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Wie Herbert Spies den Mediennachwuchs erlebt: „Schreiben ist Glück"

Warum drängen immer noch so viele junge Menschen in einen Beruf „mit Medien“? Der erfahrene Journalist und Dozent Herbert Spies sagt, dass die Mehrheit der Studienanfänger die Realität in den Redaktionen falsch einschätzt. Von Bülend Ürük.

Gelsenkirchen - „Das Berufsbild gilt als cool, die Verdienstmöglichkeiten erscheinen in diesem Alter noch zweitrangig. Prominente kennen lernen, reisen, Skandale aufdecken, das sind einige der Hauptbeweggründe, die immer wieder genannt werden“, sagt Herbert Spies, der als Dozent an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen lehrt.

Dort werden - einzigartig in ganz Deutschland - Journalismus und Public Relations in einem Bachelor-Studiengang angeboten. „In Gelsenkirchen können die Studierenden nach vier Semestern entscheiden und sich dann auf Journalismus oder PR spezialisieren. Wer als Journalist heute sagt, PR ist bäh, dem ist nicht zu helfen. Selbstverständlich bin ich für eine saubere Trennung. Aber die Mechanismen der PR zu kennen und zu beherrschen, ist ein unschätzbarer Vorteil“, sagt Herbert Spies im Interview mit Newsroom.de.

 

Im Gespräch mit Newsroom.de spricht der Journalist Herbert Spies, Dozent an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, Klartext.

 

Immer mehr Journalisten werden entlassen, Redaktionen werden zusammengelegt, der Kostendruck steigt. Und trotz der Krise hat der Journalismus offenbar nichts an seiner Attraktivität eingebüßt, denn die Anmeldezahlen der Berufsanfänger an den Hochschulen sind nach wie vor hoch. Ist das kein Widerspruch?

Herbert Spies: Nein. Denn den Studenten, die sich für ein Journalismus-Studium entscheiden, fehlt in den meisten Fällen das Entscheidende, um die Branchensituation einigermaßen realistisch einschätzen zu können: Praxiserfahrung. Es klingt wie ein abgedroschener Witz, aber die Formulierung des Berufswunsches „irgendwas mit Medien“ hören wir von den Erstsemestern immer wieder. Das Berufsbild gilt als cool, die Verdienstmöglichkeiten erscheinen in diesem Alter noch zweitrangig. Prominente kennen lernen, reisen, Skandale aufdecken, das sind einige der Hauptbeweggründe, die immer wieder genannt werden. Viele Studenten gehen das Ganze herzerfrischend naiv an. Sie lesen gerade zu Beginn ihres Studiums nicht genug Zeitungen und Fachliteratur. Und kennen die Themen und Akteure der Branche nicht. Die Fachhochschulen verstehen sich als Partner auf dem Weg in den Beruf. Also ist es eine zentrale Aufgabe gerade der aus der Praxis kommenden Lehrbeauftragten, ein realistisches Bild vom Alltag in den Redaktionen zu vermitteln. Und das ist für viele der Studenten doch weitaus weniger romantisch als angenommen.

 

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— Melanie Ahlemeier (@MelanieAhlemeie) 21. November 2014

Inwiefern?

Herbert Spies: Journalismus ist Handwerk. Unser Handwerkszeug ist die Sprache. Wer dauerhaft Herausforderungen mit Rechtschreibung und Zeichensetzung hat, ist für diesen Beruf nicht geeignet. Denn in den Redaktionen erlaubt es schon die personelle Situation oft gar nicht, dass Texte im Vier-Augen-Prinzip gegengelesen werden. Und wenn, hat niemand Zeit, Dutzende Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler zu verbessern. Beliebige Beispiele aus meinen aktuellen Kursen: Kriese, im Nahmen der Teilnehmer, der ärztlicher Artest, mit riesem Applaus und Komattarr als Plural für Kommata. Das finde ich gruselig und diese Rechtschreibschwäche ist leider sehr weit verbreitet. Ich sage meinen Studenten ganz deutlich: Mit einer Mehlallergie könnten Sie nicht als Bäcker arbeiten. Dass diese Botschaft zunächst für Unverständnis und Unmut sorgt, verstehe ich gut. Denn in den Schulen haben offenbar viele Lehrer bei diesem Thema längst resigniert. Es gibt Schüler, die im Deutsch-Leistungskurs eine Eins bekommen, obwohl sie die Interpunktion bei Zitaten nicht beherrschen oder nicht in der Lage sind, den Konjunktiv in der indirekten Rede richtig zu bilden. Das müssen sie aber im Redaktionsalltag können. Hochschule muss also viele Ausbildungs- und Erziehungsfragen aufnehmen und behandeln, die Schule ganz offenbar vernachlässigt hat.

