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Für Zeitungsredakteure: 30 Tage Urlaub im Jahr sollen reichen

Das wird ein heißer Sommer! Mit klaren Worten gehen die Zeitungsverleger in die Verhandlungen mit den Journalistengewerkschaften: Nur wenn sich Redakteure weiterbilden, sollen sie auch die nächste Gehaltsstufe erreichen. Und: Zukünftig soll sich der Manteltarifvertrag der Zeitungsredakteure stärker an dem Vertrag der Zeitschriftenredakteure orientieren. Das heißt auch: Mehr als 30 Tage Urlaub soll es nicht mehr geben. Aktuell gibt es ab dem 55. Lebensjahr 34 Tage Urlaub im Jahr.

Düsseldorf - Georg Wallraf, lange Jahre Chefjustiziar der Verlagsgruppe Handelsblatt, führt in diesem Jahr erstmals den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger in die Gespräche mit den Journalistengewerkschaften um einen neuen Manteltarifvertrag für die rund 13.500 bei Tageszeitungen beschäftigten Redakteurinnen und Redakteure. Der erfahrene Manager muss die Quadratur des Kreises schaffen.

Nur wenn Georg Wallraf mit einem überzeugenden Ergebnis von den Verhandlungen zurückkehrt, werden auch die Verlage wieder den bundesweiten Tarifvertrag akzeptieren, die in den vergangenen Jahren ausgestiegen sind und eigene Haustarife vereinbart haben. Wie ganz aktuell die Verlagsgruppe Rhein-Main, die beim Zeitungsverlegerverband eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung beantragt hat.

Wallraf, ein klarer Analytiker, liebt Zeitungen. Beim Newsroom.de-Interview bekräftigt Wallraf, dass die Journalisten das Rückgrat der Zeitungen bilden. Dennoch werde es ohne Einsparungen nicht gehen. "Wir müssen viel stärker auf die Zahlen achten, als das in der Vergangenheit der Fall war. Wir befinden uns in einem massiven Transformationsprozess", so Wallraf im Gespräch mit Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

Newsroom.de: Herr Wallraf, wie geht es den deutschen Zeitungsverlagen?

Georg Wallraf: Eine klare Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Einerseits ist die Zeitung ein Kommunikationsgigant wie nie zuvor. Dank des Internets haben die Zeitungen enorme Reichweiten. Aber bei den digitalen Unternehmungen fehlen uns noch die Geschäftsmodelle. Und hinzukommt, dass die Werbeumsätze deutlich hinter den Erwartungen zurück geblieben sind. Eine Änderung ist da auch nicht in Sicht. Das ist ein Indiz dafür, dass wir es in der Zeitungsbranche nicht mit einer kurzfristigen konjunkturellen Delle zu tun haben, sondern mit einem strukturellen Wandel, auf den wir eine Antwort geben müssen. Der Werbekuchen vergrößert sich nur marginal, muss aber mit immer neuen Marktteilnehmern – allen voran Unternehmen wie Google, Facebook & Co - geteilt werden.

Newsroom.de: Dass die Werbeeinnahmen fallen, ist aber nichts Neues.

Georg Wallraf: In ihrem derzeitigen Ausmaß ist die Situation aber ungewöhnlich. Darauf deutet auch die Entwicklung der Anzeigenblätter hin. Die Anzeigenblätter waren für die Tageszeitungsverlage immer eine verlässliche und stabile Einnahmequelle. Auch dort gibt es nun Rückgänge der Werbevolumina. Und das verstärkt noch den Druck, die ökonomischen Rahmenbedingungen bei den Tageszeitungsverlagen zu überdenken. Das hat nichts mit Erbsenzählerei zu tun, wie das Herr Konken glauben machen will, sondern ist schlicht der Tatsache geschuldet, dass wirtschaftliche Unternehmen, wie es Zeitungsverlage nun einmal sind, die Zukunft nur erfolgreich gestalten können, wenn dies auf einer wirtschaftlich gesunden Grundlage geschieht.

