Journalismus
B.Ü.

Das rät Theaterregisseur Volker Lösch der„Kontext“-Redaktion: „Bleibt in Bewegung!“

Das rät Theaterregisseur Volker Lösch der„Kontext“-Redaktion: „Bleibt in Bewegung!“ Volker Lösch. Foto: Kontext

Fünf Jahre alt wird die Stuttgarter „Kontext:Wochenzeitung“. Das alternative Projekt, angeführt von Reporterlegende Josef-Otto Freudenreich, wird inzwischen getragen von über 1500 Förderern. „Bleibt in Bewegung“ schreibt der streitbare Theaterregisseur Volker Lösch der Redaktion ins Stammbuch.

Stuttgart - Die Mitte der Gesellschaft wandert merklich nach rechts. Dabei handelt es sich nicht um etwas Vorübergehendes. Die sich anbahnende Spaltung der Gesellschaft in Besorgte und Engagierte, in Ängstliche und Mutige, in Rechte und Linke spitzt sich zu und wird uns lange beschäftigen. Eine diffuse Angst, ein sich immer mächtiger ausbreitendes Lebensgefühl der Unsicherheit bei gleichzeitiger Ökonomisierung nahezu aller Lebensbereiche greift um sich.

 

Das verführt einerseits dazu, sich auf die Seite der mit einfachen Antworten und Sündenbocktheorien ausgestatteten Welterklärer zu flüchten; es schafft andererseits aber ein Verlangen nach profunder, unabhängiger Analyse und Kritik der sich bedrohlich verändernden Gesellschaft.


Die ersehnte Orientierung sollen dabei das Internet und die Zeitungen bieten. Die größtenteils privatwirtschaftliche Presselandschaft hat sich aber in den letzten Jahren stark verändert. Die Konzentration der Meinungs- und Publikationshoheit auf einige wenige Verlagshäuser, die Zusammenlegung von Zeitungen, die schlechtere Bezahlung von JournalistInnen hat Folgen für das Berufsbild.


Immer mehr Hofberichterstatter der herrschenden Politik und Nachplapperer der Wirtschaftlobbyisten verarmen den politischen Diskurs. Deren schamlos agierender, parteiischer Journalismus schlägt sich unverhohlen auf die Seite der Neoliberalen und Marktgläubigen. Die zunehmende inhaltliche Uniformierung der Mainstreammedien erzeugt Meinungseinfalt statt Meinungsvielfalt.

 

Diese Praxis fordert ihr Gegenteil geradezu heraus: einen Journalismus, der mit einer Haltung zur Welt arbeitet, dabei radikal kritisch ist, konsequent mutig bleibt und immer unabhängig sein möchte; einen Journalismus, der da anfängt, wo die Berichterstattung des Mainstream aufhört.


Eine Haltung zur Welt zu haben setzt voraus, mit dem Bestehenden nicht einverstanden, auf der Seite der Schwachen und gegen jede Form der Ungerechtigkeit zu sein. Radikal kritisch sein kann man nur mit einer unvoreingenommenen Berichterstattung, die nicht oberflächlich an Themen herangeht und im Zweifel auch liebgewonnene Standpunkte über den Haufen wirft. Konsequent mutiger Journalismus positioniert sich gegen den Massengeschmack, der nur Symptome beschreibt. Er arbeitet an Grundsätzlichem und versucht immer wieder, mit seiner Themenauswahl unser System als Ganzes zu debattieren und in Frage zu stellen. Unabhängig sein bedeutet, sich die Freiheit zu bewahren und beim Schreiben keine Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen von Auftraggebern nehmen zu müssen.


2011 wurde die Kontext:Wochenzeitung gegründet. Und sie hat sofort und spürbar diesen Journalismus mit Haltung frei und kämpferisch vertreten. Damals war es ein aufregendes Experiment in bürgerbewegten Zeiten, Stuttgart war so etwas wie der politische Mittelpunkt der Republik. Heute, nach fünf Jahren, kann man ohne Vorbehalt sagen, dass das Projekt Kontext auch langfristig geglückt ist.

 

Beim Lesen der hier versammelten Artikel wird ein Prinzip sichtbar. Man erhält Informationen jenseits des medialen Mainstreams und wird gleichzeitig mit Gedanken und Fragen konfrontiert, die darüber hinausgehen. Dabei sind die Beiträge oft erfrischend unterhaltsam, nie besserwisserisch, sondern spürbar interessiert an den wirklichen Hintergründen. Kontext strahlt gedankliche Freiheit aus, inspiriert zum Weiterdenken und erzeugt dabei oft Lesevergnügen. Für mich als Zeitungs-Vielleser ist Kontext aus der bundesweiten Lese- und Debattierkultur nicht mehr wegzudenken.


Und Kontext ist mehr als eine kritische Informationsquelle. Diese Wochenzeitung ist unverzichtbarer Teil einer immer wichtiger werdenden Gegenöffentlichkeit. Die besorgte Bürgerdämmerung am abendländischen Horizont braucht in der Bevölkerung spür- und sichtbare Widerstände, die an einer demokratischen Utopie arbeiten – also auch einen Journalismus mit Charakter. Kontext hilft dabei, emanzipatorische Kräfte zu bündeln, die Seite der marktungläubigen Kritik zu stärken.


Denn die wichtigste Frage der Zukunft lautet vermutlich: "Demokratie oder Kapitalismus?" Wir werden uns entscheiden müssen, beides zusammen ist nicht mehr uneingeschränkt zu haben. Das ist eine beunruhigende Bestandsaufnahme, und nur unabhängige Medien wie Kontext, die sich dieser existenziellen Frage journalistisch widmen, werden immer wieder aufs Neue versuchen, so nah wie möglich an die Wahrheit heranzukommen. Nur so ist eine starke Demokratie zu verteidigen. Wenn es stimmt, dass jede Zeit den Journalismus bekommt, den sie verdient, dann stellt Kontext die ersehnte Ausnahme dar.


Ihr seid mir bereits so etwas wie eine geistige Heimat geworden, und deshalb wünsche ich mir für euch und uns alle: Bleibt so, wie ihr seid, bleibt in Bewegung!

 

Volker Lösch

 

Newsroom.de-Hinweis: Der Kommentar von Volker Lösch ist dem Buch „Kontext! Fünf Jahre couragierter Journalismus“ entnommen, Herausgeber: Josef-Otto Freudenreich, Susanne Stiefel und Anna Hunger, Verlag Klöpfer & Meyer. Hardcover – ISBN 978-3-86351-517-1 – 20,00 Euro, E-Book – ISBN 978-3-86351-261-3 – 13,99 Euro.