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FAZ-Korrespondent Michael Martens: "Beim nächsten Mal würde ich nach seinem Lieblingsessen fragen"

Ein heftiger Streit tobt zwischen dem griechischen Oppositionsführer Alexis Tsipras und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Grund sind angeblich "unethische Fragen" des FAZ-Korrespondenten Michael Martens.

Istanbul - Martens wehrt sich gegen die Vorwürfe, in der "FAS" hat er einen langen Artikel geschrieben und die noch nicht einmal acht Minuten dokumentiert, bevor Tsipras das Interview abgebrochen hat. Im Anschluss beschwerte sich sogar seine Pressesprecherin bei FAZ-Herausgeber Günther Nonnenmacher.

"Und willst du nicht mein Bruder sein" hat Martens seinen Bericht genannt, die "Geschichte einer Kommunikationsstörung". Im Gespräch mit Newsroom.de erklärt Michael Martens, warum er sogar den Audio-Mitschnitt online veröffentlicht hat, wie die Medien in Griechenland reagiert haben und ob er bei Interviews eigentlich immer gleich mit der Tür ins Haus fällt.

Newsroom.de: Herr Martens, wie oft beschweren sich Ihre Interviewpartner eigentlich bei den Herausgebern der FAZ?

Michael Martens: Seit ich 2002 Korrespondent wurde, war es das erste Mal. Allerdings hat vor einigen Jahren schon einmal ein Pressesprecher des britischen Liberalen Paddy Ashdown versucht, mich bei Vorgesetzten anzuschwärzen, was dann auf ihn zurückfiel.

 

Michael Martens. Foto: FAZ

 

Interview nach der fünften Frage abgebrochen

Newsroom.de: Alexis Tsipras, Oppositionsführer in Griechenland, hat jetzt ein Interview abgebrochen, welches Sie mit ihm in Athen geführt haben. Was genau ist passiert?

Michael Martens: Ich habe Herrn Tsipras Fragen gestellt, die ihm nicht gefielen, und nach der fünften Frage war Schluss. Das war eigentlich alles.

Ich möchte auch betonen: Dass ein Politiker ein Interview abbricht, halte ich für sein gutes Recht. Journalisten haben kein Grundrecht auf Interviews mit Politikern, und Politiker müssen sich nicht alles gefallen lassen. Problematisch war, was nach dem Interview geschah.

Newsroom.de: Seine Pressesprecherin hat bei Ihrem Herausgeber interveniert. Wie war die Reaktion von Günther Nonnenmacher?

Michael Martens: Die Korrespondenten der FAZ arbeiten sehr selbstständig. Das funktioniert nur, wenn die Redaktion dem Korrespondenten vertraut – und wenn der keinen Anlass zur Beschädigung dieses Vertrauens gibt. Es gab nicht den geringsten Zweifel, dass die in Tsipras´ Namen gegen mich erhobene Beschuldigung, ich hätte „die Grenzen journalistischer Arbeitsethik weit überschritten“, zutreffend sein könnte.

"Frechheit ist keine journalistische Tugend"

Newsroom.de: Haben Sie denn im Interview gemerkt, dass die Atmosphäre gleich am Anfang Ihres Gespräches belastet war?

Michael Martens: Zunächst: Ich führe keineswegs immer derart konfrontative Interviews und halte auch nichts von Kollegen, die Unverfrorenheit oder Respektlosigkeit mit kritischem Journalismus verwechseln. Frechheit ist keine journalistische Tugend. Den damaligen griechischen Wirtschaftsminister Chrysochoidis, der einen Mordanschlag überlebt hatte, fragte ich im Februar 2012 zum Einstieg in ein Interviews ganz vorsichtig, wie er als Mensch mit dem enormen Druck umgehe, der heutzutage auf jedem griechischen Regierungspolitiker lastet.