Newsroom.de: Was bedeutet das für die Zeitungsverlage?

Georg Wallraf: Wir müssen viel stärker auf die Zahlen achten, als das in der Vergangenheit der Fall war. Die goldenen Zeiten, in denen die Anzeigenverkaufsstellen noch Anzeigenannahme hießen, sind eben vorbei. Wir befinden uns in einem massiven Transformationsprozess. Die Herausforderungen heißen neue, große, auch international aufgestellte Wettbewerber sowie Digitalisierung im Vertrieb redaktioneller Inhalte.

"Verlage müssen investieren, Geld ausgeben"

Newsroom.de: Also sollten die Zeitungsverlage noch offensiver Ihre Angebote inszenieren?

Georg Wallraf: Ganz klar: Die starken Marken, über die die Zeitungsverlage verfügen, müssen mehr noch als bisher in den Vordergrund der Marktaktivitäten gestellt werden. Sie bieten mit ihren qualitätsvollen Inhalten dem Nutzer Orientierung in der zunehmenden Flut von Informationen. Weiter müssen die Zeitungsverlage mehr noch als bisher ihre redaktionellen Stärken ausspielen und auch für jüngere Zielgruppen attraktiver werden. Und schließlich müssen die Zeitungsverlage ihre redaktionellen Inhalte über alle relevanten digitalen Kanäle in einer dem jeweiligen Medium angemessenen Form verbreiten. All das heißt aber, es muss investiert, es muss Geld ausgegeben werden. Dieses Geld gilt es aber trotz der wirtschaftlichen Eintrübung des Geschäftes erst einmal verdient zu werden. Und hier schließt sich der Kreis. Beim Geldausgeben muss genauer hingesehen werden. Dies gilt auch für die Personalkosten, die mit einem Anteil von über 40 Prozent durchaus beachtlich hoch liegen. Das bedeutet nicht, dass Kosten rigoros und ohne Verstand zu kürzen sind.

Newsroom.de: Sie sagen, Verlage müssen eine gesunde wirtschaftliche Basis erreichen. Dennoch wird immer wieder kolportiert, dass Verlage auch heute noch, gerade Tageszeitungsverlage, eine zweistellige Rendite ausweisen können. Ist das falsch?

Georg Wallraf: Das ist eine beliebte Behauptung der Gewerkschaften, um ihre unzeitgemäßen Gehaltsforderungen zu begründen. Gottseidank gibt es Verlage, die noch ein solides wirtschaftliches Fundament haben. Doch es gibt auch die andere Seite, und das in zunehmendem Maße. Dabei wird auch häufig übersehen, dass sich Zeitungsverlage inzwischen zu Mehrproduktunternehmen gewandelt haben und durch Zusatzgeschäfte Geld verdienen. Das Geld etwa, das durch ein Reisegeschäft des Verlages verdient wird, kann nicht der Rendite des Kerngeschäftes eines Zeitungsverlages zugeschlagen werden, um dort Gehaltserhöhungen zu begründen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: solche Zusatzgeschäfte helfen dabei, Arbeitsplätze im Kerngeschäft zu sichern und den dort notwendigen Transformationsprozess finanziell zu stemmen. Aber auch, wenn es einzelne Verlage gibt, die im Kerngeschäft noch zufriedenstellende Renditen schreiben, ist das allenfalls eine Augenblicksbetrachtung und kann keine Richtschnur für eine zukunftsorientierte Tarifpolitik sein. Hinzu kommt: Tarifverträge sind von Ihrer Ausgangsidee her Mindestarbeitsbedingungen, müssen also das schwächste Glied in der Kette der Unternehmen berücksichtigen und nicht das stärkste. Andernfalls führt dies dazu, dass die wirtschaftlich stärker herausgeforderten Unternehmen entweder mit der Tarifbindung untergehen oder, was wahrscheinlicher ist, sich dieser Bindung entziehen. Die derzeitigen Tarifbedingungen stammen noch aus einer Zeit, die heute als die „goldenen Jahre“ bezeichnet werden kann.

