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Nach dem Rückzug von Constantin Schreiber: Öffentlich Haltung zeigen – wie viel private Meinung erlaubt der Job?

Nach dem Rückzug von Constantin Schreiber: Öffentlich Haltung zeigen – wie viel private Meinung erlaubt der Job? Attila Albert

Viele Medienprofis positionieren sich in den sozialen Medien, in Talkshows und Veranstaltungen öffentlich zu strittigen Themen. Das kann Vorteile bringen, aber auch sehr unangenehme Folgen haben, wie in dieser Woche der Rückzug von Constantin Schreiber zeigt. Mediencoach Attila Albert sagt, wie Sie herausfinden, wie weit Sie gehen sollten.

Berlin – Die Ankündigung des Journalisten und Tagesschau-Sprechers Constantin Schreiber, sich nach mehreren Büchern und öffentlichen Auftritten zum Thema Islam – und daraus folgender Kritik und Angriffe – nicht mehr dazu äußern zu wollen, beleuchtet ein inzwischen häufiges Problem. Medienprofis, die sich prägnant öffentlich positionieren, können zwar mit spannenden Diskussionen, Anerkennung und manchem attraktiven Nebenerwerb rechnen. Aber mit steigender Bekanntheit fast immer auch mit negativen Folgen.

 

Kritik und Anfeindungen in anderen Medien, Blogs und Kommentaren sind unangenehm genug. Umso mehr Drohungen, tätliche Angriffe oder Sachbeschädigungen (z. B. Auto zerkratzt, Fensterscheibe eingeworfen). Medienprofis, über die ein Wikipedia-Artikel existiert, sehen ihn plötzlich mit negativen Bemerkungen gefüllt, die sie auch nicht wieder löschen können. Auch Arbeitgeber sind von polarisierenden Stellungnahmen ihrer Mitarbeiter oft nicht begeistert, mancher Freie verlor deswegen schon Aufträge.

 

Doch bevorstehende Wahlen, politische Auseinandersetzung und aktuelle Konflikte aller Art verleiten Journalisten immer wieder dazu, selbst öffentlich zu Akteuren zu werden. Gerade heute früh sprach ich bei einem Workshop der Bundeszentrale für politische Bildung mit Regional- und Lokaljournalisten darüber. Haltung zu zeigen wird zwar oft gefordert, erfordert aber besondere kommunikative Fertigkeiten, will man sich nicht ständig selbst Schwierigkeiten aussetzen.

 

Berichterstattung und Wertung selten scharf getrennt

„Viele Journalisten machen von sich aus Politik“, meinten schon Wolf Schneider und Paul-Josef Raue in „Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus“ (Rowohlt, 2016). „Sie wollen nicht informieren, sondern missionieren; mindestens halten sie ihre Meinung von einer Sache allemal für wichtiger als die saubere Schilderung des Sachverhalts. Geschieht dies im Leitartikel, so ist es in Ordnung; findet es unter der Dachzeile ,Nachrichtenmagazin’ statt, so liegt eine vorsätzliche Irreführung vor.“

 

Nach meinem Eindruck gab es diese scharfe Trennung zwischen neutralem Bericht (z. B. Nachricht, Reportage, Feature) und subjektiver Bewertung (z. B. Analyse, Kommentar) allerdings nie. Sie stellt bestenfalls ein Ideal dar. Praktisch beginnen viele Recherchen bereits mit einer wertenden These, die bestätigt werden soll. Nicht selten stehen auch Überschrift, Rollenverteilung der Protagonisten und Fazit schon vorab fest. So mag ein Beitrag der Form nach neutral sein, durch seine Umsetzung ist er es gleichwohl nicht.

 

Öffentliche Äußerungen sind nie „privat“

Die Tendenz zum Meinungs- und Haltungsjournalismus ist daher nicht neu, sondern hat nur immer wieder zeittypische Ausgestaltungen erfahren. Mal persönliche Betroffenheit aus der Ich-Perspektive, mal ein angeblich besonders drängender Missstand, wegen dem journalistische Neutralität zurückstehen müsse. Auch die offene Zusammenarbeit mit Lobby-Organisationen gilt vielen Redaktionen nicht als Vergehen an ihrer klassischen Kernaufgabe, sondern als stolz präsentierter Ausdruck einer wertebasierten Arbeit, wenn das angestrebte Ziel (z. B. Kampf gegen den Klimawandel, Umweltschutz) geteilt wird. 

