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SWR-Intendant in der Kritik: Kabarettist Matthias Deutschmann über den "eisernen Boudgoust"

In einem Gastbeitrag für Newsroom.de macht der bekannte Freiburger Kabarettist Matthias Deutschmann deutlich, warum Peter Boudgoust, Intendant des Südwestrundfunks, seine Entscheidung, die SWR-Orchester zu fusionieren, zurücknehmen muss.

Freiburg - Kabarettist Matthias Deutschmann, Markenzeichen Cello und unter anderem Preisträger des Deutschen Kabarettpreises, findet es beschämend, dass Boudgoust weiterhin darauf beharrt, die SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg mit dem Stuttgarter Radio-Sinfonieorchester zu fusionieren.

Als im Jahre 2011 die Umstellung der Rundfunkgebühren beschlossen wurde, erschien Peter Boudgoust, dem Intendanten des Südwestrundfunks, ein großes Loch am Horizont, für das er schnell eine Zahl parat hatte: 166 Millionen Euro.

Ein bedrohliches Minus, das der gelernte Jurist zum Anlass nahm, einen seltsamen Sparkurs einzuschlagen: Der Hörfunksender SWR3, längst so etwas wie ein Privatsender mit öffentlich-rechtlicher Schutzhülle, wurde mit einer Sparquote von einem Prozent bedacht.

Seinen Orchestern, dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, verpasste der Intendant jedoch eine giftige Spitzenkürzung von 25 Prozent.

 

Kabarettist Matthias Deutschmann fordert SWR-Intendant Peter Boudgost zum Umdenken auf. Foto: © Albert Josef Schmidt

 

 

Damit waren beide Orchester in ihrer Substanz bedroht und Sparstratege Boudgoust konnte im Februar 2012 eine sorgsame, ganz im Stillen mit Hilfe einer Unternehmensberatung vorbereitete Lösung aus dem Hut zaubern: Fusionierung des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg mit dem Stuttgarter Radio-Sinfonieorchester zu einem „Super Plus Orchester“.

Als bald darauf eine so genannte Sachverständigenkommission die Landeshauptstadt als zukünftigen Standort des „Super Plus Orchesters“ erkor, war offensichtlich: Im Grunde sollte das Stuttgarter Orchester aufgestockt, das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg aufgelöst werden. Ausgerechnet jener Klangkörper, der wegen seiner traditionellen Kompetenz für Neue Musik weltweit singuläres Ansehen genießt.

Aus ganz Europa hagelte es Proteste von Komponisten und Dirigenten. Aus Paris schrieb Pierre Boulez, Simon Rattle aus Berlin. Aber Kritik von Fachleuten an seinen Plänen ist für den Intendanten bis heute kein Anlass, sich auf eine fachliche Diskussion einzulassen.

Boudgoust ist sein eigener Fachmann und nebenbei ein Connaisseur, der seinen Gefühlen freien Lauf lässt, wenn er in einem Atemzug „packende Fußballmomente“ genauso schätzt wie ein Orchester, das die „Balance zwischen den aufbrausenden Momenten und den intimen Stellen“ bei Schostakowitsch halten kann. Nach eigenem Bekunden „hängt“ er sogar „an seinen Klangkörpern“.

Mehr noch als Playmodel Katzenberger?

Der interessierte Beitragszahler darf sich nicht täuschen lassen: Die wahre Liebe des Volljuristen Boudgoust gilt den Zahlen. Es gibt nur ein Problem: Manchmal stimmen die Zahlen nicht. Aus den 2011 prognostizierten 166 Millionen Minus ist ein rechnerisches Plus in etwa gleicher Höhe geworden.

Die Umstellung von GEZ-Gebühr auf Beitrag hatte satte Mehreinnahmen gebracht.

Knapp 1,2 Milliarden Euro hat die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) festgestellt, und davon stünden dem SWR ungefähr 170 Millionen Euro zu.

Natürlich war Boudgoust sofort zur Stelle, stützte sich auf die politische Einschätzung der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer und verkündete, dass dieses Geld auf keinen Fall dem Sender zufließen dürfe, weil es ja nicht als Finanzbedarf ermittelt wurde. Das mag ja sein, ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Intendant  auf der Basis von falschen Zahlen ein Orchester von Weltrang im Spargraben verschwinden lassen will.

