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Philipp Jessen geht zu Grazia: Vom Glück der Familie

Manchmal gibt es Entscheidungen, da geht ein Raunen durch die Reihen, die Kollegen tuscheln, packen sich an den Kopf, sind irritiert, stellen mögliche und unmögliche Vermutungen an. Wie im Fall von Philipp Jessen, dem Ex-Boss der Jugendzeitschrift Bravo, der sich für das Glück im Privaten entschieden hat und dafür - auf dem ersten Blick - Abstriche im Berufsleben akzeptiert. Seine Geschichte ist die Geschichte von vielen jungen Journalisten, für die eine Wahl zwischen Familie und Beruf nicht mehr in Frage kommt, die beides haben wollen - und kriegen.

Berlin - Jessen, erst 34 Jahre jung, gilt in Fachkreisen als einer der stärksten People-Journalisten im deutschsprachigen Raum - auch wenn er die vergangenen Jahre "nur" für junge Leute Blatt machte.

Jessens wortgewaltige Bilder in seinen Porträts beeindrucken den Leser, er lässt den Prominenten ihre Würde, und er kriegt sie eigentlich alle. Kluge People-Autoren wie Jessen oder Sascha Hellen, der inzwischen zu den wichtigsten Strippenziehern in Nordrhein-Westfalen zählt, sind selten.

Auf der Überholspur, links kam an Philipp Jessen beim beruflichen Aufstieg niemand vorbei.

 

Philipp Jessen bringt Familie und Beruf in Einklang. Der ehemalige Bravo-Chefredakteur wird Executive Editor bei Grazia. Los geht es am 1. Juli. Foto: Archiv

 

Im Januar, nachdem er von seinem Posten bei der Bravo plötzlich zurückgetreten ist, hat er sich komplett ins Private zurückgezogen, viel Zeit mit seiner Ehefrau und seiner erst elf Monate alten Tochter verbracht, das Familienleben genossen.

Die Nachricht, dass er zur Bunte als Autor wechselt, wurde dann im Kollegenkreis als selbstverständlich, als logischer Schritt angesehen.

Bei Bild war er schließlich schon, Vize-Chef der letzten Seite, bei der wieder eingegangenen deutschen Vanity Fair gehörte er zu den prägenden Köpfen, in Erinnerung geblieben ist sein freches Interview mit der klugen Katja Keßler.

Jetzt also Bunte - eigentlich. Patricia Riekel, eine der besten Blattmacherinnen der Republik, angelt sich einen der besten People-Autoren auf dem Markt - das passt irgendwie.

"Es war schon schwierig, ein passendes Arrangement zu finden", gesteht die Bunte-Chefredakteurin, die Woche für Woche mit ihrem Blatt die Republik bewegt, im Gespräch mit NEWSROOM. Der Deal besagte - die Hälfte der Zeit sollte Jessen am Redaktionssitz München verbringen, den Rest der Woche von Hamburg aus arbeiten.

Riekel, von der behauptet wird, dass sie mehr Geheimnisse von Deutschlands Prominenten hortet als Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, wollte Jessen, den Hamburger Jungen, unbedingt verpflichten.

Ihre Redaktion ist zwar exzellent besetzt, das Blatt ist Burdas Cash-Cow, und Granden wie Paul Sahner gehören selbst zur Münchener Schickeria.

Aber die Hauptakteure, auch das ist bekannt, sind halt nicht mehr die Jüngsten; und andere Top-Journalisten wie der ehemalige Politik-Chef wurden aus übertriebener und unberechtiger Angst wie in einem schlechten Film vor die Tür gesetzt.

Jessen hätte helfen sollen, dem Burda-Blatt ein frischeres, jüngeres Image zu geben.

Wer Jessen  kennt, weiß, wie sehr er Riekel verehrt. In Kollegenkreisen bezeichnet er das Heft oft als das beste Peoplemagazin Deutschlands.

Dennoch geht er nicht zur Bunten, er bleibt in Hamburg.

Das Bedauern in den Redaktionsräumen im Arabellapark ist groß: "Aus familiären Gründen ist es für ihn schwierig, eine Position in München anzunehmen. Ich hätte ihn gerne an Bord gehabt. Ich freue mich aber für seine Familie", sagt Patricia Riekel zu NEWSROOM.

Riekel, ungewöhnlich und vorbildlich für eine Führungskraft im deutschen Verlagswesen, weiß schon länger, welch wichtige Rolle das Familienleben für jüngere Journalisten spielt.

 

Hätte gerne Philipp Jessen in ihre Redaktion geholt: Bunte-Chefredakteurin Patricia Riekel. Foto: Hubert Burda Media

 

Die Zeiten haben sich geändert, junge Journalisten wollen die eigenen Kinder nicht nur am Wochenende kurz erleben, sondern aufwachsen sehen. Dafür verzichten sie auch auf den nächsten Schritt in der Karriereleiter. Die Verlage müssen sich auf das veränderte Spiel am Arbeitsmarkt einstellen, wenn sie weiterhin die besten Köpfe für sich gewinnen wollen.

Jessen, das hat Gruner und Jahr gestern bestätigt, wechselt zum Magazin Grazia.

Er verzichtet damit auf München, wo er nie richtig heimisch geworden ist, wo er sich nie so wohl wie in seiner Heimatstadt an der Elbe gefühlt hat.

Dort hatte er zu Bravo-Zeiten in Schwabing lediglich eine dieser klassischen Pendler-Wohnungen bewohnt, komplett eingerichtet, mit Einbauküche, aber ohne Wärme; am Wochenende zog es ihn, wer konnte es ihm verdenken, zur Familie nach Hamburg.

Grazia ist deutlich kleiner und zumindest in Deutschland auch jünger als Bravo und Bunte. Die Erstausgabe von Bunte erschien 1954, die Bravo gibt es seit 1956. Bravo verkauft aktuell Woche für Woche rund 320.000 Exemplare, die Bunte fast 587.000 Exemplare.

Grazia stammt aus dem Mailänder Traditions-Verlag Mondadori und erscheint in Deutschland seit Anfang 2010 in Lizenz in einem gemeinsamen Verlag von Gruner und Jahr und der Mediengruppe Klambt. Der Verlag verkauft wöchentlich rund 184.000 Exemplare, das Magazin, das es seit über 70 Jahren in Italien gibt, bietet noch enormes Potential.

Bei Grazia übernimmt Jessen den Posten des Executive Editors, wird dort unter Chefredakteurin Claudia ten Hoevel die People-Berichterstattung weiterentwickeln. Auch ten Hoevel hat Erfahrung bei Medien für junge Leute, sie war stellvertretende Chefredakteurin bei der Zeitschrift "Mädchen".

Mit Jessens Verpflichtung ist ihre Führungsriege, zu der Vize-Chefredakteurin Christina Gath, Text-Chef Dennis Kayser, News-Chefin Angela Meier-Jakobsen sowie People-Chef Christian Renz gehören, nun komplett.

Jessen, der sich gestern zur eigenen Personalie nicht äußern wollte, wird in Zukunft einen ganz kurzen Weg zur Arbeit haben. Mit der U-Bahn muss er lediglich eine Station bis zum Gänsemarkt fahren. Dort hat die Grazia ihren Sitz.

Bülend Ürük