 

So kann es nicht überraschen, dass sich Medienprofis im Social-Media-Zeitalter besonders dazu ermutigt sehen, auch auf diesen Plattformen ihre Ansichten zu den Ereignissen des Tages zu veröffentlichen. Gelegentlich als „persönliche Meinung“ deklariert, aber bei öffentlich wahrgenommener Tätigkeit bei einem bekannten Arbeitgeber ist das eine Schutzbehauptung, die nie verfängt. Noch weiter geht, wer sich in Nachrichtensendungen und Talkshows setzt, dort öffentlich politische Bewertungen und Handlungsempfehlungen gibt – mit den anwesenden Politikern sozusagen wie unter Kollegen diskutiert. 

 

Vorher das Ziel und den Preis bedenken

Wer die Öffentlichkeit sucht, ist gut beraten, sich vorher zu überlegen, wozu er sich äußern möchte, wie und warum – und auch, wozu nicht. Dabei dürfen Sie durchaus eigennützige Ziele haben. Beispiel: Sie wollen als Experte auf einem bestimmten Gebiet wahrgenommen werden, in Veranstaltungen eingeladen werden oder ein Buch zum Thema schreiben. Je klarer Ihnen Ihre Motive sind, desto weniger reagieren Sie unüberlegt aus einer kurzlebigen Aufwallung heraus (weil Sie z. B. eine bestimmte Nachricht empört). Auch den Einfluss von Geltungsdrang, Eitelkeit und Rechthaberei begrenzen Sie damit.

 

Den möglichen Vorteilen sollten Sie gedanklich den Preis dafür entgegensetzen. Zu Ihrem Arbeits- und Zeitaufwand für Ihre Beiträge kommt die Betreuung Ihres Publikums: Menschen werden Ihnen zustimmen oder Sie kritisieren, Fragen stellen oder mit Ihnen reden wollen. Gelegentlich sind die Folgen ärgerlich und erfordern einen eigenen Rechtsanwalt (z. B. gegen verleumderische Unterstellungen). Wägen Sie also ab, wie weit Sie sich positionieren und engagieren wollen. Beispiel: Diskutieren Sie nach der Veröffentlichung eines LinkedIn-Beitrages mit den Lesern – oder lassen Sie Ihren Beitrag für sich stehen?

 

Nur die wenigsten Medienprofis gehen allerdings in eigener Sache so professionell heran. Viele würden zunächst altruistische, übergeordnete Motive für ihre Meinungsäußerungen nennen: Demokratische Verantwortung wahrzunehmen, gar eine zivile Pflicht (z. B. mit Blick auf Extremismus). Persönliche Überzeugungen spielen eine Rolle, aber auch Gruppen- und Öffentlichkeitsdruck. Ehrlicherweise genießen viele Journalisten hitzige Diskussionen und das Interesse an ihrer Person, selbst wenn viele Reaktionen kritisch sind. Je besser Sie Ihr Temperament hier kennen, desto eher wissen Sie, wann es für Sie genug ist.

 

Selbstschutz mit einfachen Maßnahmen

Schon einfache Maßnahmen schützen Sie vor unnötigen Konflikten. Lassen Sie heikle Beiträge von einer Vertrauensperson (z. B. Partner) vorab gegenlesen, insbesondere, wenn Sie sie emotional aufgewühlt geschrieben haben. Späteres Ändern oder Löschen nützt wenig, wenn schon Screenshots davon zirkulieren. Leider nicht selbstverständlich: Posten Sie nichts, wenn Sie getrunken haben oder es bereits spät nachts ist. Entscheiden Sie sich für 1-2 Kernthemen, bei denen Sie öffentlich mitreden wollen und für die Sie eine gewisse Kompetenz haben. Bemühen Sie sich um einen respektvollen, versöhnlichen Ton.

 

Wen es zu mehr persönlicher Positionierung drängt und wer sich durch seine journalistische Position darin behindert sieht, kann dem Rollenkonflikt entkommen, indem er sich beruflich klar für eine Seite entscheidet. Das kann die Arbeit für ein politisch, weltanschaulich oder inhaltlich klar positioniertes Medium ohne Neutralitätsanspruch sein. Ebenso sind Redaktions-, Content- und PR-Aufgaben in Unternehmen und Organisationen (z. B. NGOs, Parteien, Verbände, Stiftungen) eine attraktive Option. Dann sind öffentliche Meinungsführung und Diskussion kein Balanceakt mehr, sondern Hauptaufgaben.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Wie Medienprofis sich mehr zutrauen

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.