Jobs
Newsroom

Mitarbeiter entlassen, Kosten senken: Wie junge Journalistinnen und Journalisten mit Werte-Konflikten umgehen

Mitarbeiter entlassen, Kosten senken: Wie junge Journalistinnen und Journalisten mit Werte-Konflikten umgehen Attila Albert

Mit viel Idealismus in die erste Führungsposition, doch plötzlich sind auch unangenehme Entscheidungen zu treffen: Kollegen zu entlassen, Budgets zu kürzen, Projekte zu beenden. Mediencoach Attila Albert über den Spagat zwischen eigenen Werten und betrieblichen Notwendigkeiten.

Berlin – Der jungen Ressortleiterin einer Newsseite war soziale Haltung sehr wichtig. Regelmäßig beauftragte sie kritische Beiträge über Behörden oder Unternehmen. Privat engagierte sie sich in einem Hilfsverein. Gleichzeitig war sie in einem Dilemma: Zwei ihrer Redakteurinnen – Ende 50 und mit gut dotierten Altverträgen – brachten seit langem nicht mehr die nötige Leistung, meldeten sich auch schon mehrmals monatelang krank. Um das restliche Team und sich selbst zu entlasten, müsste sie beide entlassen. Mit dem frei werdenden Budget könnte sie sogar drei Stellen schaffen, eine mehr als bisher, weil neue Kollegen kein Tarifgehalt mehr erhielten. Doch all das widersprach ihren Grundsätzen. Was tun?

 

Wer vom Mitarbeiter zum Vorgesetzten aufsteigt, wechselt sozusagen von der Opposition in die Regierung. Konnte man vorher risikolos behaupten, es sicher viel besser als der Chef zu können, muss man nun selbst entscheiden – und liefern. Das kann sehr ernüchternd sein. Idealistische, oftmals auch lebensfremde Ansprüche und Ideen treffen nun auf die Möglichkeiten und Zielkonflikte der Realität. Man muss plötzlich selbst tun, was man vorher bei anderen abgelehnt hat (z. B. jemanden entlassen, Budgets kürzen, Projekte beenden). Gleichzeitig liegt Chancen darin: Sie reifen als Persönlichkeit, legen also eher kindliche Denkmuster ab, und können ausprobieren, was vielleicht wirklich besser ginge.

 

Frühere Ansichten überdenken

Als Chef entscheiden Sie nie über etwas, zu dem Sie sämtliche Informationen haben. Sie können also niemals Chancen und Risiken zweifelsfrei abwägen, und sind doch für das Ergebnis verantwortlich. Praktisch immer müssen Sie Wünsche abschlagen oder verursachen sogar echte Enttäuschungen und Belastungen. Typische Situation z. B. aktuell in vielen Medienhäusern: Die Kosten sind drastisch gestiegen (u.a. für Druckpapier, Logistik, Strom, höherer Zusteller-Mindestlohn), die Einnahmen dagegen konstant oder sogar rückläufig. Als Führungskraft müssen Sie damit irgendwo streichen - und was Sie auch tun, wird jemandem wehtun und von den Betroffenen oft nicht verstanden werden.

 

Für Mitarbeiter ist es leicht und menschlich verständlich, das einem Vorgesetzten persönlich oder Allgemeinheiten (z. B. "den Reichen", "dem System") anzulasten. Sind Sie selbst in der Führungsposition, haben Sie diesen Luxus nicht mehr. Sie müssen nun weitere Faktoren bedenken, differenzierter urteilen. Beispiel: Ein Stellenabbau ist immer schmerzhaft, aber eventuell notwendig für den Erhalt des Unternehmens. Auch Eigentümer haben berechtigte Interessen, müssen ihre Investitionen sichern und ein Einkommen erzielen, das ihren Risiken angemessen ist. Das kollidiert häufig mit radikalen eigenen Ansichten noch aus der Schul- und Studienzeit, die man überdenken und eventuell korrigieren muss.

