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Marvin Oppong: "Warum ich auf ein Handy verzichte"

Der freie Journalist Marvin Oppong benutzt Telefonzellen, das Festnetz in seinem Büro in Bonn - aber kein Handy.

Bonn - In der vergangenen Woche hat auf kress.de der Bericht, dass Marvin Oppong ganz ohne Handy lebt, für viel Aufregung gesorgt. Wegen des großen Interesses: Newsroom.de dokumentiert Oppongs Beitrag im Original, der zuerst im "Wirtschaftsjournalist" erschienen ist.

Mein Leben ohne Handy

 


Marvin Oppong ist freier Journalist und Dozent in Bonn. Oppongs Bericht stammt aus der neuen Ausgabe vom Wirtschaftsjournalist (Chefredakteur: Markus Wiegand). Hier können Sie das Schwesterblatt von Newsroom.de bestellen. Foto: Kai-Uwe Heinrich

 

 

Ich habe kein Handy. Und: Ja, das ist kein Scherz. Wenn ich anderen davon erzähle, lautet die erste Frage fast immer: "Waaas, du hast kein Handy?" Oft denken Gesprächspartner dann, ich würde sie auf den Arm nehmen. Die zweite Frage lautet dann: "Warum nicht?" Und der Unterton klingt so, als habe man kein fließend Wasser zu Hause. Als Journalist, der Akribie schätzt, erzähle ich dann immer die ganze Geschichte.

Der Hauptgrund für meine Handyverweigerung: Ich habe den Verdacht, dass Handystrahlung nicht gesund ist. Diese Skepsis entstand schon in der Anfangszeit der Mobiltelefonie. Ich sah damals im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einen Bericht über eine Studie schwedischer Wissenschaftler. Die hatten herausgefunden, dass die Wahrscheinlichkeit, an einem Gehirntumor zu erkranken, steigt, wenn man viel mit dem Handy telefoniert.

Es gibt inzwischen mehr als 1.000 Studien, die Handystrahlung untersucht haben. Bereits im Jahr 2007 warnte die Europäische Umweltagentur vor Gesundheitsgefahren durch Mobiltelefone. Das Risiko für Hirntumore sei nach mehr als zehn Jahren Handynutzung um 20 bis 200 Prozent erhöht. 2011 stufte die Internationale Krebsforschungsagentur IARC, ein Beratergremium der WHO, Handystrahlung bei Vieltelefonierern als "womöglich krebserregend" ein. Selbst das Deutsche Mobilfunk Forschungsprogramm, zur Hälfte von den vier Mobilfunknetzbetreibern finanziert, kam zu dem Ergebnis, dass die Strahlung von Handys und Sendemasten im Verdacht steht, "gesundheitliche Auswirkungen auf den Menschen zu haben".

Strahlende Telefone

Die Langzeitfolgen des Handytelefonierens werden sich noch zeigen. Es kann bis zu 40 Jahre dauern, bis ein Gehirntumor entsteht. Handys gibt es aber erst seit den 90er-Jahren. Langzeitstudien zur Handystrahlung gibt es nur wenige. Solange die Risiken nicht abschließend geklärt sind, halte ich mich mit jahrelanger freiwilliger Strahlenexposition an meinem Gehirn lieber zurück.

Der zweite Grund waren lange auch die Kosten. Ich hatte berufsbedingt als Freelancer immer eine hohe Telefonrechnung und ein Handy hätte diese noch erhöht.

Drittens finde ich Mobiltelefone nervig. Ich sage immer, dass ein Handy meistens klingelt, wenn man gerade an der Supermarktkasse steht. Und wenn man es mal ausgeschaltet hat, muss man sich später auch noch dafür rechtfertigen, dass man nicht permanent erreichbar ist. Ohne Mobiltelefon lebt man deutlich stressfreier.

