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Lohnt es sich für Medienprofis überhaupt noch, auf Social Media zu sein?

Lohnt es sich für Medienprofis überhaupt noch, auf Social Media zu sein? Mediencoach Attila Albert

Unnötig verlorene Zeit, Streit mit Kollegen und Freunden, problematische Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit: Viele Medienprofis tun sich auf Social Media selbst keinen Gefallen. Mediencoach Attila Albert über grundlegende Erwägungen bei der professionellen Social-Media-Nutzung.

Berlin – Mehr als 11.000 Tweets hatte eine Politikredakteurin in den vergangenen Jahren abgesetzt, in denen sie zu jedem denkbaren Thema ihre Meinung geäußert hatte. Fast nichts davon hatte etwas mit ihrem eigenen Leben zu tun, hatte sie aber im jeweiligen Augenblick meist empört oder wütend gemacht, manchmal auch erfreut oder amüsiert. Nun aber kamen ihr Zweifel: Welches Bild entstand da öffentlich eigentlich von ihr? Sie hatte bemerkt, dass andere auch Screenshots ihrer Tweet teilten, die sie schon gelöscht hatte. Zudem erschien ihr manches mach Nachlesen selbst überzogen. Vieles war auch sachlich überholt.

 

Noch vor einigen Jahren drängten viele Medienhäuser ihre Redakteure dazu, „aktiv“ auf Social Media aufzutreten. Oft nur mit minimalen Anweisungen, was erwartet würde, auch nur mit recht generellen Aussagen, was mit Rücksicht auf den Arbeitgeber erlaubt sei. In einigen Redaktionen wurden euphorisch Twitter-Konten gleich für alle im Team eingerichtet, teilweise offiziell mit dem Namen des Mediums im Benutzernamen. Wer sich nicht beteiligte, tat das nicht selten mit einem gewissen Unbehagen. Ein früherer Kollege: „Ich twittere nur, damit ich meinen Job behalte.“ Einige ließen ihren Account bald wieder einschlafen.

 

Mit der allgemeinen Ernüchterung insbesondere in Bezug auf die großen amerikanischen  Social-Media- und Chat-Plattformen überlegen viele Medienprofis: Brauche ich das noch in meinem Leben - oder ist es aus beruflichen Gründen doch zwingend? Mancher will vielleicht gerade WhatsApp loswerden, braucht Facebook und Instagram (selbes Unternehmen) aber für den Job. Andere ärgern sich täglich über Twitter, wollen aber nicht riskieren, bestimmte aktuelle Informationen oder Diskussionen zu verpassen. Deshalb in der heutigen Kolumne einige Gedanken zur persönlichen Social-Media-Entscheidung als Medienprofi.

 

Keiner muss zwingend dabei sein

Grundsätzlich leben die großen Plattformen von der Behauptung, mit dem „Bild“ lange auch erbitterte Gegner zu einem Interview bekam: Man könne sich nicht entziehen, weil dort die Öffentlichkeit sei, die anders wohl nicht erreicht werden könne. Das funktioniert, so lange ausreichend viele Menschen im Gegenzug glauben, man müsse dabei sein, weil nur dort „die entscheidenden Leute“ wären. In Wahrheit ist bei Social Media wenig exklusiv: Die meisten publizieren auf vielen Plattformen gleichzeitig, dazu zusätzlich in Newslettern und auf der Webseite. Zudem lässt sich z. B. Twitter auch ohne Konto durchsuchen.

 

Eine andere Wahrheit ist, dass viele Medienprofis dort ihrem eigenes Image wirklich keinen Gefallen tun. Wer ständig rechthaberische Behauptungen aufstellt, sich danach in zänkische Scharmützel verwickeln lässt, pausenlos kritisiert und zurechtweist, profiliert sich selten als Sympathieträger – oft noch nicht einmal als kompetent. Da rettet dann auch ein gelegentlich eingestreutes Natur-, Tier oder Food-Foto nicht mehr viel. Anders als früher oft behauptet, haben die Personalchefs zwar kaum die Zeit und Nerven, die Internet-Profile von Bewerbern und Mitarbeitern zu kontrollieren. Aber es schauen auch so ausreichend viele zu.