 

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— Alexander Drößler (@AlexDroessler) 21. November 2014

Wollen Sie an der Hochschule wirklich die Arbeit der Gymnasien fortsetzen?

Herbert Spies: Ich sage den Erstsemestern bereits in der ersten Vorlesung ganz klar: Sie müssen Ihr Warum kennen, ich kann Ihnen nur beim Wie helfen. Und viele wissen eben noch gar nicht, weshalb sie dieses Fach gewählt haben. Wer heute im Rahmen von G8 Abitur macht, kommt mit 17 Jahren an die Hochschule. Voller Respekt und Wertschätzung gegenüber diesen jungen Menschen: Das sind Kinder. Meine letzte Chefredakteurin bei dapd hat immer wieder und völlig zu Recht gesagt: Journalismus ist eine Frage der Haltung. Aber bevor jemand Haltung entwickeln kann, muss er andere, grundlegende Dinge kennen und beherrschen. Kritikfähigkeit und Frustrationstoleranz zum Beispiel. Journalismus ist vor allem ein Geschäft mit Menschen. Und jeder Reporter lernt schnell: Du kommst nicht bei allen gleich gut an. Vor allem dann nicht, wenn Du insistierst, unangenehme Fragen stellst. In den Augen vieler Studenten ist das Leben eines Reporters eine bunte Zeitreise: Gestern unter Tage, heute im Kreißsaal, morgen in der Kanzlermaschine.

„So schnell wie möglich Praxisbezug"

Ich sorge dafür, dass die jungen Leute so schnell und so intensiv wie möglich Praxisbezug bekommen. Ich habe einmal als Reportagethema aufgegeben, einen Obdachlosen zu suchen und zu begleiten. Bedingung: Er muss schon lange auf der Straße leben und auch etwas zu erzählen haben. Da gab es zum Teil empörte Proteste. Eine Zumutung sei das, hieß es. Eine Studentin hat sich beim Institutsdirektor beschwert, sie habe Angst um ihre Sicherheit und weigere sich, diese Aufgabe zu lösen.

Wie haben Sie reagiert?

Herbert Spies: Ich habe gelacht. Es ist doch positiv, wenn sich so früh herausstellt, dass jemand für diesen Beruf ganz offensichtlich ungeeignet ist.

Wie hoch ist der wissenschaftliche Anspruch des Studiums?

Herbert Spies: Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Ja, es gibt Einführungskurse zum Thema wissenschaftliches Arbeiten. Aber das Niveau ist meiner Meinung nach nicht allzu hoch. Und wir müssen unterscheiden zwischen den öffentlichen und den privaten Hochschulen. Ich habe Einblicke in beide Welten. Ich sage das so gespreizt, weil es tatsächlich zwei verschiedene Planeten sind.

 

Zur Person: Herbert Spies (51) arbeitet seit 1982 in allen Bereichen des Journalismus: Print, Online, TV, Hörfunk und als Fotograf. Zuletzt war er bei der Nachrichtenagentur dapd als Regionalkoordinator der Landesdienste Nord/West für die gesamte Berichterstattung aus Nordrhein-Westfalen, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein verantwortlich. Vorher arbeitete er unter anderem als Redakteur mit besonderen Aufgaben beim NRW-Regionalprogramm von RTL und als Autor und Reporter für die Tagesschau-Redaktion des WDR Fernsehen in Köln. In verschiedenen Funktionen berichtete er zuvor auch für AP, dpa und Reuters. Seit Jahren ist er zudem im Bereich Aus- und Weiterbildung tätig: Als Dozent mit Lehraufträgen an verschiedenen Hochschulen, als Coach und Mentor für Nachwuchsführungskräfte, Journalistenschüler und Volontäre verschiedener  Medienhäuser. Derzeit arbeitet er als Dozent und redaktioneller Qualitätscoach.

 

Wie unterscheiden sich diese Welten?

