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Sergej Lochthofen abgesetzt: "Entscheidung aus heiterem Himmel"

Streit um Chefredakteurswechsel in Thüringen - "Sippenhaft".

Berlin/Erfurt (dpa) - Einer der dienstältesten Chefredakteure Deutschlands wird abgelöst. Wie die WAZ-Mediengruppe am Donnerstag mitteilte, wird Sergej Lochthofen (56) bei der "Thüringer Allgemeinen" vom Chefredakteur der "Braunschweiger Zeitung", Paul- Josef Raue (59) ersetzt. Lochthofen - der seit 1990 die Redaktion in Erfurt führt - sprach von einer Entscheidung aus heiterem Himmel. "Es wurde kein Grund vorgetragen", sagte er der dpa.

Auch seine Ehefrau, die stellvertretende Chefredakteurin Antje- Maria Lochthofen, sei abgelöst worden. "Ich hätte nicht gedacht, dass diese Art Sippenhaft wie in der Stalin-Zeit in unserem Land möglich ist. Das erinnert mich an die Strukturen in der DDR", erklärte der in Russland geborene Journalist.

Die "Thüringer Allgemeine" hieß zu DDR-Zeiten "Das Volk" und war im Januar 1990 die erste SED-Bezirkszeitung, die sich für unabhängig erklärte. Lochthofen wurde damals von den Mitarbeitern zum Chefredakteur gewählt und gab dem Blatt seinen neuen Namen. Mit seinen zahlreichen Auftritten zum Beispiel im ARD-Presseclub wurde er zu einer profilierten Stimme des Ostens. In Thüringen erscheinen drei Titel der WAZ-Gruppe mit einer Auflage von insgesamt rund 330.000 Exemplaren, die "Thüringer Allgemeine" ist die größte davon.

Nach dem Wunsch der Geschäftsführung soll Lochthofen eine andere Aufgabe übernehmen, "die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht". In einer E-Mail an die Mitarbeiter schreibt der Geschäftsführer der Zeitungsgruppe Thüringen, Klaus Schrotthofer, trotz der großen Verdienste Lochthofens sei ein Wechsel in der Chefredaktion sinnvoll und notwendig, um den 2008 begonnenen Weg der Erneuerung fortsetzen zu können.

Die journalistische Unabhängigkeit der Redaktionen solle nicht angetastet werden. Die WAZ-Gruppe versicherte, die lokale und regionale Kompetenz der "Thüringer Allgemeinen" solle gestärkt und die Vielfalt der Zeitungstitel in Thüringen erhalten werden.

Lochthofen kam 1953 als Sohn eines internierten deutschen Kommunisten im russischen Workuta zur Welt. Seine Mutter ist Russin, sein Vater Deutscher. Die Familie siedelte Ende der 50er Jahre von der Sowjetunion in die DDR über.

Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag, Bodo Ramelow, kritisierte: "Hier wird mit der Pressefreiheit sorglos Schlitten gefahren. Offenbar ist das erklärte Ziel, die Thüringer Presselandschaft willfährig zu machen." Raues Nachfolge in Braunschweig wird zunächst kommissarisch der stellvertretende Chefredakteur Stefan Kläsener (45) übernehmen.