Der vierte Grund ist der Datenschutz: Es ist zwar sehr kompliziert, aber nicht unmöglich, selbst bei herausgenommenem Akku das Mikrofon eines Handys zu aktivieren. Manche Smartphone-Apps spionieren unbemerkt Nutzer aus. Mir kann das nicht passieren. Informanten, mit denen ich mich treffe, dürfte das entgegenkommen, auch weil ich nicht ständig mittels sogenannter "stiller SMS" zu orten bin. Bei den jüngsten Enthüllungen des Chaos Computer Clubs zu den Schwachstellen des UMTS-Netzes habe ich mir ehrlich gesagt ins Fäustchen gelacht. Man könnte sogar so weit gehen zu fragen, ob man als Journalist, der Datenschutz ernst nimmt, überhaupt ein Mobiltelefon haben darf.

Im Gegenteil fragen mich aber viele Kollegen und Freunde, wie ich als Journalist ohne Handy überhaupt klarkomme. Die einfache Antwort: alles eine Frage der Organisation. Früher, als es noch keine Handys gab, ging es ja auch. Zu meinem Erstaunen pflichten mir viele in diesem Punkt fast immer bei, was mich in meiner bewussten Entscheidung bestärkt. Die Reaktionen von Journalistenkollegen auf meine Handylosigkeit wechseln zwischen Bewundern und Belächelung. Oft schwingt aber auch Respekt mit, wie ich meine Arbeit ohne Handy organisiere.

Tatsächlich ist die Arbeit und das Leben ohne Handy anders. Wenn ich zum Beispiel einen Termin habe, muss ich pünktlich sein, da ich mich sonst nicht schnell genug melden kann und mein Gegenüber im Regen stehen lasse. Es ist schon einige Male vorgekommen, dass ich zu spät dran war und dann ein echtes Problem hatte, weil keine Telefonzelle in der Nähe war oder ich kein Kleingeld parat hatte.

Häufiger kommt es allerdings vor, dass ich bei einem Termin stehengelassen werde, weil man mich nicht anrufen kann, um mir kurzfristig abzusagen oder mir mitzuteilen, dass man später kommt. Ich sehne mich dann nach der alten verbindlichen Zeit, in der man sich Tage im Voraus für einen bestimmten Ort verabredete und dann jeder tatsächlich dort auftauchte.

Bei meiner Handylosigkeit kommt mir zugute, dass ich so gut wie nie tagesaktuell arbeite und kaum auf Termine gehe und deshalb nicht ständig von unterwegs mit Redaktionen kommunizieren muss. Ich weiß nicht, ob ich meine Handylosigkeit sonst praktizieren könnte. Wenn mein Job existenziell davon abhinge, würde ich mir noch mal überlegen, ob ich mir nicht vielleicht doch ein Mobiltelefon zulege. Aber das müsste schon der absolute Traumjob sein.

Als ich vor einigen Jahren für einen Online-Branchendienst zu einer Pressekonferenz nach Köln fuhr, um tagesaktuell zu berichten, gab mein Laptop von einer Sekunde auf die andere den Geist auf. Ohne Handy und ohne Internet hatte ich Probleme, meinen Text in die Redaktion zu schicken. Zum Glück war eine Kollegin der „Rheinischen Post“ vor Ort, die mir ihr Handy borgte, so dass mein Text rechtzeitig erscheinen konnte. Ich komme mir heute noch vor wie ein Schmarotzer, aber ich habe den Laptop auch nicht gebaut und hätte mir sonst auch eine Telefonzelle gesucht.

Teure Telefonzelle

Mit den Telefonzellen ist das übrigens so eine Sache. Lange Zeit hat es mir ehrlich gesagt richtig Spaß gemacht, „oldschoolmäßig“ von einer Telefonzelle aus anzurufen. Ein kurzer Anruf ins Festnetz kostete nur 20 Cent und ich habe mir beim Einwerfen immer vorgestellt, wie viel ich jeden Monat dadurch spare, dass ich keinen Handyvertrag habe, ich aber geschätzt nur einmal im Monat auf eine Telefonzelle zurückgreifen musste. Zum 13. November hat aber die Deutsche Telekom bei ihren Telefonzellen das Mindestentgelt für einen Anruf ins Festnetz mal eben von 20 auf 50 Cent erhöht. Um auf einem Handy anzurufen, muss man jetzt sogar einen Euro statt 50 Cent einwerfen.