 

Diese Anpassung der eigenen Ansprüche an die Realität kann schmerzhaft sein. Umso mehr, wenn Ihnen andere (z. B. Freunde, Partner, frühere Kommilitonen) subtil oder offen vorwerfen, nun Ihre "Ideale verraten" oder "sich verkauft" zu haben. Das kann schon bei der Auswahl eines journalistischen Arbeitgebers der Fall sein. Umso mehr bei einem Wechsel in die PR. Würden Sie z. B. die Content- oder Presseleitung für einen Energieversorger, Chemiekonzern, Lebensmitteldiscounter, eine Fastfoodkette, gar ein Rüstungsunternehmen übernehmen? Bei der konkreten Überlegung werden Ihnen Ihre persönlichen Werte klarer, emanzipieren Sie sich von Ihrem früheren Selbst wie den Meinungen anderer.

 

Echte Verantwortung übernehmen

Peinliche Korrekturen ersparen Sie sich in Ihrer neuen Rolle, wenn Sie vorher mit einer gewissen Demut oder zumindest Zurückhaltung aufgetreten sind. Dann müssen Sie keine überzogenen Ankündigungen zurücknehmen, nicht Unterstützer beschwichtigen, denen Sie einmal groß versprochen haben, dass Sie "alles anders machen" würden. In Wahrheit beginnt erst jetzt die Übernahme echter Verantwortung. Das hat Vor- und Nachteile. Neben der stolzen Freude über den beruflichen Aufstieg und die finanzielle Verbesserung gehören unangenehme Überraschungen dazu (z. B. Entscheidungen vertreten zu müssen, an die Sie selbst nicht glauben), aber auch die ehrliche Anpassung Ihres Selbstbildes.

 

Wer einen gut bezahlten Konzernjob hat, vielleicht bereits eine Eigentumswohnung besitzt und mehrmals pro Jahr verreist, pflegt beispielsweise keinen "alternativen Lebensstil" mehr oder ist "eigentlich gegen den Kapitalismus", auch wenn er sich noch so fühlt - sondern trägt und gestaltet ihn entscheidend mit. Es ist bereits viel gewonnen, wenn Sie sich eine Erinnerung daran bewahren, wie es war, ein einfacher Mitarbeiter zu sein und was Sie sich damals gewünscht hätten. Oft beginnt es mit Kleinigkeiten. Beispiel: Jeder Bewerber erhält eine zügige, respektvolle Antwort. Alle Absagen nach einem Vorstellungsgespräch erfolgen telefonisch für einige erklärende persönliche Worte, nicht per Standardbrief.

 

Eigene Werte nach Wichtigkeit ordnen

Ein wichtiger Schritt ist es, die eigenen Werte der Wichtigkeit nach zu ordnen - also gestaffelte Prioritäten zu setzen. Beispiel: Ihnen ist wichtig, dass mit allen Kollegen sozial und fair umgegangen wird. Aber noch wichtiger ist, dass das Unternehmen bzw. Ihr Team erfolgreich bleiben, damit das überhaupt möglich ist. Müssen Sie sich dafür von jemanden trennen, zeigen sich Ihre Werte im Umgang mit dem Betroffenen, etwa durch ehrliche, respektvolle und empathische Kommunikation und praktische Hilfe (z. B. angemessene finanzielle Ausstiegsregelung, Branchenkontakte, Empfehlungsschreiben). Nicht darin, die notwendigen schwierigen Entscheidungen zu verschleppen, um niemanden wehzutun.

 

Eine Folgerung aus diesen Überlegungen kann sein, dann lieber doch keine Führungsrolle anzustreben bzw. weiter auszuüben. Oder aber sehr stark einzugrenzen, innerhalb welcher Rahmenbedingungen (z. B. Firmenkultur, Zustand der Organisation) Sie solch eine Aufgabe übernehmen würden. Auch hier gilt: Wer Ideale sucht, wird nie fündig werden. Selbst die namhaftesten Arbeitgeber haben, von innen betrachtet, ihre Probleme und Schwächen. Wer echte Verantwortung übernimmt, der überlegt, mahnt und warnt nicht nur, sondern sucht und findet umsetzbare Lösungen. Diese sind nie perfekt und anfangs oft unpopulär, aber das Beste, was möglich war. Echte Führungskräfte sind diejenigen, die es trotzdem tun.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: 10 Praxistipps, wenn's mit dem Chefredakteur kracht

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.

 

Top Meldungen aus Jobs