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Newsroom – Marc Bartl

Journalistische Glanztat des Jahres vom „Spiegel“? Reichelt-Anwalt schreibt dem Beirat des „Stern“-Preises

Journalistische Glanztat des Jahres vom „Spiegel“? Reichelt-Anwalt schreibt dem Beirat des „Stern“-Preises

Der Beirat des „Stern“-Preises beobachtet und prüft derzeit, ob die Reichelt-Enthüllung des „Spiegel“ zurecht als „Geschichte des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Reichelt-Anwalt, Ben Irle, hat sich nun direkt an den Beirat gewandt.

Hamburg/Berlin – Ben Irle hat zwei Briefe verfasst, einen an die Ombudsstelle des „Spiegel“ sowie den Beirat des „Stern“-Preises. In letzterem heißt es:

 

„Wie Sie dem Schreiben entnehmen können, besteht nach diesseitiger Auffassung für die Ombudsstelle dringender Handlungsbedarf, die vorbenannte und mit dem „Stern“-Preis ausgezeichnete Berichterstattung hinsichtlich des Bestehens einer sorgfaltsgerechten vorausgegangenen Recherche, insbesondere im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Quelle und die Richtigkeit der von dieser vorgelegten Informationen zu überprüfen.“

 

Zur Erinnerung: Im vergangenen Jahr hatte der Beirat des „Stern“-Preises, ehemals Nannen-Preis, die „Spiegel“-Enthüllung „Warum Julian Reichelt gehen musste“ als „Geschichte des Jahres“ ausgezeichnet. Insgesamt acht Autoren freuten sich über die renommierte Auszeichnung. In die Geschichte waren auch die Recherchen des Ippen-Investigativteams eingeflossen, weil Verleger Dirk Ippen eine Publikation der Vorwürfe gegen den ehemaligen „Bild“-Chef Julian Reichelt abgelehnt hatte.

 

Reichelt hatte damals im Vorfeld einen Brief an das Wettbewerbsteam des „Stern“-Preises geschickt, in dem er schwere Vorwürfe erhob.

 

Kürzlich hat nun der „Stern“ Chat-Verläufe veröffentlicht, die aus Sicht der Autoren ein neues Licht auf die Reichelt-Affäre werfen. Die Chatnachrichten, auf die sich die „Stern“-Autoren Uli Rauss und Johannes Röhrig beziehen, sollen Julian Reichelt und eine Kollegin 2018 ausgetauscht haben. „Sie geben neue Einblicke in die Affäre rund um Sex und Macht an der Spitze des Boulevardblattes. Einige Chats lassen Zweifel an den bisher erhobenen Vorwürfen aufkommen“, teasten Rauss und Röhrig ihre brisante „Stern“ Plus-Story an.

 

Da sagt die „Stern“-Mutter RTL Deutschland dazu: „Der ,Stern‘-Beirat beobachtet und prüft das“. Die Geschichte entwickele sich – man wolle nicht zu vorschnellen Urteilen kommen, hieß es weiter.

 

Reichelt-Anwalt Irle hat sich die Statuten des Wettbewerbs ganz genau angeschaut und schreibt in seinem Brief an den Beirat des „Stern“-Preises weiter:

„Unserer Auffassung nach machen es unsere Feststellungen auch erforderlich, neu zu bewerten, ob die Berichterstattung des ,Spiegel‘ die Wettbewerbsanforderungen des ,Stern‘-Preises, dort in der Kategorie ‚Geschichte des Jahres‘ tatsächlich erfüllt. Denn diese setzen voraus, dass es sich bei dem jeweiligen Stück um die ‚Journalistische Glanztat der vergangenen zwölf Monate‘ handelt, also eine Geschichte, der es nicht nur gelungen ist, ‚das Publikum über alle Grenzen von von Alter und Weltanschauung hinweg in ihren Bann zu ziehen‘, sondern die in der Gesamtschau insbesondere ‚Maßstäbe setzt für die ungebrochene Kraft von großem Journalismus‘. Ohne Zweifel wird damit auch ungeschriebene Wettbewerbsvoraussetzung sein, dass die Berichterstattung im Einklang mit den publizistischen Grundsätzen (Pressekodex) steht, dort insbesondere mit den obersten Geboten der Achtung vor der Wahrheit sowie der wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit ((Ziffern 1,2 Pressekodex).“

 

Hintergrund: „Kress Pro“ hatte bereits im Juli 2022 über Zweifel an der ausgezeichneten Spiegel-Geschichte berichtet, weil bereits damals Chatprotokolle Zweifel an den belastenden Aussagen der „Spiegel“-Quelle geweckt hatten und handwerkliche Schwächen aufgefallen waren.

 

Es gibt in der Vergangenheit einen Präzedenzfall. Im Jahr 2011 hatte die Jury des Nannen-Preises dem „Spiegel“-Redakteur René Pfister den renommierten Reportagepreis aberkannt. Der Journalist hatte in seinem Text über den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer eine Szene im Keller des Ferienhauses des Politikers geschildert, in der eine Spielzeugeisenbahn eine Rolle spielt. Dieses szenische Element war zwar authentisch, Pfister selbst hatte sie aber nicht selbst gesehen, sondern sie war ihm nur geschildert worden.