Leute
Newsroom

Harald Martenstein zu NEWSROOM: „Bin keine moralische Instanz“

Viele Fragen hat die kritische Berichterstattung vom „Handelsblatt“ über die Pläne der Versicherungsbranche aufgeworfen, die mit eigenen PR-Medien in Konkurrenz zu klassischen Medien tritt. Von Bülend Ürük.

Düsseldorf - Mit kritischen Worten bedenken die Autoren Sönke Iwersen und Ozan Demircan auch den bekannten Journalisten und Autoren Harald Martenstein. Der Kolumnist von „Zeit“ und „Tagesspiegel“, die ebenfalls von Dieter von Holtzbrinck verlegt werden, hat für das Magazin des Versicherungsverbands GDV eine launige Kolumne verfasst. Titelthema des ersten Beitrags: „Warum sind Versicherungsvertreter so unbeliebt?“. Es war die erste und wird die letzte Kolumne von Martenstein für den GDV sein.

Für ihren Bericht hat das Investigativ-Duo Iwersen/Demircan auch eine „Zeit“-Kolumne von Harald Martenstein ausgegraben, welches Iwersen/Demircan zitieren: „Lebt in vollen Zügen. Feiert. Lasst es krachen. Ignoriert – das ist das Wichtigste! – alle Vorsorge- und Anlage-Angebote.“ Martensteins "Zeit"-Kolumne stammt aus dem Jahr 2010.

 

Auszug aus dem "Handelsblatt": "Alles nach dem Prinzip Wursttheke".

 

In der Kolumne für den GDV schreibt Martenstein nun: „Selber habe ich nie eine negative Erfahrung mit einem Versicherungsvertreter gemacht, nun, Ähnliches gilt auch für mein völlig unbelastetes Verhältnis zu Fernfahrern, das kann natürlich Zufall sein. Unser Versicherungsmann ist ein freundlicher und unaufdringlicher Mensch. Kürzlich hat­ten wir im Haus einen Wasserschaden, der Versicherungsmann hat uns eine Reparaturfirma besorgt, das lief alles flott und prima.“

Laut Harald Martenstein, der bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, hat er sich "seines Wissens" nach bislang nur in „einer einer einzigen Kolumne meines Lebens am Rande“ mit Versicherungen beschäftigt“, und „dabei könnte es bleiben“, so Martenstein zu Newsroom.de. Er habe keine Pläne, über die Versicherungsbranche zu schreiben.

Aber leidet seine Glaubwürdigkeit als Journalist, Autor und Kolumnist nicht, wenn er für die Versicherungsbranche schreibt? Martenstein erklärt selbstkritisch: „Als eine moralische Instanz oder ein Vorbild sehe ich mich jedenfalls nicht. Ich habe im Leben und im Beruf schon viele Fehler gemacht.“

Für Harald Martenstein steht fest: „Ich finde, wer über einen Gegenstand als Fachredakteur unabhängig berichten will, sollte nicht gleichzeitig PR machen. Sollten Journalisten niemals und für niemanden in der PR aktiv werden? Ich finde, mit so einer rigiden Position macht man allen freien Autoren das Leben schwer, für die es sowieso immer schwieriger wird, den Kopf über Wasser zu halten - da rede ich nicht über mich. Es kommt immer darauf an, wer für wen was macht, ich würde da jeden Einzelfall anschauen.“

 

Woher kommt das schlechte Image der Versicherungen? Herr Martenstein von @zeitonline hat eine Antwort http://t.co/Ljm7nLzzYU

— GDV Ihre Versicherer (@gdv_de) 19. September 2014

Dabei kriegt Martenstein auch Unterstützung vom Deutschen Journalisten-Verband. Zu NEWSROOM sagt DJV-Sprecher Hendrik Zörner: „Ein Journalist, der zum Beispiel für die Versicherungsbranche PR macht, darf nicht in der Zeitung über Versicherungen schreiben. Gleiches gilt für den Lokaljournalisten, der die Festschrift zum 50. Geburtstag des örtlichen Möbelhauses verfasst hat. Er kann nicht in der Zeitung über die rauschende 50-Jahr-Feier von Tisch & Bett GmbH&CoKG berichten.“ Hendrik Zörner macht deutlich: „Häufig haben freie Journalisten ein zweites Standbein in der PR. So lange es keine Interessenkollision gibt, ist das nicht zu kritisieren.“

Harald Martenstein, Jahrgang 1953, ist Kolumnist bei der „Zeit“ und Redakteur beim in Berlin erscheinenden „Tagesspiegel“. Laut Martenstein waren "Zeit" und "Tagesspiegel" über seine Tätigkeit für den GDV nicht informiert.

Die Wochenzeitung und die Berliner Tageszeitung gehören wie das „Handelsblatt“, das zuerst kritisch über die Tätigkeit von Harald Martenstein für den Versicherungsverband geschrieben hatte, zum Reich von Dieter von Holtzbrinck.

Inzwischen hat sich auch die "Zeit"-Chefredaktion bei NEWSROOM gemeldet. Der stellvertretende Chefredakteur Moritz Müller-Wirth erklärte auf Newsroom.de-Nachfrage: "Nach Erscheinen der ersten Kolumne haben wir uns mit Harald Martenstein einvernehmlich darauf verständigt, dass seine Tätigkeit für die GDV unseren Ansprüchen und Richtlinien nicht entspricht und er diese nicht fortsetzen wird." Müller-Wirth betonte, dass Martenstein für die "Zeit" "noch nie" über Versicherungen geschrieben habe, er werde dies "auch in Zukunft" nicht tun.

Bülend Ürük