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Gespräche mit älteren Kollegen: Was können Journalistinnen und Journalisten aus der Vergangenheit lernen?

Gespräche mit älteren Kollegen: Was können Journalistinnen und Journalisten aus der Vergangenheit lernen? Mediencoach Attila Albert

Gegenwärtigkeit ist das Kennzeichen des Journalismus. Doch gelegentlich lohnt sich auch ein Blick zurück, sagt Mediencoach Attila Albert. Um die persönliche Anpassungsleistung vieler älterer Kollegen zu schätzen, aber auch, um aus früheren Erfolgen und Fehlern für heute zu lernen.

Berlin – Vor einigen Tagen unterhielt ich mich mit einer Agentur-Mitarbeiterin aus der Münchner Verlagsszene, und wir kamen dabei auf die Blütezeit der klassischen Verlage zu sprechen. Im Nachklang dachte ich, wie selten wir in unserer heutigen Medienwelt mit ihren ständigen Umbrüchen doch überhaupt zurückdenken. Dabei lässt sich mit einem gelegentlichen Blick zurück nicht nur ermessen, welche persönliche Anpassungsleistung die meisten Medienprofis erbracht haben und erbringen. Auch manche Erfahrung aus ihrer Zeit lässt sich heute in angepasster Form nutzen.

 

Das erwähnte Gespräch erinnerte mich (Jahrgang 1972) an meine Begeisterung als junger Mann für eine Welt, die damals schon fast am Verschwinden war. Es gelang mir noch, Leute wie beispielsweise Josef von Ferenczy, Will Tremper oder Hans R. Beierlein zu besuchen. Letzterer vermittelte mir auch ein spontanes Treffen mit Leni Riefenstahl in deren Haus bei Starnberg, die 94-jährig an einem neuen Bildband u.a. mit ihren „Stern“-Fotos arbeitete und für eine Malediven-Tauchexpedition packte. Ich habe noch ihr Portrait, das sie mir später mit Widmung schickte. Der „Stern“ hatte, man erinnere sich, einmal 1,93 Millionen Auflage.

 

Ferenczy schenkte mir nach dem Mittagessen mit zwei Dienern, die er durch Knöpfe unter dem Tisch dirigierte, eine Uhr und bestand darauf, mich – damals Anfang 20 – im Mercedes zu Burda fahren zu lassen, wo ich einen Termin hatte. Dass er zu dem Zeitpunkt bereits pleite war und ihm nicht einmal mehr die Villa, in der er empfing gehörte, stellte sich erst später heraus. Viele seiner Starautoren – von Heinz G. Konsalik habe ich 85 Romane gelesen, Raimund le Viseur gern als Magazinautor – sind fast vergessen. Viele einst große Zeitschriften wie „Quick“ und „Revue“ ebenso, andere nur noch Schatten ihrer selbst. Franz Josef Wagner liebte ich in seiner „Bunte“-Zeit, die Redaktion ihn damals wohl weniger.

 

Irrwitzigen Produktionen, ausgefallenen Parties

Gelegentlich treffe ich noch Journalisten oder Sekretärinnen von damals, die von irrwitzigen Produktionen und ausgefallenen Parties erzählen. Wie Springer allen 3.000 Berlinern Taxifahrern eine Armbanduhr schenkte. Einen fünf Meter langen schwarzen Mamortisch anfertigen ließ, den dekorativ aufgelegte Zitronenscheiben nach einem Essen ruinierten. Dass sein Sekretariat immer Pelzmäntel für abservierte Geliebte bereit hielt, die Prämien damals versteuert ausgezahlt wurden und der Verlag seine Redakteure nach Überstunden gelegentlich aufforderte, auf Redaktionskosten rote Rosen für die Ehefrauen zu bestellen.

 

Gerade gestern telefonierte ich mit meinem langjährigen Redaktionsleiter bei „Bild“, der demnächst seinen 87. Geburtstag feiert. Er hatte nach dem Krieg als Hilfsarbeiter auf dem Fruchthof und Zeitungsausträger begonnen, ehe er ein Volontariat beim „Südkurier“ bekam. Ich habe mir, wir kennen uns 30 Jahre, viele Erinnerungen erzählen und alte Fotos zeigen lassen. Auf einigen arbeitet eine erstaunlich junge „Bild“-Redaktion mit Uschi Obermaier – oben ohne – als Poster an der Wand. Jeder mit Zigarette, Weinbrandglas oder Bierflasche am Telefon oder an der Schreibmaschine, manche auch mit Skatkarten. Ich glaube, dass Alkohol vor 16 Uhr in der Redaktion 1995 per Hausanweisung verboten wurde.

