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Jens Weinreich: "Gegen derlei Boshaftigkeiten kann ich mich ohnehin nicht wehren"

Was ist das für ein Mensch, der offenbar freiwillig auf, wie er selbst sagt, 30, 40 Prozent seiner Einnahmen als freier Journalist verzichtet, um "nur" auch weiterhin selbst entscheiden zu können, wen er kritisiert und wen nicht?

Berlin - Hätte Jens Weinreich nicht einfach sagen können, ich kritisiere den Deutschlandfunk nicht mehr, auch nicht mehr indirekt, und dann wäre alles gut gewesen?

Schließlich gibt es doch genügend Bereiche im Sportjournalismus, die beleuchtet werden müssen, auf diesen einen Bereich hätte er doch locker verzichten können? Und - wie hätten wir uns eigentlich entschieden?

Würden wir als freier Journalist auf fast die Hälfte unseres Einkommens verzichten, denn ist das eigentlich nicht eine Lappalie und nicht irgendwie selbstverständlich, in der Öffentlichkeit zum Auftraggeber zu stehen? Wo wäre unsere Moral, unser Anstand, unser Journalistengewissen?

Jens Weinreich sitzt bequem in seinem Sessel, die Beine hat er auf seinen Schreibtisch gelegt, in der rechten Hand hält er ein Caipirinhaglas, in der linken Hand das Telefon. Der freie Sportjournalist hat in den vergangenen Tagen klare Worte zur unfreiwilligen Trennung von seinem langjährigen Auftraggeber Deutschlandfunk gefunden. Und erntet nun neben Unterstützung auch Kritik von anderen freien Sportjournalisten, die ihn mit offenem Visier, aber Messer in der Hand angreifen.

„Auf Diskussionen lasse ich mich gerne ein, ich hatte mit Angriffen unter der Gürtellinie gerechnet. Aber über die Härte der Angriffe, die ins Persönliche gehen und quasi dazu aufrufen, mich auch anderswo nicht mehr zu beschäftigen, bin ich doch etwas überrascht“, sagt Weinreich im Gespräch mit NEWSROOM. „Fachlich wird leider kaum diskutiert. Ich betrachte Journalismus dagegen als offenen, kommunikativen Prozess, und das versuche ich seit langem auf meinem Blog zu demonstrieren.“

Weinreich, und das muss man in dieser ganzen Diskussion wissen, ist in der DDR sozialisiert worden.

 

Der freie Journalist Jens Weinreich bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele 2012 in London.

 

 

Er weiß, welches Gut wir haben, als Journalisten zu unseren Idealen stehen zu können, ohne dafür ins Gefängnis zu müssen. „Ich genieße, um mit Helmut Kohl zu sprechen, die Gnade der späten Geburt. Eine Lehre aus den ersten Jahren meiner Ausbildung bis zum Mauerfall am so genannten Roten Kloster ist doch, dass ich mir nie wieder vorschreiben lasse, was ich zu denken und zu sagen habe. Keine Kritik zu äußern, lasse ich mir von niemandem vorschreiben, auch nicht vom Deutschlandfunk. Wenn ich jetzt aber an meine DDR-Sozialisation erinnere, um meine Vorstellung von Journalismus zu beschreiben, dann öffne ich gleichzeitig die nächste Flanke, in die manch einer bestimmt gern stoßen wird. Lassen wir uns überraschen.“

Weinreich, einst Ressortchef bei der „Berliner Zeitung“, wirkt geschafft. Er spürt die Olympischen Spiele in seinen Knochen, manchmal täglich bis zu 700 Zeilen für Zeitungen und Onlinemedien zu produzieren, forderte seinen Tribut. „Das ist zu viel. Ich habe noch nie so viele Fehler produziert, wie diesmal. Es war manchmal peinlich, wenn ich meinen Partnern etliche Tage Korrekturen hinterher schicken musste. Und ich korrigiere meine Fehler, vor allem im Blog, aber auch bei meinen Abnehmern.“

Weinreich ist vor allem von Ronny Blaschke enttäuscht, den er glaubte zu kennen. Blaschke kommentierte auf dem Blog von Jens Weinreich (Kommentar Nr. 171) gestern unter anderem: "Ich möchte keine Details nennen über die „unbequeme“ und damit private Seite von ihm, ich finde, das hat in der Öffentlichkeit nichts verloren und mit seiner journalistischen Kompetenz nichts zu tun. Nur so viel: mit Transparenz hat dieses Blog wenig zu tun."

Die Worte von Blaschke haben Weinreichs „Boden schon ein bisschen ins Wanken gebracht, zumal er mir in all den Jahren nie etwas derartiges gesagt hat“. Bei Hajo Seppelt, der in einem Interview mit Carta sogar „verkappt dazu aufruft, mich auch in anderen Medien nicht mehr zu beschäftigen“, ist Weinreich dagegen über „die Chuzpe“ überrascht. „Gerade von jemandem, der einst enorm von einer Initiative profitiert hat, die ich ins Leben gerufen habe, dem sportnetzwerk. Und der es in der Disziplin zu einer gewissen Meisterschaft gebracht hat, Medien und vor allem Medienmagazine für seine Belange einzuspannen.“

Schmutzige, private Wäsche will Weinreich allerdings nicht waschen. „Ich habe ordentlich aufs Maul bekommen. Meist aus dem Hinterhalt. Es gibt ja auch Zuträger, die bei Journalisten anrufen und erzählen, ich sei so krank, dass ich in die Psychiatrie eingeliefert werden müsste. Das muss man erst einmal verkraften. Meine depressive Phase habe ich nach der Kündigung des Deutschlandradios schon vor einigen Monaten durchlaufen. Nun schüttele ich mich und arbeite weiter. Gegen derlei Boshaftigkeiten kann ich mich ohnehin nicht wehren.“

Sich den Mund verbieten lassen wird er sich aber auch auf keinen Fall. An diesem Sonntag, 12 Uhr, wird Weinreich sein erstes Sportgespräch, ein Podcast, auf seinem Blog veröffentlichen. Gesprächspartner ist Klaus Schormann, Präsident des Weltverbandes der Modernen Fünfkämpfer.

Sportgespräch heißt übrigens auch die Hintergrundsendung des Deutschlandfunks, die jeden Sonntag um 23.30 Uhr gesendet wird.

Bülend Ürük

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