Neulich habe ich deswegen einen Euro ausgegeben, um für zwei Sekunden einen Anrufbeantworterspruch zu hören. Auf Nachfrage hat mir ein Telekom-Sprecher mitgeteilt, die neue Preispolitik trage in "Zeiten des Mobiltelefons und der damit stetig zurückgehenden Nutzung öffentlicher Telefone" dazu bei, die Standorte von öffentlichen Telefonen "so lange wie möglich zu erhalten". Der Bereich öffentliche Telefonie sei "defizitär".

Meine Handylosigkeit muss ich mir insgesamt einiges kosten lassen. Da Anrufe auf Handys bei den meisten Handyverträgen viel preiswerter sind als über einen normalen Festnetzanschluss, habe ich inzwischen Hunderte, wenn nicht Tausende Euros für Anrufe auf Handys vom Festnetz aus ausgegeben.

Manchmal sage ich Auftraggebern im Voraus, dass ich kein Handy habe und sie mich am besten über Festnetz oder E-Mail erreichen. Zum Glück ist es noch nicht vorgekommen, dass eine Redaktion die Zusammenarbeit deshalb mit mir verweigert hat. Wenn ich versichere, dass ich gut über Festnetz zu erreichen bin, ist das meist kein Problem. Aber den Satz "Du hast ja kein Handy …", verbunden mit einem kleinen Stöhnen, habe ich mehr als einmal gehört. Gelegentlich muss ich allerdings erklären, dass ich wirklich kein Mobiltelefon besitze. Nicht wenige vermuten zunächst, dass ich die Nummer nicht herausrücken möchte.

Sorge bereitet mir aber eher eine inzwischen zunehmende Diskriminierung von Nicht-Handybesitzern im geschäftlichen Verkehr. Wer zum Beispiel eine DHL-Packstation haben will, benötigt ein Handy, um die TAN zum Öffnen der Packstation empfangen zu können. Wer mit der Fluglinie Ryanair fliegt und über Verspätungen informiert werden möchte, benötigt ein Mobiltelefon, um die Verspätungs-SMS zu empfangen. Immer mehr Informationen im öffentlichen Raum werden in QR-Codes verpackt. Ohne Smartphone ist man da aufgeschmissen.

Anfang der Nullerjahre hatte ich übrigens sogar mal einige Zeit lang ein Handy. Als irgendwann mein Vertrag auslief, habe ich mir kein neues geholt. Das änderte sich, als ich mir eigens für ein einjähriges Auslandsstudium für die Wohnungssuche und die Kommunikation mit Kommilitonen per SMS ein Handy kaufte. Am allerletzten Tag meines Auslandsstudiums fuhr ich mit der U-Bahn. Weil das Handy in der Hosentasche drückte, legte ich es auf meinen Sitz. Als ich aussteigen musste, habe ich das Handy versehentlich einfach liegengelassen. Da das Handy ja nur für das eine Jahr gedacht war, dachte ich, dass das ein Zeichen sein muss, und habe mir danach nicht wieder ein neues Mobiltelefon zugelegt. Das ist jetzt bald zehn Jahre her.

Ich könnte jeden Tag in einen Laden gehen und mir für wenig Geld ein Handy kaufen. Vielleicht werde ich eines Tages gezwungen sein, mit Mobiltelefon zu leben. Bislang überwiegen für mich aber die Vorteile. Und zugegeben – ein bisschen stolz bin ich schon, einer der wenigen Wirtschaftsjournalisten zu sein, die kein Handy haben.

Marvin Oppong

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