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Überlastete Journalistinnen und Journalisten: Hilfe, alle wollen was von mir!

Überlastete Journalistinnen und Journalisten: Hilfe, alle wollen was von mir! Mediencoach Attila Albert

Immer mehr Kanäle, damit ein fortlaufend steigender Bedarf an Inhalten, aber immer weniger Mitarbeiter, um sie zu erstellen. Dieser Trend führt dazu, dass bestimmte Teams und einzelne Medienprofis völlig überlastet sind. Mediencoach Attila Albert sagt, wie Sie sich davon befreien.

Berlin – Als ein Auslandskorrespondent seine Stelle antrat, bekam er seine Aufträge ausschließlich von der Chefredaktion und von seinem Ressortleiter. Doch im Laufe der Zeit entwickelte es sich dahin, dass ihn praktisch alle Print- und Online-Ressorts beauftragten. Bald war er völlig überlastet von all den Anfragen, die aus allen Schichten bei ihm eintrafen und selbst mit Nacht- und Wochenendschichten nicht abzuarbeiten waren. Die Streitigkeiten mit Kollegen, die er vertrösten oder denen er ganz absagen musste, erschöpften ihn zusätzlich. Sein Ressortleiter zog sich auf die Position zurück, dass er sich „selbst organisieren“ müsse.

 

Ähnlich ging es dem Leiter einer Zentralredaktion. Sie war gegründet worden, um mehrere Titel, die vorher unabhängig voneinander gearbeitet hatten, mit identischen Beiträgen zu beliefern und damit Stellen zu sparen. Bald trafen aber auch von anderen Redaktionen im Haus sowie von den Verlags- und Anzeigenabteilungen immer mehr Aufträge ein, die er mit seinen Mitarbeitern ebenso erledigen sollte. Beschwerte er sich bei der Geschäftsführung darüber, hörte er, dass er sich „nicht unkollegial verhalten“ solle. So viel zusätzliche Arbeit sei es ja nicht, und einige „Belastungsspitzen“ müsse sein Team auffangen können.

 

Immer mehr Kanäle, weniger Ressourcen

In fast allen Medienhäusern ist die Situation gleich: Immer mehr Kanäle und damit ein fortlaufend steigender Bedarf an Inhalten, aber immer weniger Mitarbeiter, um sie zu erstellen. Zwar wurden vielerorts Zentralredaktionen (z.B. auch „interne Agenturen“ oder „Kompetenzzentren“ genannt) gegründet. Aber parallel dazu anderswo Stellen gestrichen, so dass in der Summe oft sogar weniger Mitarbeiter als zuvor verfügbar sind. Das Ergebnis: Eine Überlastung dieser Teams oder einzelner Mitarbeiter in exponierten Positionen (z.B. Korrespondenten, auch Layouter und Grafiker).

Wer davon betroffen ist, findet sich typischerweise in der unangenehmen Lage wieder, niemals alle Anfragen erfüllen zu können und ohne klare Aussagen des Vorgesetzten selbst entscheiden zu müssen, wen er nun beliefert und wem er absagt, damit verärgert oder enttäuscht. Eine Art „Fake-Empowerment“: Die Verantwortung ist nach unten delegiert, aber ohne die dafür notwendigen Ressourcen (Mitarbeiter, Budget, Zeit) und Entscheidungskompetenzen. Das zwingt z.B. den Redakteur einer Zentralredaktion, einem Ressortleiter abzusagen, der sich anschließend beim Chefredakteur beschwert.

 

Kollegen-Beauftragungen sind keine „Bitten“

Wie bei allen Verteilungskonflikten lässt sich dieses Problem nicht damit lösen, dass Sie es gutwillig allen recht machen wollen, bis Sie sich vollends erschöpft haben. Behandeln Sie es als das, was es ist: Interne Aufträge, die (bisher) nicht mit Ressourcen unterlegt sind. Nichts, was Sie ewig auffangen und ausgleichen müssen.

