Leute
Newsroom

Susanne Gaschke: Die Frau, die sich traut

Als Journalistin gilt Susanne Gaschke als streitbar, in der Redaktion durchsetzungsstark, klug und immer gut informiert. Jetzt möchte sie die Seiten wechseln, aus der angesehenen "Zeit"-Redaktion in die Niederungen der Lokalpolitik gehen. Warum?

Kiel - Weg von der Beobachterrolle, hin in die Position der Macherin - für ihre Heimatstadt hat sich Susanne Gaschke entschieden, ohne lange darüber nachzudenken. Gaschke, 45 Jahre alt, hat aus ihrem Parteibuch nie einen Hehl gemacht. Die Norddeutsche ist Mutter einer 21-jährigen Tochter und verheiratet mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Bartels. "Ich war nicht auf der Suche nach irgendeiner Stadt, ich möchte nicht irgendwo Oberbürgermeisterin werden, sondern in meiner Heimatstadt Kiel", sagt Susanne Gaschke im Gespräch mit NEWSROOM.

Susanne Gaschke stammt aus Kiel, sie hat dort bei den "Kieler Nachrichten" volontiert, ist in der Stadt exzellent verdrahtet.

 

Susanne Gaschke, 45 Jahre alt, leitende Redakteurin bei der Wochenzeitung "Die Zeit" möchte für die SPD Oberbürgermeisterin in Kiel werden. Dafür würde die profilierte und promovierte Vollblut-Journalistin auf ihren Job in Hamburg verzichten.

 

 

Gaschke schreibt seit über 15 Jahren für die "Zeit", sie ist leitende Redakteurin, zu ihren prägenden Themen gehören Familien- und Bildungspolitik, seit dem Vorjahr fungiert sie zudem als Herausgeberin von "Zeit Leo", dem Kindermagazin.

Nun will sie den Beobachterkreis verlassen und wieder aktiv Politik machen. Gaschke war AStA-Vorsitzende an ihrer Hochschule, engagierte sich bei den Jusos, war Landesdelegierte der SPD. "Mir fehlt es, ich möchte nicht nur angucken und bewerten, sondern selber machen und umsetzen."

Gaschke verspürt eine "Demokratiekrise" in der Gesellschaft und in den Medien, gegen die sie angehen möchte: "Im Journalismus gibt es eine Tendenz, sehr stark zuzuspitzen. Alles, was differenziert, ist nur sehr schwer zu vermitteln."

Viele Bürger hätten nur eine geringe Wertschätzung gegenüber Politikern und Parteien, sie glaubten, dass diese sich hauptsächlich mit sich selbst zu beschäftigten. Die Menschen blieben dabei auf der Strecke.

Wie hat sich denn ihr Leben seit ihrer Entscheidung für den Seitenwechsel verändert?

Seit ihrer Ankündigung Anfang Juni, in Kiel antreten zu wollen, "bin ich vorsichtiger geworden bei meinen Aussagen; ich muss jetzt schon mitbedenken: Was sagt meine Partei dazu", verrät Gaschke. Bei der politischen Kommentierung hält sie sich zurück, ihr Ressort, Kinder und Jugend, bietet sowieso wenig Anlass für heftige politische Attacken.

"Ich freue mich über ein positives, beglückendes Echo in der Partei", sagt Susanne Gaschke. Dass sie das Leben allerdings ein ganzes Stück weit ändert, hat sie zum Beispiel am Wochenende festgestellt. "Ich mag nicht mehr in kurzen Hosen einkaufen gehen. Wer kandidiert, muss auch mit seiner Kleidung zeigen, dass er seriös ist, das können die Mitbürger schon erwarten."

Susanne Gaschke, die sich in der Mitte der SPD verortet und auch Menschen anspricht, die sich als bürgerlich betrachten, eine Menschenfischerin, freut sich über die Unterstützung in ihrer Redaktion, auch von der "Zeit"-Chefredaktion habe sie Verständnis für ihre Entscheidung erhalten. "Ich habe eine Entscheidung für Kiel getroffen, nicht gegen die "Zeit". Ich liebe meinen Beruf", sagt die Vollblut-Journalistin.

Dabei ist es so eine Sache, die beschaulichen Räumlichkeiten einer noblen Hamburger Wochenzeitung mit dem Führungsamt in einer deutschen Großstadt einzutauschen.

Die Stadt Kiel, wunderschön am Wasser gelegen, weltoffen, Heimatstadt auch von den Journalisten Katja Kessler, Oswalt Kolle oder dem Philosophen Thomas Grundmann, hat wie viele Großstädte enorme Probleme, der Haushalt ist hoch defizitär.

Kiel soll 2012 zwar fast 648 Millionen Euro erwirtschaften. Zum Vergleich - der "Zeit"-Verlag hat im vergangenen Jahr einen Rekordumsatz von "lediglich" 151 Millionen Euro gemacht.

