende 30 ist, hat – anders als vorherige Journalisten-Generationen – schon viele Enttäuschungen hinter sich. Das Volontariat wurde, wie man eventuell feststellen musste, zur „Journalistenschule“ umdeklariert, um kein Tarifgehalt mehr zahlen zu müssen. Sonst wären es bei Tageszeitungen aktuell 2.159 Euro monatlich im 1. Ausbildungsjahr, 2.472 Euro im zweiten. Danach relativierte sich die versprochene „hohe Übernahmequote“, wenn sich herausstellte, dass damit vor allem Sechs- oder Zwölf-Monats-Verträge gemeint waren.

 

Einige Medienhäuser haben kreative Stellenbezeichnungen vom „Senior-Praktikanten“ bis zum „Junior-Redakteur“ eingeführt, um die Übernahme junger Mitarbeiter in regulär bezahlte Redakteursstellen möglichst lange hinauszuzögern. Selbst echte Führungspositionen mit Personalverantwortung sind davon betroffen. Der „Senior-Redakteur“ verdient dann zwar nicht schlecht (z. B. 55.000 bis 65.000 Euro pro Jahr), aber für seine faktische Tätigkeit als Team- oder Ressortleiter zu wenig – und auch deutlich weniger als seine Vorgänger.

 

Problematische Arbeitsbedingungen akzeptiert

Zusätzlich haben die Medienprofis, die heute Ende 30 sind, Arbeitsbedingungen hingenommen, die für ihre Vorgänger inakzeptabel gewesen wären. Das Schichtsystem im Newsroom, das manchen Pendler dazu zwingt, um 4.30 Uhr morgens aufzustehen. Der fehlende eigene Arbeitsplatz, stattdessen ein anonymer, umständlicher „Flex Desk“. Eine Arbeitsorganisation, die wegen ihrer vielen Zusatzaufgaben echtes journalistisches Arbeiten – die Redaktion verlassen, vor Ort recherchieren, mit Menschen sprechen – sabotiert.

 

Erstaunlich häufig ist inzwischen auch das Unwohlsein mit dem aktivistisch geprägten Journalismus, wie er in den vergangenen Jahren in Mode kam. Selbst in Redaktionen, die als politisch bzw. ideologisch monolithisch gelten, spricht mancher im Vertrauen seinen Widerwillen dagegen aus, fühlt sich gegängelt und eingeschränkt. Ein Politikredakteur sagte mir kürzlich: „Am meisten schockiert mich, dass bei gar nicht mehr diskutiert wird. Alle scheinen dasselbe zu denken – oder tun zumindest lieber so.“

 

Mit dieser nicht einfachen Situation kann man sich pragmatisch arrangieren, was auch seine Vorteile hat, oder beschließen, noch einmal einen anderen Weg einzuschlagen. Praktische Einschränkungen gibt es immer. Wer heute Ende 30 ist, hat – weil Berufseinstieg, eventuelle Heirat und Familiengründung später erfolgen – nicht selten noch kleine Kinder, manchmal auch einen Partner, der noch (oder schon wieder) in einer Aus- oder Weiterbildung steckt. Andererseits stellt sich die Frage, ob man einige Jahre später, dann schon Anfang bis Mitte 40, mutiger und entschlossener wäre und mehr Chancen anderswo hätte.

 

Exit-Ideen auf Ernsthaftigkeit prüfen

Ein erster Schritt ist es, die Gründe für den möglichen Wechselwunsch zu präzisieren. Flüchten Sie sich nicht in Resignation, ständige Krankschreibungen oder eine unüberlegte Kündigung. Sondern klären Sie für sich genau: Was stört Sie, was fehlt Ihnen, und was möchten Sie weiterführen? Das gilt für allgemeine Werte (z. B. Selbstbestimmung, Respekt, Professionalität), Tätigkeiten (z. B. Recherchieren, Schreiben, Konzeptarbeit) und Arbeitsumstände (z. B., wie viele Tage pro Woche Sie von daheim aus arbeiten wollen).

 

Als nächstes geht es darum, sich trotz der immer vorhandenen Grenzen einen attraktiven, motivierenden Zukunftsplan zu erstellen und danach schrittweise umzusetzen. Häufig haben Medienprofis, die sich verändern wollen, schon eine Idee. Aber es muss, etwa in einem Coaching, geklärt werden, ob sie eher eine gedankliche Spielerei oder ein ernstes Vorhaben ist. Beispiel: Als bisheriger Journalist eine Bäckerei, eine Schreinerei, eine private Kita oder ein Hotel eröffnen. Das haben Medienprofis alles schon erfolgreich getan. Aber typischer wäre ein Wechsel innerhalb der Branche, in die PR oder Kommunikation.

 

Alte Verletzungen verarbeiten

Manchmal stellen Medienprofis für sich selbst überraschend fest, dass sie für dieses pragmatische Vorgehen emotional nicht bereit sind. Sachlich gar nicht mehr gerechtfertigte Existenz- und Entscheidungsängste, aber auch negative Erinnerungen und Gefühle (z. B. Verbitterung, Enttäuschung) belasten und blockieren sie. Lange unsichere Verhältnisse, viele Zurückweisungen und Desillusionierung über die berufliche Realität hallen für sie nach. In diesem Fall lohnt die professionelle Begleitung, um sie zu verarbeiten und abzuschließen. Sie sollten nicht noch weitere Lebensjahre negativ beeinflussen.

 

Für eine Umorientierung bringen die heutigen Enddreißiger in der Medienbranche eigene Stärken mit. Persönliche und praktische Beweglichkeit, zu der sie schon immer gezwungen waren. Unternehmerisches Denken (z. B. eine Idee für eine nebenberufliche oder vollständige Selbstständigkeit), weil sie sich nie auf dauerhafte Arbeitsstellen verlassen konnten. Flexibilität bei der Arbeitgeber- und Ortswahl, weil die immer notwendig war. Ein Wechsel in diesem Alter ist für sie damit keine Kurskorrektur, sondern ein Nachjustieren: Mehr in die Richtung, die zu den eigenen Überzeugungen und Wünschen passt.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Keine Idee für die eigene Zukunft

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.