Deutscher Zeitungsmarkt im europäischen Vergleich vielfältig

Newsroom.de: Herr Wallraf, wären Sie heute gerne Verleger, Zeitungsverleger?

 

Rechtsanwalt Georg Wallraf ist seit 2011 Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschuss im Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger. Er wird für den BDZV die Verhandlungen mit den Gewerkschaften um den Manteltarifvertrag anführen.

 

Georg Wallraf: Ich wäre gerne Zeitungsverleger, weil ich erstens weiß, dass das immer noch, trotz der aktuellen Probleme, eine interessante und herausfordernde Branche mit starker Außenwirkung ist. Schauen Sie, im deutschen Zeitungsmarkt gibt es über 300 Einzeltitel. Der Markt ist auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern vielfältig besetzt. In Deutschland werden die besten Zeitungen der Welt gemacht. Die sehr breite Leserschaft hat eine übergroße Auswahl an Qualitätsprodukten. Unsere Zeitungen verkaufen täglich 18 Millionen Exemplare. Und die Gesamtreichweite ist noch viel interessanter: mehr als 50 Millionen Leser Tag für Tag plus 26 Millionen regelmäßige Internetnutzer. Die Gesamtreichweite ist mehr als eine beachtliche Größe, die leider oft unter den Tisch fällt, wenn über die Tageszeitungen gesprochen und berichtet wird. Dabei gibt es sicherlich auch redaktionelle Bereiche - und das zeigen die Entwicklungen in der Vergangenheit –, die weiter optimierungsfähig sind.

Newsroom.de: Welche Bereiche würden Sie verbessern wollen?

Georg Wallraf: Im überregionalen Bereich zählt mehr noch als früher eine vertiefende Hintergrundberichterstattung dazu, zählt die Analyse. In der Regional- und Lokalpresse erwarten die Leser eine verstärkte Regional- und Lokalberichterstattung, mehr  Nutzwertjournalismus. Und was die Verbreitung redaktioneller Inhalte über digital Kanäle angeht, so kann dies nicht lediglich durch die schlichte Übernahme des Printartikels geschehen, sondern muss mediengerecht erfolgen. Die Berichterstattung wird jedenfalls auch in Zukunft wichtig bleiben. Dabei werden die Tageszeitungsverlage mit ihren starken Zeitungsmarken in Zeiten eher größer werdender Informationsflut weiterhin eine entscheidende Rolle spielen und dem Leser Orientierung bieten. Nicht umsonst greifen Google und Co. auf Zeitungsinhalte oder Teile davon zu, weil sie verbunden damit auch die Zeitungstitel als Qualitätsnachweis nennen können.

Newsroom.de: Wie würde die Tageszeitung aussehen, die Sie leiten würden, wenn Sie Verleger wären?

Georg Wallraf: Na ja, das hängt natürlich ein bisschen davon ab, auf welche Zielgruppe ein solcher Titel ausgerichtet ist.

Newsroom.de: So viele überregionale Titel gibt es ja nicht, sagen wir, Sie werden Verleger einer Regionalzeitung.

Georg Wallraf: Ich würde, was ja auch viele tun, die regionale Berichterstattung noch stärker in den Vordergrund stellen. Die Zeitungen im Verbreitungsgebiet, in dem ich wohne, zeigen dies exemplarisch: noch näher am Leser, noch näher an den Menschen mit Geschichten, die begeistern. Diese Titel haben – den Zeitraum der letzten 20 Jahre betrachtet - sich kontinuierlich auf ihre Stärken besonnen, die Regionalisierung ausgebaut, Nutzwert angeboten und die Blätter zum Marktplatz und zum Identifizierungsgegenstand regionaler, aber auch lokaler Interessen werden lassen. Beim Hineinwirken in den Regional- und Lokalbereich ist dabei nicht nur die Berichterstattung selbst wichtig, sondern zum Beispiel auch Veranstaltungen, die die Blatt-Leser-Bindung durch redaktionelle Betreuung stärken. Dabei gilt auch im regionalen und lokalen Bereich, dass Journalismus kritisch hinterfragt, dass Diskussionen angestoßen und nicht lediglich Verlautbarungen von Rathäusern, Unternehmen oder Vereinen nachgebetet werden. Und siehe da: heute gibt es Aktionen, Events, Podiumsdiskussionen, alles Dinge, die es vor zwanzig, dreißig Jahren nicht gegeben hat: die Zeitung quasi als Motor des lokalen Lebens.

