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Chefredaktor Bernhard Rentsch: „Für politische Debatten im Stadtparlament zahlt der politiaffine Leser“

Wie können Lokalzeitungen Geschichten modern erzählen? Und wie kann eine Bezahlschranke funktionieren? Ein Rezept hat das "Bieler Tagblatt".

Bayreuth - Für ihr Visual Storytelling erhält das "Bieler Tagblatt" auch in diesem Jahr erneut einen "European Newspaper Award". Im Gespräch erklärt Bernhard Rentsch, Chefredaktor vom "Bieler Tageblatt", was sein Blatt anders macht. Für Bernhard Rentsch muss immer der Mensch im Mittelpunkt stehen.

Welche Rolle spielt Visual Storytelling in ihrem Alltag und was macht erfolgreiches Visual Storytelling aus?

 

Bernhard Rentsch: Der Chefredaktor des "Bieler Tagblatts" verrät beim 22. Forum Lokaljournalismus in Bayreuth, wie Visual Story-Telling im Lokalen erfolgreich funktionieren kann.

 

Bernhard Rentsch: Wir versuchen schon, Storytelling in unseren Alltag einzubauen. Bei jedem Thema soll geprüft werden, ob nicht eine „Geschichte mit Menschen“ ins Zentrum gestellt werden kann. Aus dem „Storytelling“ wachsen dann Ideen für das Visual Storytelling. Die Idee am Anfang ist das A und O, dann ist es eine Frage der Planung. Wir haben hier überhaupt keine Spezialisten oder Schulungen, ich setze auf Ideenreichtum. Es ist wichtig, dass der Journalist, die Journalistin die Endidee für die Grafiker beschreiben kann. Ich muss sie nicht zeichnen und nicht darstellen können – das ist dann die Aufgabe der Grafik – aber ich muss sie erklären können. Je einfacher die Idee ist, desto spannender kann sie umgesetzt werden. Man kann es nicht taktisch oder strategisch erzwingen. Auch Gelegenheiten und Ressourcen schränken die Umsetzung ein. Deshalb: Qualität vor Quantität. Visual Storytelling können gerade kleinere Redaktionen wie unsere nicht täglich, nicht wöchentlich einsetzen, sondern sehr punktuell.

Welche Themen funktionieren am besten?

Bernhard Rentsch: Bauprojekte funktionieren bei uns generell ganz gut, Sportstadien oder Städtebau. Den Preis haben wir gewonnen, als wir einen Tunnelbau visualisiert haben. Gut darstellbar ist immer die Vogelperspektive, Pläne von oben, maßstabgetreue Situationsanalysen, wie wird eine Autobahn durch eine Stadt gebaut, wie entsteht ein Quartier. Auch die Ansicht von außen wie ein Foto, das weiterentwickelt wird, funktioniert. Zum Beispiel ein Wohnhaus, bei dem man hinter die Kulissen blickt. Wir müssen unseren Lesern nicht irgendwelche Bilder zeigen, die sie noch nie gesehen haben. Es geht viel mehr darum, dass bestehendes Material lesergerecht aufbereitet wird. Das kann die Bildsprache sein, eine Reihenfolge von bestehenden Bildern oder Pläne. Dabei soll man sich auch nicht zu schade sein, bei den Mitbewerbern reinzuschauen. Kopieren ist dabei allerdings verboten. Weshalb aber nicht gute Ideen weiterentwickeln und für den eigenen Bereich adaptieren? Unsere Kunden vergleichen viel weniger mit anderen Zeitungen als wir selber.

Was ist der Mehrwert von Visual Storytelling für den Lokaljournalisten, auch für politische Berichterstattung? Wieso sollte man das tun?

Bernhard Rentsch: Wenn schwierige Themen mit Bildern erzählt werden können, ist der Mehrwert automatisch gegeben. Einfachheit und Reduktion sind bei der visuellen Umsetzung Pflicht. Die Leser bleiben dadurch auch eher einmal bei einem Thema hängen, das sie sonst nur aufgrund des Titels nicht unbedingt interessiert hätte. Gutes Visual Storytelling ist also auch Eigenmarketing. In der politischen Berichterstattung ist das etwas schwieriger, da haben wir mehr Praxismühe. Wir sind schnell bei den klassischen Infografiken. Um richtig gute Infografiken herzustellen, braucht es aber viel Können, sehr viel Wissen und vor allem Ressourcen. Eine komplette politische Diskussion grafisch darzustellen haben wir bisher noch nicht geschafft. Das wäre eine spannende Aufgabe. Aber in der politischen Berichterstattung muss man auch aufpassen, dass man die Dinge nicht Schwarz-Weiß malt.

