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Der Kompass für die Guten: Barbara Brandstetter über WiWo-Journalistin Melanie Bergermann

Am Mittwochabend ist "Wirtschaftswoche"-Reporterin Melanie Bergermann als "Wirtschaftsjournalistin des Jahres" in Frankfurt ausgezeichnet worden.

Frankfurt - Wir dokumentieren die Laudatio von Prof. Dr. Barbara Brandstetter, Hochschule Neu-Ulm.

Wer sich an die Lektüre von Lehrbüchern über die Recherche im Journalismus begibt, stößt unweigerlich auf das Zitat des US-Journalisten Brendon Mitchener aus dem Jahr 1994. Der Journalist des International Harald Tribune stellte damals den Rechercheleistungen deutscher Redakteure ein Armutszeugnis aus.

Er sagte – ich zitiere: „Sehr viele Zeitungsartikel beinhalten keine eigene Recherche, sondern sind weitgehend unkritisch. Mit wenigen Ausnahmen halte ich die Journalisten für zu passiv und vielleicht ein wenig faul.“

 

Prof. Dr. Barbara Brandstetter, Hochschule Neu-Ulm, hielt am Mittwochabend die Laudatio auf Melanie Bergermann, "Wirtschaftsjournalistin des Jahres".

 

Fakt ist, dass es Mitchener mit seiner Behauptung über recherchefaule deutsche Journalisten zumindest in einigen Lehrbüchern zu einiger Berühmtheit gebracht hat. Journalisten, die lieber auf die Agentur warten, als selbst zum Telefonhörer zu greifen. Fakt ist jedoch auch, dass Mitchener damals sicher keinem Journalisten wie Melanie Bergermann begegnet ist. Denn sonst hätte er sich in dieser Form nie geäußert.

Ich freue mich sehr, dass wir Melanie Bergermann als Wirtschaftsjournalistin des Jahres 2013 auszeichnen. Eine Journalistin, die stetig mit exklusiven Geschichten aufwartet. Ich lese seit Jahren sehr gerne die Artikel von Melanie Bergermann in der Wirtschaftswoche. Bei der Lektüre habe ich oft gedacht: ein wirklich guter Text. Und dann aber auch: was für ein Rechercheaufwand.

2013 gelang ihr ein Coup mit den Enthüllungen der dubiosen Machenschaften der S&K Gruppe. Mit ihren Recherchen kam sie sogar der Staatsanwaltschaft zuvor. Das Unternehmen hatte Anleger mit dem Versprechen hoher Renditen in seine Sachwerte-Fonds gelockt. Angeblich abgesichert durch Stammkapital und eigene Immobilien. Doch einige Immobilien gehörten S&K gar nicht, bei anderen war der Wert zu hoch angesetzt – Das brachte die Rechercheleistung von Melanie Bergermann ans Licht. Dafür hat sie sich durch ein komplexes Dickicht an Gesellschaften gewühlt, Auszüge aus Grundbüchern, Handelsregister und Bundesanzeiger studiert. Und da es schöne Fotos vom ausschweifenden Lebenswandel der beiden Geschäftsführer mit halbnackten Frauen und großen Autos gab, wanderte die Geschichte aus dem grauen Kapitalmarkt sogar auf den Titel der Wirtschaftswoche – keine Selbstverständlichkeit bei einem so sperrigen Thema, das sich normalerweise schwer bebildern lässt.

Aber S&K ist nur eine der exklusiven Geschichten von Melanie Bergermann. Sie hat sich über die Jahre zu einem Garant für investigative Enthüllungen entwickelt. 2013 deckte sie nicht nur die dubiosen Geschäfte von S&K auf, sondern auch die der Marseille Kliniken oder des Kunststoffbauers Balda – um nur einige zu nennen. Auch ihr Bericht über den Vertriebsdruck von Bankberatern hat für großes Aufsehen gesorgt. Die Recherchen zu diesem Artikel führte sie in den Jahren 2008/2009 zu Zeiten der Finanzkrise.

Damals war Melanie Bergermann Bankenreporterin.

In dem Text kommen etliche Kronzeugen zu Wort. Behauptungen werden anhand von Unterlagen belegt. Sie alle hier im Saal wissen, dass sich insbesondere Leute, die nie mit der Presse zu tun haben, zieren, Papiere herauszurücken. Was ist Bergermanns Patentrezept? Ich habe sie gefragt. Sie sagt: Ich lasse den Leuten Zeit. Es geht nicht um die schnelle Geschichte. Der geht es um die Sache. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen, damit die Leute sehen: Der kann ich die brisanten Unterlagen geben.

Fragt man ehemalige Kollegen oder aktuelle Mitstreiter von Melanie Bergermann, dann sind sie sich in einem einig: Ihre Rechercheleistung ist gigantisch. Sie geht ganze Aktenordner und Berge an Dokumenten durch. Sie sichtet Geschäftsberichte der vergangenen zehn Jahre. Bei ihrer Recherche ist sie vollkommen unerschrocken.

