Leute
DDP

Özkan: Mediale "Flutwelle" war manchmal belastend

Seit 100 Tagen ist die niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan im Amt. Sie ist die erste muslimische Ministerin in Deutschland.

Mit ddp-Korrespondentin Julia Spurzem sprach sie in Hannover über Kritik, das mediale Interesse an ihrer Person und Schwerpunkte in ihrer Arbeit.

ddp: Frau Özkan, zuerst einmal ganz generell gefragt: Wie haben Sie die ersten 100 Tage im Amt als niedersächsische Sozialministerin erlebt?

Özkan: Weil Niedersachsen nun mal groß, vielfältig und unterschiedlich in seinen Strukturen ist, war es mir wichtig diese Strukturen kennenzulernen und in den ersten hundert Tagen mit vielen Menschen auf zahlreichen Terminen und Veranstaltungen ins Gespräch zu kommen. Dabei wollte ich auch die Gefühle und Befindlichkeiten der Menschen kennen lernen. Es ging darum, mir ein direktes Bild vor Ort zu machen und insbesondere zu erreichen, dass die Menschen mich kennenlernen. Wichtig war mir, den Dialog zu führen. Wir haben selbstverständlich inhaltlich wichtige Strukturentscheidungen u.a. in der Gesundheitspolitik, der Baupolitik und der Pflegepolitik getroffen. Ein weiteres zentrales Anliegen ist natürlich, die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund stärker in den Blickpunkt zu rücken. Ich habe also die ersten 100 Tage sehr genutzt, um den Dialog in den Vordergrund zu stellen - sowohl intern im Ministerium als auch in der Fläche. Und das war eine sehr positive Bilanz, die man da ziehen kann.

ddp: Gilt diese positive Bilanz denn auch für Sie persönlich angesichts der Tatsache, dass Sie einiges an Kritik einstecken mussten?

Özkan: Es ist wichtig, dass man sich nie von Stimmungspendeln leiten lassen darf. Man muss sich schon an einer politischen aber auch inhaltlichen Überzeugung orientieren.

ddp: Haben Sie sich also missverstanden gefühlt?

Özkan: Bei der Einladung zum Runden Tisch Medien geht es vor allem um den Dialog. Im übrigen halte ich es wie folgt: Ich will durch inhaltliche Arbeit überzeugen und die Zielgruppen erreichen.

ddp: Dann mal anders gefragt: Würden Sie denn Dinge anders machen?

Özkan: Sicherlich können Sie nachvollziehen, dass in der ersten Zeit geradezu eine nicht nur mediale "Flutwelle" über mich gekommen ist. Die Heftigkeit des Interesses hat mich schon überrascht und bisweilen auch an Grenzen gebracht. Aber ich bin mir sehr bewusst, dass wir auch in Zukunft vor großen Herausforderungen stehen. Das hat gerade erst die Haushaltsklausur des Landeskabinetts wieder gezeigt.

ddp: Wie sehen Sie das für die Zukunft, angesichts der Tatsache, dass Sie zweimal mit Äußerungen wieder zurückrudern mussten?

Özkan: Wichtig ist, dass wir in der Landeregierung bei der Integrationspolitik und auch bei anderen inhaltlichen Themenschwerpunkten wie Gesundheit, Soziales und Familie eine ganz klare Übereinstimmung haben. Das steht im Vordergrund.

ddp: Sie haben eben das große Medieninteresse angesprochen. War das manchmal auch belastend für die Arbeit?

Özkan: Ich kann verstehen, dass es eine gesteigerte Neugierde und ein gesteigertes Interesse gibt. Und ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass es Normalität wird, dass Menschen mit Migrationshintergrund politische Verantwortung übernehmen können. Dass Menschen die Chance haben, gesellschaftlich mitzuwirken, ist eine wichtige Botschaft. Die dürfen wir auch nicht kaputt reden. Natürlich ist das ein Novum gewesen und deswegen kann ich die Neugierde verstehen. Das ist keine Bürde für mich aber es erleichtert mir natürlich auch nicht die Arbeit. Es ist wichtig, dass man sich dessen bewusst ist und sich gleichzeitig nicht nur davon leiten lässt. Sondern da ist eine politische Überzeugung und Richtung dahinter, die aufgezeigt wird. Mir ist wichtig, dass ich auch eine gewisse Normalität darstelle und diesen Weg muss nun mal einer gehen. Der ist manchmal schmerzhaft und manchmal auch interessant. Man kann nicht immer erwarten, dass es nur positive Berichterstattung gibt. Man ist eben auch in einem politischen Umfeld und trifft auch mal Entscheidungen, die nicht jeder bejubeln kann. Daran muss man sich gewöhnen.

ddp: Was wird uns denn die nächsten 100 Tage noch erwarten? Wo setzen Sie ihre Schwerpunkte?

Özkan: Wir werden konkrete Maßnahmen und Projekte auf den Weg bringen. Ein Projekt ist, eine Gesundheitsregion modellhaft zu erproben und so zu schauen, wie eine Region bei Gesundheitsfragen mit allen Akteuren vor Ort enger zusammenarbeiten kann. Schließlich wird es wichtig sein, wie wir mit der Herausforderung umgehen, dass die Menschen wohnortnah eine Gesundheitsversorgung haben müssen, die eine hohe Qualität hat. Wir werden uns zudem die Beratungseinrichtungen in den Kommunen genau ansehen, wie Senioren-Servicebüros, Familien-Servicebüros oder Pflegestützpunkte. Zudem ist es wichtig, dass die Einrichtungen angesichts der knappen Mittel, die wir zur Verfügung haben, besser vernetzt werden und damit die Finanzierung sichergestellt wird. Und wir werden ganz stark beim Thema Integration schauen, wie wir die frühkindliche Bildung akzentuieren können, in dem wir die Familien mehr mit einbeziehen. Dabei geht es darum, wie man Familien befähigen kann, den Weg ihrer Kinder mit zu gestalten und mitzubestimmen, um eine gute Grundlage für die Zukunft zu bieten.