Newsroom.de: Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass gute Redakteure das Gesicht der Zeitung sind, das Rückgrat der Zeitung bilden?

Georg Wallraf: Ja, dem stimme ich zu. Wir haben gute und gut ausgebildete Redakteure, deren Arbeit in jeglicher Hinsicht anerkannt wird. Und das lassen sich die Verlage ja auch viel kosten: gute Gehälter, eine großzügige Urlaubsregelung, eine vorbildliche Altersversorgung und einen großen Freiraum in der täglichen Arbeit. Aber klar ist auch, dass das Einkommen der Redakteure mit der konkreten Situation des Unternehmens, mit dessen Qualitätsanforderungen, aber auch den wirtschaftlichen Erfordernissen im Einklang stehen muss. Die gesamte Branche befindet sich, ich wiederhole mich da, in einem tiefgreifenden Transformationsprozess, der zwar durch das Internet ausgelöst, der aber auch dadurch gekennzeichnet ist, dass der Werbekuchen sich nicht ausweitet. Dem muss Rechnung getragen werden.

Newsroom.de: Würde es in Ihrem Zeitungsverlag einen Betriebsrat geben, mit dem Sie gut zusammen arbeiten wollen würden?

Georg Wallraf: Grundsätzlich ja. Aber ich habe in meiner Vergangenheit Betriebsräte erlebt, die eher für ihre eigenen, ganz persönlichen Interessen aktiv geworden sind oder ideologisch geprägt waren. Beide Formen von Betriebsratsarbeit mag ich nicht, weil sie der Mitarbeiterschaft nicht nutzen. Betriebsräte jedoch, die der Idee des Betriebsverfassungsgesetzes folgend die Probleme der Mitarbeiterschaft bündeln, offene und pragmatische Gesprächspartner und an einer betriebsbezogenen Lösung interessiert sind, die finde ich nicht nur gut, sondern mit solchen Betriebsräten habe ich jahrelang auch sehr gut zusammen gearbeitet.

Newsroom.de: Bereits in diesem Sommer muss über einen neuen Manteltarifvertrag verhandelt werden. Was ist Ihr Ziel als Verhandlungsführer der Verlegerseite?

Georg Wallraf: Wir brauchen eine Reform des gesamten Tarifwerks. Dies müssen auch die  Redakteure und Journalistengewerkschaften erkennen. Zunächst dürfen Tarifvertragsbedingungen wie derzeit keine Höchstarbeitsbedingungen mehr sein, weil damit viele Verlage in strukturschwachen Gebieten erhebliche Probleme haben. Und schon die letzte Tarifrunde hat gezeigt, wenn Verlage in Boom-Regionen zum Maßstab für Tarifbedingungen herhalten sollen, ist das einfach unrealistisch. Fest steht:  viele Zeitungen, die nicht solche Rahmenbedingungen haben, werden dem Tarifvertrag den Rücken kehren. Deswegen wollen wir nicht, wie von den Gewerkschaften gefordert,  isoliert über den Gehaltstarifvertrag verhandeln, sondern müssen dringend über eine zeitgemäße Überarbeitung aller maßgeblichen Tarifwerke für die Zeitungsbranche sprechen, also auch über den Manteltarifvertrag, den Volontärs-Tarifvertrag und den Tarifvertrag über die Altersversorgung.

Newsroom.de: Was heißt das genau?