  • Lösen Sie sich gedanklich von der Vorstellung, dass Sie mit Ihrer Arbeit die „Bitte“ eines Kollegen erfüllen, also sozusagen eine persönliche Gefälligkeit leisten. Im Einzelfall mag das sein. Aber grundsätzlich handelt es sich um eine interne Beauftragung, die Sie auch als solche behandeln sollten. Jemand will über Ihre Arbeitszeit und -kraft verfügen, um seine eigenen Aufträge zu erledigen.
  • Ärgern Sie sich nicht über Ihre Arbeitskollegen, die selbst oft enorm unter Druck stehen und teilweise auch Projekte übertragen bekommen haben, für die gar keine Ressourcen eingeplant worden sind. Aber Hilfsbereitschaft oder gar Mitleid sind hier die falschen Kategorien, es handelt sich nicht um Freundschaftsdienste.
  • Erfragen Sie von Ihren Vorgesetzten: Wer Sie beauftragen darf (z B. jeder Redakteur oder nur Ressortleiter), in welchem Umfang und wer Priorität hat, wenn sich Aufträge gegenseitig ausschließen. Bei diesem Gespräch werden Sie auch sehen, ob Ihr Vorgesetzter willens und in der Lage ist, das zu entscheiden.
  • Falls Sie bisher – wie in Redaktionen häufig – gewohnt sind, auf Zuruf zu arbeiten: Damit lassen Sie meist denjenigen gewinnen, der als erster bei Ihnen bestellt oder am meisten drängt. Finden Sie möglichst sachliche Kriterien, wem Sie den Vorrang geben. Beispiel: Zuerst das Ressort, zu dem Sie laut Vertrag gehören.
  • Erkennen Sie verräterische Aussagen wie: „Kannst du nicht mal schnell …“ oder „Nur ganz kurz …“ Schon das Anhören und Diskutieren eines ungeplanten Auftrages kostet Sie Arbeitszeit, die Ihnen dann woanders fehlt. Wenn bisher jeder, der ein Telefon oder Outlook hat, bei Ihnen bestellt: Führen Sie einen offiziellen Bestellweg ein, eventuell z.B. auch über ein Briefing-Formular mit allen nötigen Angaben.
  • Die saubere Lösung wäre eine interne Verrechnung: Dass Ihre Arbeitszeit bzw. die Kosten dafür den Kostenstellen, die Sie beauftragen, in Rechnung gestellt werden. Das schließt Anfragen aus, für die es gar kein Budget gibt oder die Kollegen spontan von sich heraus (ohne ausdrücklichen Auftrag ihrer Vorgesetzten) anstoßen.
  • Wenn das bei Ihnen nicht existiert: Führen Sie selbst ein Protokoll, in dem Sie in 15-Minuten-Schritten notieren, für wen Sie an was arbeiten. Notieren Sie immer Ressort, beauftragender Kollege, Thema. Damit bringen Sie eine echte Datenbasis in die Gespräche mit Ihrem Vorgesetzten, nicht nur ein allgemeine Verärgerung.
  • Eine pragmatische Alternative wäre eine zeitliche Budgetierung Ihrer Arbeitszeit, also eine prozentuale Aufteilung. Hier bewähren sich klare Zeitblöcke, also z.B. feste Tage oder Tageszeiten, an denen Sie jeweils für einen bestimmten internen Auftraggeber da sind und keine Aufträge von anderen annehmen und erledigen.
  • Setzen Sie sich eine zeitliche Grenze, wie lange Sie ausbalancieren wollen, falls es die Firmen- oder Geschäftsleitung ablehnt, den von ihr ausgelösten Arbeitsanfall mit den dafür nötigen Ressourcen zu unterlegen. Meine Empfehlung: Maximal neun bis zwölf Monate bis zum Wechsel, wenn Sie sich nicht völlig erschöpfen wollen.

 

Ich erinnere mich an einen erfahrenen älteren Leiter einer Außenredaktion, dessen Team auf drei Planstellen gekürzt worden war. Wenn er in den Urlaub wollte, quälte er sich nicht ewig mit Überlegungen, wer dann die Arbeit erledigen würde oder ob man nicht schon vorarbeiten solle. Sondern schrieb eine offizielle Hausmitteilung an den geschäftsführenden Redakteur: „Ich werde in dieser Zeit im Urlaub sein. Bitte sorgen Sie für eine Vertretung.“ Selbstverständlich wurde jemand gefunden und geschickt, der dann übernahm. So lange Sie nicht Eigentümer oder Vorstand sind, müssen Sie sich als Arbeitnehmer nicht alle deren Verantwortungen anhängen lassen.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne:  Vom Konzern in ein kleines Medienhaus?

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.

 

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