Herbert Spies: Die privaten Hochschulen betrachten ihre Studierenden als Kunden. Es gibt viele Mitbewerber auf dem Markt. Und das Geschäftsmodell funktioniert ohne Kunden nun mal nicht. Also werden diese oft gehätschelt und nur sehr wohldosiert mit Ansprüchen an das eigene Können gestört. Denn machen wir uns nichts vor: An den privaten Hochschulen studieren zumeist diejenigen, deren Noten für eine Aufnahme an den öffentlichen Hochschulen nicht gereicht haben. Die Folge ist nicht selten eine sehr negative: Viele dieser Studenten überschätzen sich und ihre Fähigkeiten maßlos, ihr Anspruchsdenken ist bisweilen riesengroß. Hätten sie im Seminarraum eine Fernsehfernbedienung in der Hand, sie würden den Dozenten wegzappen. Ich habe in einer privaten Hochschule eine so genannte Bibliothek gesehen, in der zum Thema Journalismus weniger Bücher standen als in meiner Küche Kochbücher. Und selbst erlebt, dass Studenten mit der schriftlichen Zusammenfassung eines Referates völlig überfordert waren. Das sind häufig gerade einmal Mittelstufen-Ansprüche, mehr nicht.

Wann haben Journalisten heute aus Ihrer Sicht noch eine Chance, ihren Unterhalt vernünftig mit ihrem Job zu bestreiten?

Herbert Spies: Die erste Frage lautet: Was bedeutet vernünftig? Die Goldgräberzeiten sind vorüber. Und niemand weiß, ob es in der Zukunft noch einmal solche oder bessere Zeiten geben wird. Ich denke, es geht hier um eine Grundsatzentscheidung. Als die Nachrichtenagentur dapd im April 2013 den Betrieb einstellen musste, war in der Belegschaft zunächst der Schock groß. Dann folgte eine Zeit allzu menschlichen Wundenleckens. Und dann blieb die Frage: Womit will ich mein Geld verdienen? Und: Welche ist meine Berufung? Ich habe nur dieses eine Leben. Was spricht dagegen, meinen Traum zu leben?

Und was heißt das genau für den Nachwuchs in den Medien?

Herbert Spies: Eine der zentralen Botschaften, die ich den Studenten vermitteln will, lautet: Schreiben ist Glück. Ich habe dieses Gefühl in den letzten 32 Jahren immer wieder selbst erlebt, es ist jedes Mal großartig. Und ich erinnere mich genau an die Geschichten über Branchen- und Firmenkrisen, die ich selbst in Nordrhein-Westfalen als Reporter gemacht habe. Erst protestierten die Bergleute, dann rumorte es bei Opel, bei Karstadt, bei Schlecker. Und wir standen mit Block, Mikrofon und Kamera vor den Firmenzentralen und Werkstoren und befragten die vom Schicksal Gebeutelten. Heute gehören wir dazu. Menschen haben eine unbändige Angst vor Veränderung. Ich sehe das positiv: Die Umstände zwingen mich dazu, immer wieder und ganz sorgfältig zu überdenken, was ich will.

 

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— Timo Stoppacher (@CGNTimo) 21. November 2014

„Ich glaube an die Zukunft des Journalismus“

Ich glaube an die Zukunft des Journalismus. Vor allem im Lokalen. Präsent sein, Kontakte knüpfen und pflegen, genau hinhören, ansprechbar sein. Wer in einem kleinen Ort als Lokalreporter arbeitet, läuft mindestens einmal pro Woche dem Bürgermeister über den Weg. Wer in Berlin das Tun von Frau Merkel kommentiert, bekommt ein solches Echo sicher nicht. Heute im Journalismus zu überleben, erfordert Flexibilität. Schnell und präzise zu arbeiten, zuverlässig zu sein. Und mit seinem Netzwerk arbeiten können. Solange die Leistungsbereitschaft Teil des eigenen Antriebes ist, hast Du Erfolg. Ganz sicher. Ich habe im Laufe meines Berufslebens so viele Sportler, Künstler und Musiker getroffen, die finanziell wahrlich nicht auf Rosen gebettet sind. Sie leben ihren Traum. Kennen Sie eine Krankenschwester oder einen jungen Arzt in einer Klinik, die wegen ihrer Bezahlung glücklich sind? Wohl kaum. Und wieder zitiere ich eine meiner Botschaften an die Studenten: Es sind nicht unsere Fähigkeiten, die zeigen, wer wir wirklich sind. Es sind die Entscheidungen, die wir treffen. Die Erstsemester staunen immer, wenn ich ihnen sage, dass dieser Satz aus Harry Potter stammt.

 

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— Petra Breunig (@DieBedra) 21. November 2014

Was raten Sie Ihren Studenten für den Berufseinstieg? Sollten sie sich nicht lieber gleich in die PR stürzen, bevor sie von einer Entlassungswelle in der Redaktion in die Arbeitslosigkeit gerissen werden?