Georg Wallraf: Wir führen derzeit Orientierungsgespräche mit den Gewerkschaften, um deren Bereitschaft für eine Modernisierung des gesamten Tarifwerkes abzuklopfen. Damit ich nicht missverstanden werde: wir wollen das Tarifwerk insgesamt erhalten. Aber wir wollen es umbauen. Konkret heißt das vor allem, dass Verlage in strukturschwachen Regionen andere Tarifbedingungen haben müssen als Unternehmen in wirtschaftlich stärkeren Regionen. Das heißt weiter, dass beispielsweise bei den  Berufsjahresstaffeln die automatischen Gehaltssteigerungen durch erfolgs- und leistungsgerechte Komponenten ersetzen werden. Bei der Frage der Gehaltsentwicklung muss Augenmaß bewahrt werden. Und auf Regelungsbedarf stößt auch eine Bestimmung, die den jährlichen Urlaubsanspruch auf 34 Tage ansteigen lässt, eine Regelung, die es nicht einmal im Rundfunkbereich und bei den Zeitschriften gibt.

 

Georg Wallraf, Jahrgang 1951, war von 1983 bis 2009 Chefjustiziar und Bereichsleiter Recht und Personal der Verlagsgruppe Handelsblatt. Der Jurist, der heute als Of Counsel für die Kanzlei SKW Schwarz tätig ist, verantwortet zusätzlich als Chefredakteur und Herausgeber das renommierte Fachblatt "AfP – Zeitschrift für das gesamte Medienrecht".

 

Newsroom.de: Was würde zu unserer Zeit aus Ihrer Sicht passen, beim Urlaub? 28 oder 24 Tage? 20?

Georg Wallraf: Nein, wir würden noch nicht einmal so weit gehen wollen. Wenn Sie sich einfach mal den Tarifvertrag des VDZ ansehen, der 30 Tage Jahresurlaub vorsieht, dann ist das immer noch ein Standard, von dem Arbeitnehmer in anderen Branchen träumen. Wenn Sie sich den VDZ-Tarifvertrag noch weiter ansehen, dann ist die dort geregelte Berufsjahresstaffel bereits erheblich entzerrter als im Bereich der Tageszeitungen.

Newsroom.de: Das heißt also, Sie wollen die Berufsjahresstaffelung komplett abschaffen?

Georg Wallraf: Nein. Wir wollen die bisherigen Regelungen modifizieren.

Newsroom.de: Sie wollen also die letzte Stufe streichen?

Georg Wallraf: Es geht nicht um Streichen. Es geht um die Anpassung an eine zeitgemäße Unternehmenskultur. Wenn man sich etwa die Regelung beim VDZ ansieht, und andererseits bedenkt, dass bei den Tageszeitungen zwischen dem Berufseinstieg und dem 11. Berufsjahr das Jahresgehalt automatisch um ca. 50 Prozent steigt, dann ist doch klar, da müssen wir ran.

Newsroom.de: Wie hat man sich das vorzustellen?

Georg Wallraf: Zum Beispiel kann der Einstieg in eine nächste Stufe der Gehaltsstaffel abhängig sein von Funktionalitäten oder Qualifikationen, die ein Redakteur für seinen Verlag erbringt. Der Stufeneinstieg könnte auch abhängig sein von der Weiterbildungsbereitschaft.

Newsroom.de: Aber die Verlage haben ja früher vor allem auch deshalb den Journalisten so viel bezahlt, weil sie damit auch ihre Unabhängigkeit wahren sollten. Sehen Sie das nicht so?

Georg Wallraf: Also, ich kann mit dem Argument ehrlich gesagt nichts anfangen. Es muss eine leistungsgerechte Bezahlung geben, es muss auch eine Bezahlung geben, die die  Berufsausbildung berücksichtigt. Aber dass gewissermaßen der Redakteur unbesehen seines Berufsethos nur dann unabhängig ist, wenn er gehaltlich besonders gut und das ohne Berücksichtigung des wirtschaftlichen Umfeldes und seiner Leistungserbringung bezahlt wird, will mir nicht einleuchten.

Newsroom.de: Meinen Sie nicht?