Nur - in Kiel wird die Gesamtverschuldung bis 2013 die eine Milliarde Euro Grenze überschreiten, die "Zeit" erwirtschaftet einen Gewinn, der den Verlegern ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Da braucht Susanne Gaschke, die über keine Verwaltungserfahrungen verfügt, gute Ideen und Durchsetzungskraft, um bei immer knapper werdenden Ressourcen öffentlich wichtige Angebote wie Schwimmbäder oder Bibliotheken aufrecht zu erhalten.

Bei ihren Vorstellungsrunden wird sie den Genossen vor Ort gute Argumente dafür liefern müssen, wie sie den Mangel der Verwaltungserfahrung ausgleichen will.

Martina Drexler ist Rathaus-Redakteurin bei den "Kieler Nachrichten". Was erwartet Susanne Gaschke in Kiel, Frau Drexler?

"Worauf sie sich einlässt, ist auf jeden Fall die Führung eines Verwaltungsapparates mit 4.400 Mitarbeitern, das dürfte schwierig sein. Und Kiel hat enorme Haushaltsprobleme, hat sehr strenge Vorgaben von der alten Landesregierung bekommen", sagt die erfahrene Kollegin zu NEWSROOM.

4.400 Mitarbeiter, die in der Verwaltung arbeiten, aber auch bei der Feuerwehr oder als Gärtner die Grünanlagen der Stadt verschönern.

Bei ihrer Nominierung wird sich Susanne Gaschke auch an ihren Beiträgen messen lassen müssen, die sie in der "Zeit" veröffentlicht hat.

Wir dürfen nicht vergessen, wenn bei einer SPD-Ortsversammlung zehn Genossen an den Tischen sitzen, passiert es nicht selten, dass auch zehn unterschiedliche Meinungen hochgehalten werden. Und wer in den politischen Ring steigt, muss Ausdauer beweisen und sich auch an seine Worte erinnern, die er gestern oder vorgestern gesagt, geschrieben hat. Gaschke kann diskutieren, leidenschaftlich sogar.

In ihren letzten Beiträgen für die "Zeit" hat es Susanne Gaschke über die SPD und ihre Suche nach einem Kanzlerkandidaten so formuliert: "Aber wahrscheinlich müssen doch wieder die untaktischen Frauen das Problem lösen. Und zwar entweder, indem die SPD endlich den Auftrag der nordrhein-westfälischen Wähler akzeptiert und Hannelore Kraft den Kandidaten bestimmen lässt. Oder: Die Generalsekretärin sucht zwei Kandidaten aus, und die Partei nominiert dann den, den sie übrig gelassen hat. Beide Verfahren bieten dem Besten eine faire Chance."

Für Diskussionen dürfte aber auch ihr Artikel "Ein irrer Verein" sorgen. Susanne Gaschke prognostiziert: "Schleichend ist die SPD zu einer Organisation versteinert, die auf die Veränderungen der Gegenwart – von der enormen Beschleunigung des Lebens über die Revolution der Kommunikation bis zur langlebigen Gesellschaft – nicht mit Staunen und Neugier, nicht mit Fragen und Diskussionen reagiert, sondern mit leerlaufenden Reflexen. Und sie ist eine verzagte Organisation geworden, die sich selbst nicht richtig mag. Oder präziser: Manche Funktionäre sind ihrer Mitglieder überdrüssig."

Diese Mitglieder sind es, die Susanne Gaschke überzeugen muss, die muss sie für sich gewinnen, auf ihre Ziele einschwören.

Die Leser entscheiden jeden Tag aufs Neue, ob Journalisten gute Arbeit geleistet haben. Mal werden unsere Artikel gelesen, mal ignoriert. Selten lassen Meinungsstücke Leser kalt. Dass es Menschen sind, die entscheiden, dass weiß Susanne Gaschke.

Ihre Kandidatur wird belegen, wie einfach oder schwer der Wechsel von einer Führungsposition in der Medienwirtschaft in die Politik sein kann.

Wer wünscht sich keine Politiker aus der Mitte der Gesellschaft, Menschen in Verantwortung, die sich auch in der freien Wirtschaft behauptet haben? Die Genossen in Kiel haben die Wahl, ob sie eine Journalistin als Erste Frau in ihrer Stadt sehen, bevor dann die gesamte Bürgerschaft entscheidet.

Wer mit langjährigen Wegbegleitern von Susanne Gaschke spricht, hört viel Gutes über sie. Ihre messerscharfe Intelligenz wird hervorgehoben, ihre Durchsetzungskraft, ihre Leidenschaft für Themen.

Die wird sie in der Politik gut gebrauchen können.

Bülend Ürük