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Ich halt‘s hier nicht mehr aus! Wenn Medienprofis die Unternehmenskultur nicht (mehr) passt

Ich halt‘s hier nicht mehr aus! Wenn Medienprofis die Unternehmenskultur nicht (mehr) passt Attila Albert

Ungerecht behandelt, frustriert über Führungsstil und Aufgaben: Wer sich bei seinem Arbeitgeber ständig wie „im falschen Film“ fühlt, sollte das ernst nehmen und mittelfristig wechseln. Mediencoach Attila Albert sagt, warum es wichtig ist, eigenen Überzeugungen und Werten zu folgen.

Berlin – Eine Spezialistin für digitalen Content hatte bei einem Medienhaus angefangen, das weithin als dynamisch und zukunftsorientiert gilt. Bald war sie entsetzt über den Zustand der IT, Software und Ablagen, um die sich mangels Zeit und wegen der hohen Fluktuation kaum jemand kümmerte. Für ihr Projekt bekam sie ständig wechselnde Anforderungen, aber keine ausreichenden Mittel. Als sie das bei der Bereichsleiterin ansprechen wollte, rieten ihre Kollegen ängstlich ab. Sie tat es dennoch und hörte daraufhin, sie sei „anmaßend“. Budget gab es dagegen für das Hobby-Projekt einer Kollegin, zufällig Frau des Chefredakteurs.

 

Wer sich bei seinem Arbeitgeber unwohl fühlt, schreibt das lange Einzelpersonen zu. Der Vorstandsvorsitzende hält große Reden über den Gemeinschaftssinn in der Krise, kassiert selbst einen Millionenbonus und streicht die Weihnachtsfeiern für die Abteilungen, weil man ja sparen müsse. Die Chefredakteurin redet von einer offenen Fehlerkultur, meint damit aber ausschließlich Kritik nach unten, wie man feststellen muss. Der Ressortleiter schreibt aus Prinzip jeden Artikel völlig um, und der Redakteur entdeckt erst nach dem Erscheinen, welche peinlichen Fehler dadurch wieder in seinen Text geraten sind.

 

Wer sich längere Zeit über derartige Erlebnisse geärgert hat, kommt – hoffentlich nicht erst nach Jahren voller Frust – zur Einsicht: „Das ist also normal hier.“ Man hat die Realität der Selbstdarstellung (erklärte Mission, Vision, Werte) erkannt und kann sich nun entscheiden, ob sie zu einem passt – oder man zumindest damit leben könnte. Etwas beschönigende PR-Lyrik ist immer dabei. Aber wer feststellt, dass er sich bei seinem Arbeitgeber ständig wie „im falschen Film“ fühlt, sollte seinem eigenen Lebensglück zuliebe wechseln. Nicht länger als ein, zwei Jahre leiden, sondern sich Alternativen suchen.

 

Schwieriges Verhalten als Ausnahme oder Regel

Selbst hochgelobte, vielfach ausgezeichnete Arbeitgeber haben ihre problematischen Führungskräfte und Mitarbeiter. Der Unterschied besteht darin, ob sie die Ausnahme oder die Regel sind – und wie sich die Unternehmensleitung zu ihnen stellt. Lässt man sie gewähren oder ermuntert sie faktisch sogar dazu, etwa durch gesetzte Anreize (z. B. Prämien für Führungskräfte, die überzogene Ziele ohne Rücksicht auf Fluktuation, Krankenstand oder Zustand der Infrastruktur erreichen)? Oder wird problematisches Verhalten benannt, werden Ursachen analysiert und möglichst gemeinsam beseitigt?

 

Es ist verständlich, darauf zu beharren, dass man doch nur seinen Job machen wolle (z. B. als Redakteur einfach nur Recherchieren und Schreiben), aber auch ein wenig kindlich. Die Anforderungen und Umstände sind immer Teil davon. Vergleichen Sie besser Anspruch und Wirklichkeit. Erfolgen Beurteilungen und Entscheidungen (z. B. zu Budgets, Stellen, Beförderungen, Prämien) „datengetrieben“ oder doch nach zweifelhaften, subjektiven Kriterien? Sind Gespräche „wertschätzend“ oder kalt, nur durch Floskeln kaschiert? Arbeiten Sie „selbstbestimmt“ oder wird nur Ihr Engagement ausgenutzt, ohne dass Sie viel entscheiden dürften?