Vom großen Loch im SWR ist nun nicht mehr die Rede, stattdessen hält Boudgoust den Gegnern der Orchesterfusion entschlossen das Defizit des letzten Jahres entgegen, immerhin 41 Millionen Euro.

Aber bei einem Haushaltsvolumen des SWR von 1,2 Milliarden ist das weniger als 3 Prozent und gewiss kein Grund, ein in Jahrzehnten gewachsenes Spitzenorchester aufzulösen.

Inzwischen interessiert sich die Politik für die Zahlenspiele des Intendanten.

Der Wissenschaftsausschuss des Stuttgarter Landtags hat Boudgoust im Februar aufgefordert, Möglichkeiten für den Erhalt des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg zu prüfen. Boudgoust hat den Parlamentariern innerhalb von wenigen Stunden geantwortet: „In einem ausführlichen und transparenten Prozess hat der SWR nach Alternativen für die Fusion gesucht, leider ohne Erfolg. Wir haben sorgfältig und intensiv geprüft, weiteres Prüfen hilft nicht weiter.“

Um zum Wahrheitsgehalt dieser Erklärung vorzustoßen, sind ein paar Fakten vielleicht doch hilfreich: Boudgoust gibt sich den Anschein, er habe „gemeinsam mit seinen Gremien“ alles getan, um zusammen mit „allen denkbaren Dritten“ die Fusion abzuwenden.

Dass dem Intendanten bei „allen denkbaren Dritten“ die Landesregierung partout nicht einfallen wollte, spricht nicht für sein Denkvermögen.

In Bayern hätte er sich erkundigen können, wie man Orchester rettet.

Die Bamberger Symphoniker wurden 2003 zur Bayerischen Staatsphilharmonie; seither werden sie durch Zuwendungen des Freistaats Bayern, des Landkreises Bamberg und des Bezirks Oberfranken im Wege der Stiftung Bamberger Symphoniker finanziert.

Für ein ähnliches, in diesem Fall auch transnationales Stiftungsmodell plädiert der Freiburger Verfassungsrechtler Friedrich Schoch. Er kämpft seit Monaten bei Politikern und Institutionen für diese Idee, stößt jedoch im SWR, der auf das intellektuelle Format seines Intendanten geschrumpft ist, auf Arroganz und Ignoranz. Auch das bürgerschaftliche Engagement der Bevölkerung schert Boudgoust einen Kehricht: 28.000 Unterschriften bezeugen die Solidarität mit dem SWR Sinfonieorchester.

Und was macht Boudgoust?

Er lässt den Freundeskreis des Orchesters aus dem Funkhaus werfen.

In München revidierte der Intendant Thomas Gruber 2005 nach heftigen Protesten seine Entscheidung, das Münchner Rundfunkorchester aufzulösen. Es geht also doch! Allerdings nicht mit Boudgoust, bei dem sich mittlerweile auch die UNESCO gemeldet hat. Der Herr des Verfahrens antwortete mit einem Strom von Krokodilstränen: „Ich verstehe ganz und gar die Bitte, die Fusion der Orchester zu überdenken, aber der Rundfunkrat – unser Kontrollgremium – hat sich hinter unsere Entscheidung gestellt, die Orchester aus finanziellen Gründen zu vereinigen. Ich bedauere zutiefst, dass nicht beide Orchester erhalten werden können.“ Was für ein Schmierentheater!

Im Juni 2012 hatte der Rundfunkrat, zum größten Teil eine kulturpolitisch blinde Runde von Spesenrittern, die destruktiven Pläne des Intendanten (bis auf wenige Gegenstimmen) willig abgenickt, jetzt verschanzt sich Boudgoust hinter dem Rundfunkrat.

Aber weiß der Zahlenfetischist aus Stuttgart überhaupt, was er kaputt macht?

Das SWR Sinfonieorchester ist seit seiner Gründung am 1. Februar 1946 ein herausragender Botschafter der Kulturnation Deutschland.