 

Manches fände heute wenig Gnade

Eine Freundin, im Journalismus tätig, postete kürzlich Abbildungen einiger Kinderbücher, die sie einst geliebt hatte und heute mit gemischten Gefühlen betrachtete: Abenteuer von „Igel Mecki“, dem Maskottchen der „Hörzu“. Geschrieben hatte sie Eduard Rhein, Erfinder und 20 Jahre Chefredakteur der Fernsehzeitschrift. Daneben verfasste er Operetten-Librettos und Romane unter fünf Pseudonymen, darunter auch homoerotische Werke, entwickelte ein Radargerät und eine Form der Sound-Kompression für Schallplatten. Seine beliebten Kinderbücher aus der jungen Bundesrepublik, darunter auch „Mecki bei den Eskimos“, „Mecki bei den Indianern“ und „Mecki bei den Negerlein“, fänden heute wenig Gnade.

 

Unter den Journalistinnen gab es frühe Aufsteiger wie Andrea Zangemeister, schon 1981 stellvertretende Chefredakteurin bei "Bild". Mein Eindruck aus vielen Gesprächen ist, dass Frauen sich damals gut als Reporterinnen oder Autorinnen einbringen und durch Leistung beweisen konnten, auch in frauenbezogenen Medien und Ressorts aufsteigen. Schwierig wurde es, sobald es um Positionen oberhalb einer stellvertretenden Ressortleitung, Ressorts wie Nachrichten, Politik oder Sport oder gar das Management ging. Da fehlte nicht nur die Selbstverständlichkeit. Die eindeutig maskulin geprägte Atmosphäre zwang Frauen fast zur Entscheidung, „die Harte“ oder „die Liebe“ zu spielen. Allerdings wurden auch viele Männer in den Redaktionen dieser Zeit ausgesprochen grob oder sogar bewusst demütigend behandelt. In beiden Fällen hat sich innerhalb einer Generation viel positiv bewegt.

 

Vieles lässt sich im Rückblick lernen

Meine Welt war das alles kaum noch, auch nicht mein Hintergrund. Ich konnte nur noch eine letzte Ahnung davon wahrnehmen, aber nostalgisch fühlt es sich trotzdem an. Was kann man heute aus der Vergangenheit lernen, wenn es nicht nur reine Sentimentalität sein soll? Mir kommen beispielsweise diese Gedanken:

  • Viele der kreativsten, erfolgreichsten Medienprofis hatten keinen Studienabschluss, oft sogar nur ein „Notabitur“. Es könnte sich empfehlen, wieder mehr Seiteneinsteiger und Redaktionsmitglieder mit Facharbeiter- oder Gesellen-Abschluss einzustellen, um die Perspektive der Leserschaft intern wieder stärker vertreten zu haben.
  • Die meisten erfolgreichen Medien der Vergangenheit waren ausgesprochen unterhaltsam und erzählerisch angelegt, gerade auch bei der Präsentation von aktuellen Nachrichten. „Storytelling“ ist nicht nur eine Layout-Methode, sondern erfordert Sprach- und Erzählgefühl, Lebenserfahrung und Empathie.
  • Die wenigsten Ideen sind völlig neu. Das heute populäre „Design Thinking“ zum Beispiel, die offene Befragung von Kunden bzw. Lesern, war in vielen Verlagen schon damals als „Putzfrauen-Parlament“ üblich (weil Reinigungskräfte, Hausmeister usw. befragt wurden). Vieles lässt sich problemlos wieder reaktivieren.
  • Ein Blick ins Archiv gibt auch heute noch Anregungen für Geschichten, Texte und Layouts. Korrigiert aber auch manche populäre Fehlwahrnehmung. Etwa die Legende, die Verlage hätten in den Anfangstagen des Internets aus einem unbegreiflichen Leichtsinn heraus die redaktionellen Inhalte verschenkt. „Paid Content“ war schon 1996 geplant, aber nicht am Markt durchsetzbar.
  • Der Austausch zwischen jüngeren und älteren Medienprofis kann für beide Seiten befruchtend sein, über Standards wie Vorträge in der Ausbildung oder ein Mentoring hinaus. Eine breite Altersmischung in der Redaktion entlastet und schult jüngere Kollegen und erlaubt Älteren, Wissen und Erfahrungen weiterzugeben.
  • Mit moralistischen Höhenflügen sollte man vorsichtig sein, die Zeiten ändern sich fortlaufend. Was heute eine großartige Idee scheint, siehe „Mecki bei den Negerlein“, wird später möglicherweise zerrissen. Bescheidenheit in der Beurteilung anderer (vor allem rückwirkend) zahlt sich aus, man wird nämlich ebenso beurteilt werden.

 

In den vergangenen Jahren sind viele aus der alten Generation gestorben. Prominente wie Günter Prinz, Peter Bachér, Paul C. Martin oder Mainhardt Graf von Nayhauß, aber auch andere, die nur engere Kollegen kannten, etwa meine frühere Kollegin Christine Horstkorte, zuletzt bei „Bild“ in Frankfurt. Es lohnt sich deshalb gerade für jüngere Medienprofis, mit älteren Kollegen über deren Berufsanfang zu sprechen. Nicht als langweilige Nostalgie, sondern durchaus heutig gedacht: Was könnte man davon aufgreifen, daraus lernen – selbst ähnlich, anders oder auch besser machen.