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Abschied von Frank Schirrmacher: "Daß schließlich auch alles hätte ganz anders kommen können, ist die melancholische Hypothese, mit der Lebensbilanz gezogen wird"

So jung Frank Schirrmacher den journalistischen Olymp bestiegen hatte, so jung und völlig überraschend hat er sie in einer Zeit verlassen, in dem kritische Vordenker dringend wie selten zuvor benötigt werden. Von Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

Salzburg - Mit gerade einmal 34 Jahren wurde Schirrmacher 1994 Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Das Feuilleton hat er seitdem zu einem Ort der Pluralität, der Vielschichtigkeit gemacht. Am Donnerstag ist er im Alter von 54 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts in Frankfurt gestorben.

"Daß schließlich auch alles hätte ganz anders kommen können, ist die melancholische Hypothese, mit der Lebensbilanz gezogen wird" - der Satz stammt aus einem der ersten Artikel von Frank Schirrmacher überhaupt in der FAZ vom 24. November 1984. „Der Historiker als Glücksritter“ ist die Rezension betitelt, Schirrmacher beschäftigt sich dort mit dem Werk „Ungeschehen Geschichte“ von Alexander Demant.

Der Untertitel des Buches wirft folgende Frage auf: „Ein Traktat über die Frage: Was wäre geschehen, wenn…?“ und womöglich werden sich Historiker in späteren Jahren gerade diese Frage stellen, wenn sie an den viel zu frühen Abschied von Frank Schirrmacher aus dem Kreise der Wortführer und Debattenermöglicher diskutieren werden.

 

Der Journalist und Autor Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und verantwortlich für das Feuilleton, ist tot. Er starb am Donnerstag an den Folgen eines Herzversagens. Schirrmacher hinterlässt seine Ehefrau, die Journalistin Rebecca Casati, und zwei Kinder. Foto: FAZ

 

 

Schirrmachers Karriere verlief schnell, und sie war ein Durchmarsch in einer bundesrepublikanischen Institution, wie es sie seitdem nicht mehr gegeben hat. Der Ausnahme-Journalist benötigte keine zehn Jahre von Hospitation bis zur Übernahme der Mit-Herausgeberschaft der FAZ im Jahr 1994, mit gerade einmal 34 Jahren hatte er zuerst Marcel Reich-Ranicki 1990 als Leiter der Redaktion „Literatur und literarisches Leben“ beerbt und folgte dann Joachim Fest, der Schirrmacher als seinen Nachfolger dem Herausgeber-Gremium empfahl.

Wie kein anderer Journalist hat Schirrmacher Themen erkannt und früher als viele andere auf die Agenda gesetzt. Wenn Kai Diekmann der Mann für das jetzt, der Seismograph für die Stimmung in der Bevölkerung für das Aktuelle ist, so war Frank Schirrmacher, der mit Diekmann die Begeisterung für Helmut Kohl teilte, der Mann für das Morgen, für die Themen, mit denen sich zuerst die Intelligenzija beschäftigen musste, bevor der Diskurs dann in irgendwelchen Talkshows im Fernsehen landete. Schirrmacher hat den Wandel erkannt, bevor er zum Mainstream wurde.

Die Stärke von Frank Schirrmacher war es auch, Themen selbst dann weiter zu beleuchten, wenn andere die Diskussion als erledigt betrachteten.

Schirrmacher war ein Freund der Deutlichkeit, der klaren Sprache. Wer als Journalist, der sich mit Wirtschaft und Medien beschäftigt, mit ihm zu tun hatte, musste sich darauf einstellen, dass er sich meldet, wenn ihm etwas missfällt. Dass er dann laut wird, kritisiert, den Text zerpflückt. Er fand aber auch positive Worte; wenn ihm etwas zusagte aber auch, wenn er eine Frage zu einer Entwicklung in einem anderen Medienhaus hatte oder mal eine andere Einschätzung hören wollte, griff er zum Telefonhörer, rief persönlich an.

Sein Lob konnte einen in Tagen des Missmuts wieder aufrichten.

Der Abschied von Frank Schirrmacher trifft seine Familie, aber auch Redaktion und Verlag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hart. Schirrmacher war es, der mit Nachdruck den Umbau der Internet-Ausgabe vorantrieb, er mischte sich auch in 140 Zeichen in Diskussionen auf Twitter ein, wenn er wieder einmal an dem journalistischen Betrieb verzweifelte. Er verkörperte wie kein Zweiter die FAZ in diesem "Neuland".

Die Stimme des Wiesbadener Beamtensohnes, der mit seiner Wortmacht inspirieren konnte wie kein zweiter Journalist, der seine Leserschaft mit einem kleinen Kommentar spalten oder mit einer Debatte vereinen konnte, wird fehlen. Deutschland ist um einen klugen Kopf ärmer.

Bülend Ürük