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Hans-Wilhelm Saure: "Gegen Behördenwillkür müssen wir juristisch vorgehen"

Vor das Bundesverwaltungsgericht zieht "Bild"-Chefreporter Hans-Wilhem Saure. Er will Einblicke in die Barschel-Akten und herausfinden, welche Rolle der Bundesnachrichtendienst in der Affäre tatsächlich spielte. Am Mittwoch müssen die Richter in Leipzig entscheiden.

Berlin - Die Barschel-Affäre ist eine der größten politischen Skandale der deutschen Nachkriegsgeschichte - und immer noch nicht restlos aufgeklärt. Licht ins Dunkel möchte Hans-Wilhelm Saure bringen. Für seine Arbeit ist der Blick in die Akten aber entscheidend.

Schon im vergangenen Jahr hat Saure, unterstützt von dem Berliner Rechtsanwalt Christoph Partsch, einen Antrag zum Einblick in die Akten gestellt. Der abschlägige Bescheid kam am 21. Dezember 2012. Am 27. Dezember 2012 reichte Partsch Widerspruch ein, am 30. März 2013 erging dann der ablehnende Widerspruchsbeschied. Die Klage beim Bundesverwaltungsgericht hat Rechtsanwalt Partsch im Namen seines Mandanten dann am 26. April 2013 eingereicht.

 

Hans-Wilhelm Saure, Chefreporter bei "Bild" im Ressort Investigative Recherche, will Einblicke in die Barschel-Akten. Morgen muss das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über seine Klage entscheiden.

 

An diesem Mittwoch wird der Fall nun in Leipzig verhandelt.

Hans-Wilhelm Saure, 46, "Bild"-Chefreporter im Ressort Investigative Recherche, macht sich Hoffnungen, dass das Gericht ihm Recht gibt. Im Gespräch mit Newsroom.de sagt Saure: "Sollten die Leipziger Richter unsere Rechtsauffassung bestätigen, hätte das eine grundsätzliche Bedeutung für alle Bundesbehörden."

Newsroom.de: Herr Saure, die Barschel-Affäre liegt 26 Jahre zurück. Jetzt klagen Sie, um Einblicke in Barschel-Akten zu erhalten, die beim Bundesnachrichtendienst lagern. Was erhoffen Sie sich davon?

Hans-Wilhelm Saure: Im Fall Barschel gibt es bis heute offene Fragen und wilde Spekulationen. Welche Rolle der BND in der Affäre spielte, ist unklar. Angeblich hielt sich zum Zeitpunkt von Barschels Tod ein BND-Mitarbeiter in Barschels Hotel in Genf auf. Dazu könnte es etwas in den Unterlagen geben. Unabhängig davon möchte ich einfach wissen, was in der Akte zu Uwe Barschel steht. Als Auslandsgeheimdienst zählt es nämlich nicht zu den Aufgaben des BND, Informationen über deutsche Politiker zu beschaffen.


Newsroom.de: Was macht den Fall Barschel noch heute so faszinierend, dass Sie vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen?

Hans-Wilhelm Saure: Die Affäre Barschel war einer der größten Politskandale der Bundesrepublik. Vor zwei Jahren veröffentlichte Oberstaatsanwalt Wille, der lange im Fall Barschel ermittelte, ein Buch mit dem Titel „Ein Mord, der keiner sein durfte“.  Bis heute wird über die Frage gestritten: Hat sich Barschel wirklich umgebracht, oder war es Mord? Bei den Ermittlungen in der Schweiz passierten unglaubliche Pannen. Es gab Gerüchte über geheime Waffengeschäfte und die Verwicklung ausländischer Geheimdienste. Vor einem Jahr entdeckten Ermittler dann plötzlich DNA-Spuren eines Unbekannten an der Kleidung Barschels. Da finde ich es reichlich erstaunlich, dass ausgerechnet eine BND-Akte zu diesem Fall geheim bleiben soll.


Newsroom.de: Die Barschel-Affäre war auch eine Medienaffäre, der "Spiegel" spielte eine wichtige Rolle, es gibt ein legendäres Titelbild des "Stern". Uwe Barschel behauptete bis zuletzt sogar unter Eid, dass er nichts von dem Vorgehen seines Medienreferenten Pfeiffer gewusst habe. Glauben Sie, dass die damaligen Ereignisse heute noch anhand der Akten tatsächlich aufgeklärt werden können?

Hans-Wilhelm Saure: Es wäre naiv zu glauben, dass man die Antwort auf alle offenen Fragen im Fall Barschel in den BND-Akten findet.  Aber diese Akten sind ein weiterer Mosaikstein in dem großen Puzzle und deshalb müssen sie öffentlich gemacht werden.


Newsroom.de: Sie haben sich mit dem Fall Barschel intensiv beschäftigt. Was versteckt der Bundesnachrichtendienst aus Ihrer Sicht?

Hans-Wilhelm Saure: Ob der BND wichtige Erkenntnisse zurückhält, weiß ich nicht. Fakt ist: Der BND und das Bundeskanzleramt als vorgesetzte Behörde verstecken eine Akte über Uwe Barschel vor der Öffentlichkeit. Und das ist nicht hinnehmbar. Gerade weil der BND mauert, gibt das Anlass für Spekulationen. Deshalb ist es eigentlich auch im Interesse des BND, die Unterlagen endlich freizugeben - sofern er wirklich nichts zu verbergen hat.