Herbert Spies: Mein Rat lautet: Bauen Sie möglichst schnell gute Beziehungen zu zwei, drei Redaktionen auf. Viele Studenten glauben, dass sie alles richtig machen, wenn sie möglichst viele Praktika hinter sich bringen. Ich selbst habe so viele Praktikanten kommen und gehen sehen. Nur wenige sind mir in Erinnerung geblieben. Redaktionen brauchen flexible und zuverlässige freie Mitarbeiter. Es geht also nicht darum, am Ende des Studiums mit acht, zehn oder zwölf möglichst sehr guten Praktikumsbescheinigungen Quartett spielen zu können. Das Ziel muss sein, Kontakte zu haben, auf einer Telefonliste zu stehen, immer wieder Themen anzubieten und auch zu veröffentlichen.

Saubere Trennung notwendig

 

Warum überhaupt noch Journalismus? Newsroom.de hat bei Erstsemestern am Institut für Journalismus und PR der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen nachgefragt. Ihre Entscheidung für eine Zukunft "in den Medien", ihre Hoffnungen, ihre Wünsche schildern ab kommender Woche Celine Brockers, Jascha Winking, Niko Nowak, Jonas Selter, Alina Meyer, Christina Schwarz, Robin Rittinghaus, Hatice Kahraman, Alicia Theisen, Hannah Decke, Tobias WolfLena Görgens, Lea Mitulla, Tim Hackenbroich und Meik Gudermann.

 

In Gelsenkirchen können die Studierenden nach vier Semestern entscheiden und sich dann auf Journalismus oder PR spezialisieren. Wer als Journalist heute sagt, PR ist bäh, dem ist nicht zu helfen.
Selbstverständlich bin ich für eine saubere Trennung. Aber die Mechanismen der PR zu kennen und zu beherrschen, ist ein unschätzbarer Vorteil. Ich kenne PR-Studenten, die sagen mit durchaus abfälligem Ton: Journalismus interessiert mich nicht. Dieser Hybris begegne ich stets mit dem Hinweis, dass PR-Leute im Jahr 2014 nur dann ihre Botschaften platzieren können, wenn sie die Abläufe im Journalismus nicht nur kennen, sondern selbst erfolgreich praktiziert haben.

 

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— Lukas Zdrzalek (@HerrTschalek) 21. November 2014

Verstehen Ihre Studierenden denn, dass sich die Medienwelt massiv ändert?

Herbert Spies: Ja, durchaus. Und auch hier bedarf es gerade bei den Anfängern einer beinahe liebevollen Justierung der Vorstellungen. Nur sehr wenige der Studenten konsumieren Nachrichten. News, das heißt Facebook, WhatsApp, Twitter. Also Schnipsel von zumeist privaten Themen. Wir üben mit den Studenten so genannte Presseschauen. Welche sind die Themen des Tages und weshalb? Mit was machen Print und Online auf? Recherche ist mehr als die Suche bei Google, muss tiefer gehen als ein Artikel bei Wikipedia. Wir wissen, dass nur ungefähr 15 Prozent der Studenten eines Jahrgangs als förderungswürdig gelten. Das sind nicht viele. Denen widme ich meine ganze Kraft. Und es ist immer wieder sehr beglückend zu erleben, wenn diese dann Erfolg haben bei ihren ersten journalistischen Gehversuchen, sich durchbeißen, eigene Erfahrungen machen, die richtigen Fragen stellen, lernen und so wachsen. Ich hatte einmal das Glück, in den ersten beiden Semestern ihres Studiums eine frühere Leistungsschwimmerin zu unterrichten. Sie war nahezu ihre gesamte Schulzeit schon vor Unterrichtsbeginn zum Training gefahren. Wer so lange so unermüdlich im kalten Wasser die Kacheln des Beckens zählt, der hat keine Angst vor vermeintlich schlechten Zukunftsaussichten. So jemand will. Es ist ihr Ziel, als Sportjournalistin zu arbeiten. Also habe ich den dpa-Sportchef in Nordrhein-Westfalen angesprochen und gebeten, ihr eine Chance zu geben. Und das tut er gerne. Sie holt jetzt für dpa in der Mixed Zone der Arena auf Schalke Stimmen für Bundesligaberichte. Ein guter Anfang.

Die Fragen an den Journalisten Herbert Spies, Dozent an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, stellte Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

 

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