 

Bei diesen Überlegungen geht es am Ende um ganz individuelle Überzeugungen und Werte. Bevorzugen Sie autoritäre oder partizipative Führung? Ersteres ist schnell und klar, Ihre Meinung spielt dafür kaum eine Rolle. Zweiteres bindet jeden ein, kann dafür quälend langsam und unentschieden sein. Ist es Ihnen lieber, dass alles offen ausgesprochen oder lieber nur angedeutet wird? Ersteres schafft Klarheit, kann aber auch verletzen. Zweiteres schont Sie anfangs, erfordert dafür aufmerksames Zuhören, wenn Sie nicht völlig daneben liegen wollen. Arbeiten Sie lieber im Team oder allein? Beides hat seine Anhänger.

 

Entscheiden, was Ihnen wichtig ist

Es geht dabei also um Ihre persönlichen Maßstäbe und Prioritäten – was für Sie zwingend ist und womit Sie sich arrangieren können. Beispiel: Sie haben bei einer einst renommierten journalistischen Marke angefangen, sind nun aber vor allem damit beschäftigt, Artikel von anderen Webseiten oder britischen Tabloids abzuschreiben oder auf Basis eines eingebetteten Instagram-Fotos zu verfassen. Sie wollen wieder selbst Interviews führen, vor Ort recherchieren, Reportagen schreiben und sind dafür bereit, den Job oder sogar in die Selbstständigkeit zu wechseln. Ihrer Kollegin wäre es das eventuell nicht wert.

 

Wer mit der erkannten Unternehmenskultur fremdet, erlebt oft, dass er damit recht allein dasteht. Zwar mögen auch alle anderen über die Firma, den Chef und die Aufgaben schimpfen. Eventuell sind diese Kollegen aber in zehn Jahren trotzdem immer noch da. Für sie ist das Schimpfen, Klagen und Kritisieren reine emotionale Entlastung. Kein Grund, sich wirklich zu bewegen: Eine passendere Arbeitsumgebung und -stelle zu finden, was immer auch Unbequemlichkeiten und Risiken beinhaltet. Das sollte Sie nicht entmutigen oder ängstigen. Aber auch nicht dazu verleiten, erst die anderen überzeugen zu wollen, es Ihnen gleichzutun, um Verantwortung abzugeben. Treffen Sie Ihre eigenen Entscheidungen.

 

Führungskräfte sind Teil der Dynamik

Wenig bringt Ihnen persönlich das Beschuldigen oder Melden von Führungskräften, auch wenn das manchmal unvermeidbar ist. Selbstverständlich sollten Sie straf- oder dienstrechtlich relevante Verfehlungen berichten (übergeordneter Vorgesetzter, Betriebsrat, HR). Aber die Erfahrung zeigt, dass das generelle Probleme auf absehbare Zeit nicht beseitigt und Ihnen möglicherweise schadet. Fühlen Sie sich insgesamt unwohl (z. B. auch im Team, wegen der Räumlichkeiten der Redaktion), geht es um weit mehr als die Verfehlungen von Einzelnen. Zumal auch kein Chef ganz frei entscheidet und agiert.

 

Ein solides Einkommen, eine gewisse Sicherheit und interessante Aufgaben wünscht sich selbstverständlich jeder. Gleichzeitig ist es wichtig, seine Überzeugungen und Werte ernst zu nehmen. Damit Sie Ihre Würde behalten, Ihrer körperlichen, seelischen und geistigen Gesundheit zuliebe, aus Respekt vor Ihren verbleibenden Lebensjahren, wenn Sie nicht mehr ganz jung sind. Sie können in ganz unterschiedlichem Unternehmen – Konzern, Mittelständler, Startup, Einzelfirma – arbeiten und Geld verdienen, verschiedene Positionen ausfüllen und Aufgaben erledigen. Sie müssen nie alles hinnehmen.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Mehr Umsatz als Selbstständiger

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.