Journalismus
Bülend Ürük, Chefredakteur Oberauer Verlag

Wie sich "SWP"-Chefredakteur Ulrich Becker gegen den Hass von Pegida, AfD und Co. wehrt

Wer ein Beispiel für eine lebendige Zeitung in einer prosperierenden Region benötigt, kommt schnell auf die in Ulm erscheinenden "Südwest Presse". Das Blatt der Verlegerpersönlichkeiten Ruth Aberle und Eberhard Ebner setzt im Lokalen und im Mantel auf Qualität, die Journalisten nehmen ihre Leser ernst. Aber wie kann es sein, dass auch hier der Chefredakteur einen Kommentar schreibt, in der er Hass-Mails an die Redaktion thematisiert, "deren Inhalt uns mittlerweile - mit Verlaub - ankotzt"? Von Bülend Ürük.

Ulrich Becker stammt gebürtig aus Köln, in der Domstadt hat er beim "Kölner Stadt-Anzeiger" sein journalistisches Rüstzeug erworben. Becker hat bei vielen Medien gearbeitet, gehörte zum Team vom "Mitteldeutschen Express", den er in Halle und Leipzig mitaufbaute, er schrieb für die "Bunte", arbeitete für den Bauer Verlag. Vor seinem Wechsel nach Ulm im November 2012 war er stellvertretender Chefredakteur von "Bild". Ulrich Becker, und das muss man an dieser Stelle erneut wiederholen, kennt also auch den Journalismus, für den sich ernsthafte Kollegen mit ihrem ernsten Leben in den seriösen Zeitschriften und Zeitungen und Sendeanstalten in Diskussionen gerne schämen - der Boulevard hat mit seiner Verknappung und seiner Bildsprache schon immer Emotionen geweckt.


Seriöse Tageszeitung


Die "Südwest Presse" gehört zu den großen unabhängigen Regionalzeitungen in Deutschland, gemeinsam mit den Titeln seiner Partnerverlage erscheint das Blatt mit Lokalausgaben in Städten und Gemeinden wie Geislingen, Ehingen, Heidenheim, Münsigen, Crailsheim, Balingen oder Hechingen, in Tübingen, Göppingen oder Reutlingen, die verkaufte Auflage beträgt 275.834 Exemplare (laut IVW, 3/2015).


Wirtschaftlich gesundes Ländle


In einer Region, die sich gerne als wirtschaftlich gesund präsentiert, in der die Menschen in Lohn und Brot sind und die Universitätsstadt Ulm mit seinen gut 120.000 Einwohnern das Oberzentrum, hat die Debatte um die Berichterstattung über Flüchtlinge eine Wut entfacht, die die Journalisten der "SWP" "in dieser Wesen noch nie in ihrem Berufsleben erfahren haben", schreibt Ulrich Becker in einem lesenswerten Kommentar. Becker kritisiert, dass es in diesen Nachrichten an die Redaktion nicht um die Kritik an einem Thema gehe, um einen sachlichen Austausch zwischen Lesern und Journalisten, Becker nennt Beispiele, die erschrecken: "Wir werden Sie schon kriegen, Sie Deutschlandabschaffer!" - "Werden Sie eigentlich von der größenwahnsinnigen Kanzlerin bezahlt für den Schwachsinn, den Sie veröffentlichen?" - "Eines Tages sind wir dran, und dann werdet ihr sehen, was ihr davon habt." - "Ihnen hat man wohl ins Gehirn geschissen." - "Deutschland wird erwachen."


"Dramatik soll unter Tisch fallen"


Laut Becker habe die Flut der Mails mit den ersten Pegida-Demonstrationen und ihrem "Schlachtruf Lügenpresse" begonnen: "Seitdem besteht die deutsche Presselandschaft in den Augen der selbsternannten Retter des Abendlandes aus willfährigen Knechten, die wahlweise von der CIA, dem Kanzleramt oder wem auch immer bezahlt werden. Auf jeden Fall ist die Berichterstattung in der verdrehten Logik dieser Klientel nicht wahrhaftig, unterschlägt Fakten und hat nur eines im Sinn: Die Bevölkerung im Unklaren darüber zu lassen, welche Dramatik sich tatsächlich hinter den Flüchtlingszahlen verbirgt."


Der erfahrene Journalist gibt auch seltene Einblicke in die Arbeit seines Teams, so sagt er, in der "SWP"-Redaktion werde oft darüber diskutiert, wie man sich zu Themen positioniere und welche Haltung die Redaktion einnehme: "Dabei spielen natürlich auch die persönlichen Einstellungen der Redakteure eine Rolle - niemand kann und soll seine Haltung an der Bürotür ablegen und wie eine Jacke an den Garderobenhaken hängen. Deshalb ringen wir jeden Tag darum, was veröffentlicht werden muss aus der Flut der Meldungen - immer dem Anspruch verpflichtet, dabei so wahrhaftig wie möglich zu bleiben."


"Wir achten die Würde des Menschen"


An der eigenen, klaren Berichterstattung werde die Redaktion natürlich weiterhin festhalten, betont Ulrich Becker: "Wir achten die Würde des Menschen - so wie es in unseren redaktionellen Richtlinien steht. Deshalb werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass jeder Flüchtling, egal woher und warum er zu uns kommt, mit Respekt und Anstand behandelt wird." Und zwar "ganz gleich, wie viele Hass-Mails die Redaktion noch erreichen werden."


Ulrich Beckers Kommentar "Der Hass widert uns nur noch an" ist kein Hilferuf, aber seine Zeilen machen deutlich, dass die Saat der rechten Menschenfänger von Pegida bis AfD nicht alleine in Sachsen und dort vor allem rund um Dresden, sondern in ganz Deutschland aufgegangen ist - auch im Westen, auch auf dem Land, auch in wirtschaftlich gesunden Regionen. Was können Deutschlands Medien in dieser Situation machen? Ihren Lesern Einblicke in ihre Arbeit geben, mit Offenheit und Transparenz deutlich machen, dass eine Zeitung nicht denen folgt, die am lautesten schreien, sondern sich gerade in schwierigen Zeiten mit ganzer Kraft für die freiheitliche demokratische Grundordnung einsetzt. Nur mit Haltung können Redaktionen in diesen Zeiten bestehen.


Bülend Ürük