Eigentlich telefoniert sie ununterbrochen. Das sei manchmal so extrem gewesen, dass man ihren Rechercheeifer belächelt habe. Man habe auch manchmal – insbesondere bei dem Artikel zu den Bankberatern - gesagt: Mensch Melanie, jetzt lass es doch mal gut sein mit der Recherche. Willst Du jetzt nicht mal aufhören und anfangen zu schreiben?

Sie selbst sagt, sie liebt die Recherche. Und sie liebt die Herausforderung. Je komplizierter ein Firmengebilde, umso besser. Denn dann sei die Freude besonders groß, wenn man das Schlupfloch gefunden hat. Sich einzuarbeiten, Sachen zu hinterfragen - „rumzuwühlen“ wie sie sagt - das liegt ihr. Und die Akribie das Recherchierte wieder und wieder zu prüfen. Nur keinen Fehler, sich nicht angreifbar machen.

Was fällt den Kollegen noch zu Melanie Bergermann ein? Sie hat ein Faible für die Guten, sagen sie unisono. Menschen, denen der moralische Kompass abhanden gekommen ist, sollen ihre gerechte Strafe bekommen. So wie eben die Geschäftsführer von S&K Immobilien.

Sie selbst sagt, dass es sie aufregt, wenn Menschen hart für ihr Geld arbeiten und andere es ihnen dann einfach wegnehmen. Sie ist bei ihren Recherchen auch unter Druck gesetzt und verfolgt worden. Doch einschüchtern lässt sich Melanie Bergermann nicht. Drohungen wecken bei ihr, wie sie sagt, eher die Haltung „Jetzt erst Recht“. Wenn die Leute auf diese Art und Weise reagieren, sei die Wahrheit oft noch schlimmer. Wenn man sich einschüchtern lässt, hätten sie gewonnen. Und das könne schließlich nicht sein.

Bei dem Artikel zu S&K ist sie stolz, dass die Wirtschaftswoche die Geschichte gedruckt hat. Denn juristische Drohungen hätte es auch schon vor der Veröffentlichung gegeben. Da brauche man einen Chef und Kollegen, die hinter einem stehen und die kritische Berichterstattung trotz der Einschüchterungsversuche ermöglichen.

Die Kollegen sagen: Die Verbrauchersicht. Das ist ihr Herzensthema. Dafür brennt sie. Als klassische Dax-Berichterstatterin hätte sie sicher nicht den Erfolg, den sie mit den Verbraucherthemen hat. Mit diesen trifft sie den Nerv der Leser. Das bestätigen auch Studien: Wenn Wirtschaftsjournalisten von Publikumsmedien in der Berichterstattung die Perspektive der Arbeitnehmer, Steuerzahler oder Anleger einnehmen, haben die Texte eine hohe Einschaltquote.

Der Schriftsteller Mark Twain hat einmal despektierlich gesagt, Journalisten seien Leute, die ein Leben lang darüber nachdenken, welchen Beruf sie eigentlich verfehlt haben. Wieder ein Zitat, das nicht auf Bergermann zutrifft. Sie sagt: „Es ist ein Luxus, in diesem Beruf arbeiten zu können. Ich habe einen wahnsinnig tollen Job.“

Kollegen sind sich einig: Melanie Bergermann ist trotz inzwischen zahlreicher Auszeichnungen bescheiden geblieben. Sie sei extrem unkompliziert. Sie sei ein Ruhrpottgewächs - eine Frau, die geradeheraus sagt, was sie denkt.

Jetzt will ich zum Schluss kommen. Auch wenn Melanie Bergermann ihre Geschichten gedanklich oft mit nach Hause nimmt, wie sie sagt, gibt es auch ein Leben jenseits des Frankfurter Büros und des grauen Kapitalmarkts: Sie ist seit früher Jugend leidenschaftlicher Fan von Schalke04. Und Schalke spielt heute ab 20.45 Uhr in der Champions League gegen Real Madrid. Eine spannende Partie, bei der Schalke jedoch noch wenig bewegen kann. In der Bundesliga sieht es für Schalke hingegen sehr gut aus. Aktuell Platz 3 – gerade einmal einen Punkt hinter Borussia Dortmund, die Melanie Bergermann wie die Kollegen behaupten nur die „Zecken“ nennt.

Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung als Wirtschaftsjournalistin des Jahres 2013!

Barbara Brandstetter

 

Anmerkung: Rund 130 Wirtschaftsjournalisten, Chefredakteure und Kommunikationsprofis waren in die Alte Oper nach Frankfurt gekommen. Eine Auswahl der Fotos finden Sie in der Newsroom-Galerie.