Normalerweise lege ich besonders scharfe Fragen auch nicht an den Anfang, sondern irgendwo in die Mitte oder an das Ende eines Gespräches, wenn die Gesprächspartner schon denken, da komme nichts mehr. Nun ist Tsipras aber ein Politiker mit einer dermaßen scharfen Zunge, dass ich glaubte, wer so austeilen kann, knicke auch nicht gleich ein, wenn unangenehme Fragen kommen. Ich dachte, jemand wie Tsipras könne damit umgehen. Ein Irrtum.

Newsroom.de: Manche machen Ihnen den Vorwurf, dass es zu nichts führe, einen Politiker wie in einem Verhör ständig nur alte Aussagen vorzuhalten, statt ihn nach Ideen für die Zukunft zu befragen.

Nur fünf von 25 Fragen gestellt

Michael Martens: Ich habe Tsipras nicht verhört, sondern nur freundlich gebeten, einige seiner Aussagen zu erläutern, weil ich wissen wollte, ob er weiterhin dazu steht. Außerdem kann niemand wissen, wie das Interview sich weiter entwickelt hätte, weil ich von etwa 25 Fragen nur fünf stellen konnte. Ich hatte auch viele in die Zukunft gerichtete Fragen vorbereitet. Zum Beispiel wollte ich wissen, wie Tsipras sich in einer Welt, in der er das Sagen hätte, die künftige Architektur der Eurozone vorstellt – aber bis dahin kam ich leider nicht.

Newsroom.de: Sie sind kurze Zeit später von der Athener Zeitung "Avgi" massiv persönlich angegriffen worden. Haben Sie damit gerechnet, dass ein Interviewversuch solche Reaktionen auslösen würde?

Michael Martens: „Avgi“ ist die Parteizeitung von Tsipras´ Linksbündnis Syriza, da steht sie natürlich an der Seite ihres Chefs. „Avgi“ schoss los, als noch niemand in der Öffentlichkeit von dem Vorfall wusste. Erst durch den Text in „Avgi“ und dann vor allem durch die bemerkenswert schlecht recherchierte Beschwerde bei Herrn Nonnenmacher wurde aus dem abgebrochenen Interview eine Geschichte, die aufschreibenswert war – weil sie eben mehr erzählt als nur von einer unglücklichen Begegnung zwischen einem Politiker und einem Journalisten. Auch wenn es etwas hochtrabend klingt: Hier geht es auch um das Verständnis, das der mögliche künftige Ministerpräsident eines für die Zukunft der Eurozone maßgeblichen Landes und seine Partei von Pressefreiheit und Demokratie haben.

Audio-Mitschnitt vom Interview-Versuch online gestellt

Newsroom.de: Warum haben Sie neben dem großen Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" auch den Audio-Mitschnitt des Interview-Versuches auf der Website veröffentlicht? Sorgt das nicht für weitere Verstimmungen mit Alexis Tsipras?

Michael Martens: Die Partei von Tsipras hat mich, als ich noch keine Zeile über den Vorfall geschrieben hatte, bei meinem Herausgeber und auch öffentlich beschuldigt, meine Fragen beruhten auf „Gerüchten, Aussagen Dritter und ungeprüft übernommenen Informationen“. Nachdem ich beweisen konnte, dass meine Fragen auf Aussagen Tsipras´ beruhten, ließ sich diese Linie nicht mehr halten. Also erschien in „Avgi“ ein zweiter Artikel, in dem es nunmehr hieß, nicht die Fragen an sich seien der Grund für den Rauswurf gewesen, sondern der angeblich unverfrorene Ton, in dem ich sie vorgebracht habe.

Der Vorwurf verbreitete sich rasend schnell über griechische Blogs, die sozialen Medien und die Websites griechische Zeitungen, was übrigens meine Aussichten gefährdete, künftig noch Interviews mit führenden griechischen Politikern zu bekommen – wer will schon mit arroganten Deutschen reden? Als mich eine Kollegin der Athener Zeitung „Ta Nea“ fragte, ob ihr Blatt den Mitschnitt des Gesprächs online stellen könne, sagte ich daher zu – damit sich die Griechen selbst ein Urteil darüber bilden können, ob mein Ton unverschämt war oder nicht. Gleiches gilt für deutsche Leser.