Georg Wallraf: Nein, das Geld ist wichtig, keine Frage. Eine angemessene, gute Bezahlung ist wichtig. Aber es kann - was ja in Ihrer Frage liegt - nicht so sein, dass je höher die Bezahlung ist, desto unabhängiger der Redakteur wird.

Newsroom.de: Jetzt haben Sie vorhin erwähnt, dass Sie auch den Volontärs-Tarifvertrag reformieren wollen. In welcher Form?

Georg Wallraf: Wenn Sie sich die Ausbildungsinhalte dieses Tarifvertrages ansehen, dann findet das Internet und auch sonstige digitale Verbreitungsformen darin überhaupt nicht statt. Hier müssen als Ausbildungsinhalte die heutigen Bedürfnisse der Zeitungsredaktionen mit aufgenommen werden. Das müssen wir gemeinsam mit den Tarifpartnern ändern.

Newsroom.de: Wollen Sie Weiterbildung eigentlich festschreiben? Wenn man überlegt, dass im Verlagsbereich häufig verpflichtend ist, ein Seminar pro Jahr, das ist ja im journalistischen Bereich gar nicht der Fall.

Georg Wallraf: Also ich kann mir sicherlich vorstellen, dass eine Motivation für Weiterbildungsaktivitäten durch eine monetäre Belohnung verstärkt oder erst erzeugt wird.

Newsroom.de: Also, wer sich nicht weiterbildet, dem wird der Lohn gekürzt?

Georg Wallraf: Nein, dem wird nicht der Lohn gekürzt, sondern die Überlegung geht in die  andere Richtung: wer sich weiterbildet, der soll etwas davon heben. Im Übrigen dürfte es in jedem Beruf heute selbstverständlich sein sich weiterzubilden.

Newsroom.de: Herr Konken hat im Newsroom.de-Gespräch erklärt, dass Sie ihre Mitglieder nicht mehr unter Kontrolle haben.

Georg Wallraf: Ich weiß nicht, welches Bild Herr Konken vom BDZV hat. Dieser Verband ist  demokratisch aufgebaut ist. Das heißt, die Mitglieder bestimmen, welche Aufgaben der Verband erfüllt. Wir sind Dienstleister. Und wenn die Mitglieder der Auffassung sind, dass die alte Tarifwelt nicht mehr zeitgemäß ist und sich jenseits wirtschaftlicher Rahmenbedingungen entwickelt, dann ist das nur legitim. Darum ist es ja erforderlich, den Umbau des Tarifsystems zügig ins Werk zu setzen und auch bei den Mitgliedern wieder Zeichen des Vertrauens in eine realistische Tarifpolitik zu setzen. Dieses Vertrauen ist bei vielen mit unterschiedlichen Ergebnissen in der letzten Tarifrunde auf der Strecke geblieben. Ein Beispiel ist der erst jetzt wieder erklärte Schritt der Verlagsgruppe Rhein-Main in die OT-Mitgliedschaft.

Newsroom.de: Aber Sie wollen trotzdem versuchen, an dem Manteltarifvertrag, also an den Tarifverträgen festzuhalten, an den Flächentarifverträgen?

Georg Wallraf: Wir wollen alles daran setzen, das Tarifwerk als Flächentarifvertrag zu erhalten. Und das ist nur möglich, wenn sich die Verhältnisse deutlich ändern. Es gibt Signale, dass OT-Mitglieder wieder in den Tarif zurückkehren, wenn er zeitgemäß ist. Daran müssen wir arbeiten. Und wenn man sich Haustarifverträge ansieht, die im Zeitungsbereich mit Gewerkschaftshilfe abgeschlossen sind, dann gibt es dort ein sehr großes Verständnis für die konkrete Situation der jeweiligen Häuser und damit der Branche insgesamt. Warum soll das nicht auch auf Bundesebene möglich sein? Deshalb setze ich auch bei den Gewerkschaften auf deren Realitätssinn und deren Mut zur Veränderung. Wir leben und arbeiten in neuen Zeiten und müssen deshalb neue Wege gehen.

Mit Georg Wallraf, Jurist und BDZV-Verhandlungsführer, sprach Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

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