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Fehler im System: „Zeit Online“ setzt erfahrenen Russland-Korrespondenten vor die Tür

Seine Website ist vorbildlich geführt, seine Auftraggeber sind gelistet, der freie Moskau-Korrespondent Moritz Gathmann verheimlicht nicht, für wen er schreibt.

Moskau - Zähneknirschend muss nun die Redaktion von „Zeit Online“ feststellen, dass Moritz Gathmann dennoch ihre hohen Anforderungen nicht erfüllt. Und hat ihn direkt vor die Tür gesetzt.

Das freie Korrespondentenleben ist ein hartes Brot. Wer auch mal das Land erkunden möchte, muss klug kalkulieren und möglichst viele unterschiedliche Kunden beliefern, übernehmen Zeitungen und Zeitschriften doch praktisch nie oder nur ganz selten in voller Höhe Recherchen vor Ort, die notwendig sind, wenn ernsthaft über eine Region berichtet werden soll.

 

Ausriss aus der Website des Moskauer Korrespondenten Moritz Gathmann: Auftraggeber und Karriereweg sind vorbildlich aufgeführt. Foto: www.moritzgathmann.de

 

 

Moritz Gathmann arbeitet als freier Journalist in Moskau. Geboren 1980 in Göppingen, beliefert er Titel wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, den „Spiegel“ oder „Das Magazin“ mit Berichten und Hintergrundstücken aus Russland. Seit 2008 ist er ebenfalls Mitglied im angesehenen Korrespondenten-Netzwerk n-ost.

Weil er aber als Gastredakteur für die Zeitungsbeilage „Russland Heute“ gearbeitet hat, die in Deutschland der „Süddeutschen Zeitung“ beiliegt, hat sich die Zeit-Online-Chefredaktion von dem erfahrenen Journalisten am Wochenende getrennt.

„Es widerspricht unseren internen Grundsätzen, dass Autoren, die in Journalismus nahen Bereichen wie Marketing oder PR arbeiten, für uns über dieselben Themenbereiche schreiben. Wir haben diese Zusammenarbeit im Vorfeld nicht ausreichend geprüft, das müssen wir uns nun vorwerfen. Wir kritisieren uns selbst und nicht etwa die Tatsache, dass Moritz Gathmann für "Russland Heute“ arbeitet“, betont der stellvertretende „Zeit-Online“-Chefredakteur Markus Horeld gegenüber Newsroom.de.

Moritz Gathmann, der aktuell auch viel direkt aus der Ukraine berichtet, betont gegenüber Newsroom.de, dass er nie ein Geheimnis daraus gemacht habe, „dass ich auf Honorarbasis als Guest Editor, sprich Gastredakteur, für Russland Heute tätig war. Das ist auf meiner Homepage nachzulesen“, so Gathmann.

Gegenüber Newsroom.de gesteht er aber auch ein, dass es richtig gewesen wäre, „spätestens im Januar aus dem Projekt auszusteigen - angesichts der immer stärker werdenden medialen Polarisierung aufgrund der Ukraine-Krise. Hinterher ist man immer klüger“, bedauert Moritz Gathmann.

Bei „Russland Heute“ war Moritz Gathmann laut eigener Aussage vor allem mit Redigieren und Kürzen beschäftigt, "in Einzelfällen habe ich Artikel bei Russland Heute veröffentlicht, die mir lesenswert erschienen, denen aber die berühmte "Fallhöhe" fehlte, um in anderen deutschen Medien zu erscheinen. Hin und wieder wurde ich auch gefragt, Interviews mit in Deutschland ansässigen Experten zu führen“, erklärt Moritz Gathmann.

„In gewisser Weise hat die Redakteursarbeit für Russland Heute mir auch erlaubt, mich in der übrigen Zeit mit "reinem", aber schlecht bezahltem Journalismus zu beschäftigen. Eine andere Sache ist es, wenn es Ereignisse gibt wie jetzt in der Ukraine, dann sind Leute mit Expertise plötzlich sehr gefragt. Andererseits: Gottseidank passieren solche Dinge nicht oft“, so Moritz Gathmann gegenüber Newsroom.de.

Seine Tätigkeit bei „Russland heute“ hat Moritz Gathmann mit sofortiger Wirkung beendet.

n-ost nimmt Moritz Gathmann in Schutz

Dass die Zusammenarbeit mit dem vom russischen Staat teilweise finanziertem Magazin durchaus problematisch sei, betont Hanno Gundert, Geschäftsführer von n-ost, dem Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung: „Moritz Gathmanns Tätigkeit für Russland Heute war ein Verstoß gegen die Grundsätze journalistischer Unabhängigkeit“, so Hanno Gundert zu Newsroom.de: „Er wusste, dass wir sein Engagement für problematisch hielten. Weil wir mit der kremlfinanzierten Beilage nichts zu tun haben wollten, hatten wir übrigens in der Startphase von Russland Heute eine Kooperationsanfrage abgelehnt und den Abdruck von n-ost-Artikeln auf Russland Heute verweigert.“

Gundert nimmt Moritz Gathmann aber auch deutlich in Schutz: „Wir sind gleichzeitig überzeugt davon, dass Moritz Gathmanns journalistische Positionen in seinen Texten für n-ost nicht durch seine Tätigkeit für Russland Heute beeinflusst waren. Auch wir haben deshalb mit ihm zusammengearbeitet, auch wenn es im Nachhinein besser gewesen wäre, die Beendigung seiner Tätigkeit zur Voraussetzung für eine weitere Zusammenarbeit mit n-ost zu machen“, verdeutlicht Gundert gegenüber Newsroom.de.

Zeit Online war mit Moritz Gathmanns Artikeln "sehr zufrieden"

Markus Horeld, stellvertretender Chefredakteur von „Zeit Online“, betont, dass es keine Beschwerden über die Berichterstattung on Moritz Gathmann gab: „Wir waren mit seinen Beiträge sehr zufrieden“, betont Horeld.

Journalistik-Professor Überall kritisiert Zeit Online

Der Kölner Journalistik-Professor Frank Überall kann die Reaktion der „Zeit-Online“-Redaktion nicht verstehen.

Gegenüber Newsroom.de sagt Prof. Überall: „Ich erwarte, dass man sich in solchen Fällen konkret mit den Texten und Inhalten beschäftigt und nicht pauschal einen Journalisten in eine missliebige Ecke stellt. Dass ‚Russland heute’ als PR-Organ der russischen Regierung konzipiert ist, steht wohl seit langem nicht in Frage. Was aber hat Herr Gathmann dort konkret geschrieben? Ist er seinen journalistischen Sorgfaltspflichten dabei nicht nachgekommen? Sollte das der Fall sein, wäre es richtig von der Redaktion ‚ZEIT Online’, die Zusammenarbeit zu beenden“ so Überall, der an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Journalismus lehrt.

Frank Überall betont: „Ansonsten muss es Herrn Gathmann als freiem Journalisten möglich sein, für verschiedene Medien mit verschiedener inhaltlicher Ausrichtung ausgewogen zu schreiben. Offenbar ist er seit mindestens vier Jahren für ‚Russland heute’ tätig. Es wirft kein gutes Licht auf die Redakteure von Zeit Online, wenn ihnen das erst jetzt auffällt und sie daraus plötzlich drastische Konsequenzen ziehen.“

Bülend Ürük

Was sagen Sie zu der Entscheidung von Zeit Online? Schreiben Sie mir: chefredaktion@newsroom.de.