Man stelle sich vor: Zu einer Zeit, als in Nürnberg nach dem Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs Nazi-Kriegsverbrecher aufgehängt wurden, spielte man in Baden-Baden auf Betreiben einer Siegermacht, nämlich Frankreichs, schon wieder Strawinsky. Dieses Orchester steht wie kein anderes für die Rekultivierung Deutschlands. Es ist ein lebendiges Denkmal mit höchster internationaler Reputation und eben nicht die Summe von vertraglich gebundenen Musikern, die man drangsalieren und maßregeln kann. Jenseits von Quote und Marktanteil, stellt es einen eigenen kulturellen Wert dar.

Möglicherweise übersteigt dieser Gedanke den kulturellen Horizont des Herrn Boudgoust.

Aber ein Intendant, der diesen kulturellen Wert nicht schützt, mag beim ADAC die Statistiken justieren, in einem öffentlich-rechtlichen Sender ist er fehl am Platz, denn er hat den Kulturauftrag des SWR nicht begriffen. Boudgoust kann vielleicht zählen, aber schon das Rechnen fällt ihm schwer.

„Millionen Sportbegeisterte“, so hat er sich vernehmen lassen, „subventionieren de facto mit ihren Gebühren Kulturprogramme und auch Orchester, die nur für eine vergleichsweise kleine Gruppe interessant sind.“

Der Intendant verschweigt hier vorsorglich, dass der SWR, durch den Erwerb der Übertragungsrechte Millionen in die Bundesliga pumpt.

Wie kulturell, politisch und sportlich ahnungslos der Zahlenfex Boudgoust denkt, zeigte ihm Fritz Keller, der Präsident des Bundesligisten SC Freiburg, als er das SWR Sinfonieorchester zum Livekonzert – wohin? – ins Fußballstadion einlud und den Intendanten bei einer Protestveranstaltung mit klaren Worten an seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag erinnerte. Die Antwort aus dem Intendantenbüro kam postwendend und so viel darf verraten werden: Sie war eines Intendanten nicht würdig, aber sie stammte ja auch von Peter Boudgoust.

Der ist mittlerweile unter Druck geraten und beruft sich in seiner Not auf die verfassungsrechtlich verbriefte Unabhängigkeit des Rundfunks.

Die Wirklichkeit sieht allerdings etwas anders aus. Am 29. Juni 2012, als der Rundfunkrat über die Fusion beriet, gab der Verwaltungsdirektor Viktor von Oertzen den Räten eine kleine Entscheidungshilfe: „Der Vorsitzende der Rundfunkkommission, der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz“, so der Protokollant, „habe noch im Januar gefordert, die Zahl der Rundfunkorchester zu reduzieren. Auch andere Politiker verlangten Ähnliches. Reagiere der SWR auf solche Aussagen nicht, sehe die Politik wohl keinen Anlass, den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.“

Im Klartext: Löst das SWR Sinfonieorchester auf, dann gibt es mehr Geld. Die Rundfunkräte haben schneller genickt, als sie denken konnten. Soviel zum Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Der Impuls zur Abwicklung des SWR Sinfonieorchesters kam also aus Rheinland-Pfalz, und zwar vom damaligen Ministerpräsidenten Kurt Beck, der seinerzeit den Vorsitz in der Rundfunkkommission innehatte.

Boudgoust exekutiert das, was der Politiker Beck verlangte.

Als Erfüllungsgehilfe eines Ministerpräsidenten auf die verfassungsmäßigen Rechte des Rundfunks zu pochen, ist nicht bloß schamlos, sondern auch juristisch pervers. Boudgoust aber liebt seine Zahlen und ist damit ein Protagonist der neuen Zeit, die solche staatsnahen Banausen fördert.

Der Name Boudgoust, so hat es der Verwaltungsrechtler Friedrich Schoch öffentlich formuliert, steht für Demokratur.

Es ist beschämend, wie die Mitarbeiter des SWR die Zerstörung eines Orchesters von internationaler Bedeutung beschweigen müssen. Dem Chefdirigenten François-Xavier Roth hat Boudgoust vertraglich untersagt, mit einem Button für den Erhalt seines Orchesters zu werben. Roth unterschrieb, weil er sein Orchester nicht alleine lassen wollte.

Winfried Kretschmann, der kreuzgute,  konservative Landesvater, der so wunderbar bedächtig reden kann, schweigt. Herr Ministerpräsident Kretschmann, es isch noch nix geschwätzt. Und sagen Sie bitte nicht: Wir können alles außer Hochkultur.

Matthias Deutschmann