Newsroom.de: Als Korrespondent der FAZ mit Sitz in Istanbul konnten Sie Athen wieder verlassen. Unter welchem Druck müssen die Kollegen eigentlich stehen, wenn schon gegen Sie als Berichterstatter so massiv von der Politik vorgegangen wird?

Michael Martens: Druck gibt es durchaus, vor allem von Syriza, die wenig souverän mit Kritik umgeht. Aber man sollte das nicht dramatisieren: Anders als in der Türkei, wo ich lebe, herrscht in Griechenland Pressefreiheit. Die Athener Zeitung „Kathimerini“ ist, finde ich, eine der besten Europas.

"Syriza ist nah am Wasser gebaut"

Newsroom.de: Sie schreiben, dass mehrfach versucht wurde, herauszufinden, welche Athener Kollegen Sie vor dem Interview getroffen haben. Wie haben die griechischen Kollegen zu diesem Disput mit Alexis Tsipras reagiert?

Michael Martens: Ich habe von griechischen Kollegen im Zuge dieser Angelegenheit gelernt, dass Tsipras´ Partei Syriza zwar generell bei Angriffen auf ihre Gegner keine Hemmungen kennt, aber nah am Wasser gebaut hat, wenn es darum geht, Kritik auszuhalten.

Newsroom.de: Hätte Alexis Tsipras das Interview zu Ende geführt, wenn Sie das Interview nicht für eine deutsche, sondern eine französische Zeitung geführt hätten?

 

Zur Person: Michael Martens, Jahrgang 1973, kam 2001 in die Nachrichtenredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Davor war der gebürtige Hamburger unter anderem Redakteur der "St. Petersburgischen Zeitung", der ältesten deutschsprachigen Auslandszeitung. Martens berichtet seit 2009 von Istanbul aus für die FAZ über die Türkei und den Balkan.

 

Michael Martens: Eine interessante Frage, aber ich möchte darüber nicht spekulieren. Im Zweifelsfall sieht es für Tsipras natürlich gut aus, wenn er jetzt sagen kann, er habe, anders als der angeblich servile griechische Ministerpräsident Antonis Samaras, einem dieser arroganten Deutschen endlich einmal gezeigt hat, wo Bartl den Most holt.

Der gesamte Wahlkampf von Syriza im vergangenen Jahr beruhte ja darauf, dass die Partei behauptete, einmal an die Macht gelangt, werde sie auf den Tisch hauen und den Kreditgebern des Landes zeigen, wo der Hammer hängt.

Neues Interview mit Tsipras nur ohne Martens möglich

Newsroom.de: Glauben Sie, dass es nochmals zu einem Interview mit Tsipras und der FAZ kommen wird?

Michael Martens: Die Pressesprecherin von Syriza hat der FAZ ein Interview angeboten unter der Voraussetzung, dass ich nicht dabei bin. Da sich unsere Zeitung, wie jede andere, nicht gern vorschreiben lässt, wen sie zu einem Interview schicken darf, wird es in diesem Leben zumindest für mich wohl nicht mehr zu einem Interview mit Herrn Tsipras kommen. Das ist schade, denn ein griechischer Blogger hat mir schon einige hervorragende Ideen für ein mögliches nächstes Interview gegeben. Ich würde mich daran halten und knallhart nachfragen: 1. Was ist Ihr Lieblingsessen? 2. Welches ist Ihre Lieblingsinsel? 3. Was ist Ihre Lieblingsfarbe? Das sind unbequeme Fragen, aber ein Spitzenpolitiker muss das aushalten können.

Mit Michael Martens, Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit Dienstsitz Istanbul, sprach Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

 

Newsroom.de-Service: Lesen Sie hier den Bericht "Und willst du nicht mein Bruder sein"

 

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