 

Absicht und Zielgruppe definieren

So ist die erste Entscheidung, ob Sie überhaupt öffentlich auftreten wollen. Es ist nämlich kein Zwang. Selbst eine große Zahl von Weltstars, die tatsächlich von der Öffentlichkeit leben, kommt ohne Social Media aus (z. B. Jennifer Lawrence, George Clooney, Brad Pitt, Eddie Murphy, Scarlett Johansson). Für den privaten Bedarf genügt vielleicht der Lebenslauf auf LinkedIn sowie ein auf „privat“ gestelltes Instagram-Profil, zugänglich gemacht nur für Verwandte und Freunde. Wer mehr möchte, sollte zwei Faktoren bedenken: Absicht und Zielgruppe. Warum wollen Sie Zeit und Aufmerksamkeit aufwenden – und für wen?

 

Jede schlampig geplante PR-Kampagne behauptet, sie habe einfach nur das generelle Ziel, die „Bekanntheit zu erhöhen“, etwas „ins Bewusstsein rücken“. Im besten Fall verschwendet dieser Ansatz Geld und Zeit, bleibt wirkungslos oder hat einen ganz unbeabsichtigten, nicht selten negativen Effekt. Je klarer Sie sich darüber sind, warum Sie selbst z. B. tatsächlich auf Twitter sind, desto überlegter handeln Sie in Ihren Beiträgen und Kommentaren, halten aber auch die Zeit, die Sie damit verbringen, in einem angemessenen Rahmen. Nicht zuletzt erinnern Sie sich damit fortlaufend selbst, an wen Sie sich eigentlich wenden wollten.

 

Beispiel: Eine freie Autorin hat kaum genug Aufträge, um ihre Lebenshaltungskosten zu decken. Gleichwohl verbringt sie viel Zeit auf Twitter, vor allem mit politischen Themen, die sie aufwühlen. Das ist ihr gutes Recht, aber sie löst damit weder ihr Problem noch gibt sie öffentlich damit ein besonders günstiges Bild ab. Ihre eigentliche Zielgruppe (Ressortleiter der Titel, die sie schreiben möchte) erreicht sie bestenfalls zufällig und empfiehlt sich nicht zwingend für Aufträge. Ihre mögliche Strategie: Mehr LinkedIn-Postings und fast nur zu dem Gebiet, in dem sie arbeiten möchte, professionell im Ton, um sich als Expertin zu zeigen.

 

Anderes Szenario: Ein angestellter Redakteur, schon seit längerem unzufrieden mit seiner Position, würde gern in die PR wechseln, hat aber kaum passende Kontakte. Er nutzt vor allem Facebook recht lustlos und nur für gelegentliche private Beiträge. Seine eigentliche Zielgruppe aus professioneller Sicht könnten Führungskräfte der Unternehmen sein, für die er gern arbeiten würde. So könnte er für sie beispielsweise erklärende Beiträge zum Thema Medienarbeit speziell für ihre Branche veröffentlichen und sich als der passende Mann für ihre Sorge profitieren, gleichzeitig passende persönliche Kontakte zu ihnen aufbauen.

 

Mancher wird einwenden, ob denn alles direkt einem praktischen Zweck untergeordnet werden müsse. Der Austausch hätte ja auch einen Wert für sich. Das ist natürlich eine individuelle Entscheidung. Wer viel freie Zeit hat und seine Interaktionen auf Social Media mehrheitlich als angenehm und bereichernd empfindet, kann sich immer „einfach nur unterhalten“. Mein Eindruck ist allerdings, dass dieser spielerische, entdeckerische Ansatz der frühen 2000er weitgehend vorbei ist. Viele erschöpft Social Media eher und verführt sie zu Äußerungen unter hoher Emotionalität, die ihrem öffentlichen Ansehen schaden. 

 

So sollte man als Medienprofis tun, was man von Politikern, Managern und Prominenten auch erwartet: Wissen, dass man als Profi auf Social Media in einer wenig nachsichtigen Öffentlichkeit steht und eine spontane Äußerung weitreichende Folgen haben und das eigene Image dauerhaft beschädigen kann. Abwägen, welche Plattform sich bewährt hat (z. B. Angebote für Jobs, Traffic für Artikel), wo die Ziele 2021 liegen und was eventuell anders werden könnte. Wenn Sie einfach nur Frust oder Ärger loswerden wollen, und diese Momente hat jeder, ist ein Anruf bei einem Freund oft immer noch die bessere Lösung.