Was können die Kollegen in Deutschland und Österreich vom Schweizer Lokaljournalismus lernen?

Bernhard Rentsch: Wenn die Aussage „die Zukunft gehört den Riesen und den Zwergen“ gilt, dann müssen die Zwerge ihre Stärken insbesondere im Lokalen suchen. Das kann erfolgreich sein. Lokalmedien konzentrieren sich einzig auf ihren „Mikrokosmos“. Der Verzicht auf scheinbar Wesentliches oder Relevantes ist im Lokaljournalismus Pflicht und Voraussetzung. Zunehmend sind es die Kunden, die uns sagen, was für sie relevant ist und für was sie bereit sind, zu zahlen. Die Medienschaffenden sind auf einer schwierigen Gratwanderung zwischen Angebot und Nachfrage. Vielleicht sind da die Gewohnheiten in den kleinen Märkten in der Schweiz etwas flexibler.

Wie sieht es denn in Ihrem Schweizer Mikrokosmos aus?

Bernhard Rentsch: In zwei Richtungen beginnt die französische Sprache, da sind wir nicht präsent oder interessiert. Auf der einen Seite ist eine Kantonsgrenze, wo auch andere Medien tätig sind. Und in der dritten und vierten Richtung ist es eine kleine Hügellandschaft, die uns abtrennt von der Bundeshauptstadt Bern. Unser Raum ist geografisch, medial und wirtschaftlich begrenzt, nicht sehr groß, gibt uns aber die Möglichkeit, hier unsere Kompetenz voll auszuspielen. Wir konzentrieren uns auf den Mikrokosmos Biel und die Region Seeland. Die Frage lautet immer: Wer, wenn nicht das Bieler Tagblatt? Das ist unsere Stärke. Wenn wir das journalistisch korrekt abhandeln, wenn wir dazu auch bildlich und grafisch immer wieder überraschen können, haben wir eine Chance. Wir sind genau im gleichen Verdrängungsmarkt wie alle anderen Medien. Unsere Auflagen und Leserzahlen sinken, die Produktion ist teuer, der Verlag unter Druck. Ich behaupte, dass das eine Chance ist. Ich bin lieber ein Zwerg, der überlebt, als ein Riese, der in der Größe auch irgendwann mal untergeht.

Was ist für die Kunden relevant?

Bernhard Rentsch: Unfälle, Brände, das ist das, was läuft. Das ist schon ernüchternd. Da platzieren Sie online zwei Verkehrsunfälle oben auf der Seite, und die werden dann vier Mal so oft geklickt wie die umfassendste und sehr gut recherchierte politische Berichterstattung. Die Leser befehlen, was sie wollen, das ist eine Tendenz, aber die qualitative Umsetzung und die Wünsche der Leser sind noch nicht so, wie ich eine Zeitung machen möchte. Das ist ein Widerspruch.

Wofür sind die Kunden bereit, im Netz zu bezahlen?

Bernhard Rentsch: Wir haben seit ungefähr zwei Jahren als eine der ganz wenigen Zeitungen oder Verlage in der Schweiz eine konsequente Paywall. Bei uns sind der Agenturstoff und die Fotogalerien öffentlich, aber die eigenen Texte von unseren angestellten Mitarbeitern sind relativ schnell hinter dieser Bezahlschranke. Das muss sein, aber es stößt noch häufig auf Ablehnung. Wir twittern, setzen die Artikel auf Facebook, und dort entstehen immer wieder Widerstände, weil wir Verlinkungen in die Welt bringen, die dann bei der Paywall enden. Das löst dann schon Emotionen aus. Wir sprechen nicht von großen Summen, es sind vielmehr die Gewohnheiten – man zahlt doch nicht für News! Kritik und Verständnis halten sich aber die Waage. Wir haben nie auf große Reichweite gearbeitet, deshalb haben wir bei der Einführung dieser Paywall auch keine große Reichweite verloren. Die Leser sind bereit zu bezahlen, wenn es der wirklich fast monopolistisch dargestellte Lokalstoff ist. Wenn eine politische Debatte im Stadtparlament läuft, dann zahlt der politaffine Leser. Wir arbeiten daran, auf dieser bescheidenen Basis aufzubauen und mit unseren Content so gut zu sein, dass die Frage „Wer, wenn nicht das Bieler Tagblatt“ täglich gestellt werden muss.

Die Fragen an Bernhard Rentsch, Chefredaktor des Bieler Tagblatts, stellte Sabrina Gaisbauer.

Newsroom.de-Tipp: Beim 22. Forum Lokaljournalismus 2014 der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb vom 29. bis 31. Januar 2014 in Bayreuth bietet Bernhard Rentsch Einblicke in das Visual Story-Telling beim "Bieler Tagblatt".