Newsroom.de: Die Verwertung von Akten aus Bundesbehörden im allgemeinen oder wissenschaftlichen Interesse kommt eigentlich erst frühestens 30 Jahre nach dem Ereignis in Betracht. Warum sollte diese "Sperrfrist" im Fall Barschel nicht gelten?

 

Der Journalist: Hans-Wilhelm Saure, 46, ist "Bild"-Chefreporter im Ressort Investigative Recherche. Er arbeitet bereits seit 2007 für "Bild" in dieser Funktion. Zuvor war er Redakteur bei der „Westfalenpost“ und Chefreporter bei "Bild am Sonntag. Saure ist Mitautor der Bücher "Die Mauer. Fakten, Bilder, Schicksale", Piper, 2011 sowie "Freigekauft. Der DDR-Menschenhandel", Piper, 2012.

Sein Anwalt: Dr. Christoph Partsch ist auf dem Gebiet der Informationsfreiheit besonders profiliert. Er ist Mitverfasser eines Rechtskommentars zum Informationsfreiheitsgesetz des Bundes sowie stellvertretender Vorsitzende der „Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit“.

 

Hans-Wilhelm Saure: Das Grundgesetz garantiert eine Freiheit der Forschung. Da steht nichts von irgendwelchen Fristen. In einigen Landesarchiven besteht eine Sperre von zehn Jahren. Das Bundesarchivgesetz sieht 30 Jahre vor und das auch nicht bei allen Unterlagen. Die Behörden haben aber einen Ermessensspielraum und müssen prüfen, ob Akten auch früher freigegeben werden können. So hat der BND Unterlagen aus der Zeit des Mauerfalls schon nach 20 Jahren offengelegt. Mit welchem Argument soll die Barschel-Akte dann weiter unter Verschluss bleiben? Diese Schutzfristen sind für mich nicht nachvollziehbar. So werden durch das Bundesarchivgesetz auch KZ-Aufseher und NS-Schergen geschützt. Belastende Unterlagen über diese Personen bekommt man als Journalist nur unter zwei Bedingungen: Entweder sind die NS-Schergen mindestens 30 Jahre tot oder man braucht eine schriftliche Einwilligung zur Veröffentlichung von ihnen. Das ist doch Irrsinn!


"Man braucht einen guten Anwalt und eine furchtlose Rechtsabteilung"

Newsroom.de: In den letzten Monaten steigt die Zahl der Klagen von Journalisten um Akteneinsicht bei Behörden, allerdings nur sehr langsam. Worauf muss ein Journalist achten, wenn er juristisch um Informationen kämpfen will?

Hans-Wilhelm Saure: Man sollte sich vorher genau überlegen, auf welcher Rechtsgrundlage man Akteneinsicht fordert. Davon hängt ab, wie groß die Chancen auf Erfolg sind. Wenn man sich zum Beispiel auf das Umweltinformationsgesetz bei einer Anfrage beruft, hat man weitreichendere Ansprüche als beim Informationsfreiheitsgesetz des Bundes. Am besten beruft man sich gleich auf mehrere Gesetze. Und man muss auch nicht in jedem Fall klagen. Wenn eine Behörde Akteneinsicht verweigert, kann es hilfreich sein, den Informationsfreiheitsbeauftragten einzuschalten. Ansonsten braucht man einen guten Anwalt und eine furchtlose Rechtsabteilung.


Newsroom.de: Verschreckt man als Journalist nicht auch mögliche Informanten, wenn man juristisch gegen Bundesbehörden vorgeht?

Hans-Wilhelm Saure: Ich habe gegenteilige Erfahrungen gemacht. Viele Mitarbeiter in Behörden können ebenfalls nicht nachvollziehen, warum bestimmte Informationen zurückgehalten werden sollen. Sie finden es gut, wenn man den „Betonköpfen“ in den Behörden Grenzen aufzeigt. Das öffnet eher neue Türen.


Newsroom.de: Viele Kollegen fürchten die Arbeit, die mit den juristischen Schritten gegen Bundesbehörden verbunden sind. Auch sorgen sie sich, wie sie den Vorgesetzten von einem möglicherweise langwierigen Prozess überzeugen. Warum lohnt sich der Kampf um Pressefreiheit?

Hans-Wilhelm Saure: Pressefreiheit ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Von daher lohnt es sich immer, dafür zu kämpfen. In diesem Prozess geht es aber nicht um Pressefreiheit, sondern um eine einfache juristische Frage, die nicht einmal speziell Journalisten betrifft: Darf der BND Unterlagen über ein so wichtiges Ereignis wie die Barschel-Affäre 30 Jahre unter Verschluss halten oder nicht? Sollten die Leipziger Richter unsere Rechtsauffassung bestätigen, hätte das eine grundsätzliche Bedeutung für alle Bundesbehörden. "Bild" hat durch Klagen gegen verschiedene Behörden schon einiges erreicht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz war zum Beispiel der Meinung, es müsse sich nicht an das Bundesarchivgesetz halten und brauche überhaupt keine Akten herausgeben. Als unser Anwalt Klage einreichte, knickte der Verfassungsschutz ein. Gegen eine solche Behördenwillkür muss man juristisch vorgehen, sonst ist die Pressefreiheit wirklich irgendwann bedroht.

Die Fragen an "Bild"-Chefreporter Hans-Wilhelm Saure stellte Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

Eine Chronologie der Barschel-Affäre gibt es beim Norddeutschen Rundfunk