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Uwe Vetterick: Der Mann, dem Julia Jäkel vertraut

Uwe Vetterick: Der Mann, dem Julia Jäkel vertraut Uwe Vetterick.

Wer ist Uwe Vetterick? In der Tat wohl der beste deutsche Chefredakteur, dessen Laufbahn so faszinierend ist wie die Zeitung, die er macht und die dank seiner Strategien und Ideen zu einer großen wurde – nicht nur im Osten Deutschlands. Von Paul-Josef Raue.

Dresden - Uwe Vetterick, Chefredakteur der in Dresden erscheinenden "Sächsischen Zeitung", wurde jetzt von einer Jury des "Medium Magazins" (erscheint wie Newsroom.de ebenfalls im Medienfachverlag Oberauer), zum Chefredakteur des Jahres in der Kategorie Regionales ausgezeichnet. Über ihn selbst ist bislang nur wenig bekannt.

 

Uwe Vetterick ist Ostdeutscher und begann seine Karriere als Zwanzigjähriger in der Wende: Eine beneidenswerte Startposition!

 

"Ich bin Journalist geworden, weil mich ein Verleger und ein Chefredakteur im Frühjahr 1990 zu einem Praktikum überredet haben", schreibt er, in der ihm eigenen Bescheidenheit, im Online-Portal der "Sächsischen Zeitung".

 

Er begann bei dem in der Wende neu gegründeten "Greifswalder Tageblatt", für das Unternehmer aus dem Oldenburger Münsterland ihr Geld gegeben hatten. Es war eine phantastische Wende-Zeitung, die 1990 als erste ostdeutsche den Deutschen Lokaljournalismus-Preis bekam – in dem Jahr, als Vetterick als Volontär begonnen hat.

 

Der Preis begleitete Vetterick: Als Chefredakteur der "Sächsischen Zeitung" holte er ihn 2013 nach Dresden für den "SZ-Famlienkompass", für eine Serie mit 400 Artikeln: Wie glücklich sind die Familien in den sächsischen Städten? Was ist gut? Was fehlt?

 

Vetterick wird wohl ein Abonnent dieses Preises werden. Seine erste Zeitung überlebte den Preis und die ersten Jahre nicht: Die erst gelungene, dann schreckliche Geschichte des "Greifswalder Tageblatts" lohnt, einmal aufgeschrieben zu werden.

 

Für Vetterick war sie ein guter Start, wie übrigens auch für Frank Pergande, der bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" eine beeindruckende Karriere gemacht hat.

 

Vetterick stieg steil auf, wurde stellvertretender Chefredakteur bei "Bild" und verantwortlich für den Osten (in dem "Bild" nie Fuß fassen konnte), ging für ein Jahr als Vize-Chefredakteur zum "Tagesanzeiger" in die Schweiz – als einer der ersten Deutschen; heute leitet mit Wolfgang Büchner, dem Ex-"Spiegel"- und dpa-Chef, ein Deutscher die "Blick"-Gruppe, der sich mit Michael Ludewig von dpa eine Art Super-Deskchef geholt hat.

 

Stellvertretende Chefredakteure von "Bild" werden gute Chefredakteure bei Regionalzeitungen: Es gibt einige Beispiele, die herausragenden sind Uwe Vetterick und Sven Goesmann, der die "Rheinische Post" wieder in Schwung gebracht hatte und nun bei dpa reüssiert, nicht nur weil er gerade drei Frauen in die Chefredaktion berufen hat.

 

Wie kam Vetterick aus der Schweiz zur "Sächsischen Zeitung"? "Ein Anruf des damaligen Geschäftsführers, zwei gemeinsame Essen (einmal Frühstück, einmal Brunch), ein ungewöhnliches Gespräch. Das war’s", so Vetterick.

 

In Dresden spielt Uwe Vetterick seine entscheidende Stärke aus: Er ist Stratege, der Kopf der Redaktion, der mehr Ideen hat als der Verlag je umsetzen kann, der aber auch Ideen seiner Redakteure zulässt, der ermutigt, vorantreibt und bei Flops nicht die Peitsche schwingt, sondern gleich das nächste Projekt aus den Ruinen des alten auferstehen lässt. So nahm zwar vor wenigen Wochen der Verlag die Wochenzeitung "AuSZeit" nach einem Jahr vom Markt, weil nur tausend Exemplare verkauft wurden, aber Neues aus der Vetterick-Werkstatt wird sicher folgen.

 

Er besitzt das Vertrauen von Julia Jäkel, der Chefin von Gruner+Jahr, die weiß, dass Vetterick die "SZ" zu einer Zeitung gemacht hat, die man nicht mehr verkaufen will – und auch nicht verkaufen muss, weil Erfolg das beste Argument ist.

 

Vetterick nutzt intensiv die eigene Leser-Forschung: "Lesewert": Er weiß genau, was seine Leser wirklich lesen und richtet nach den Bedürfnissen der Leser seine Zeitung aus – wohl wissend, dass selbst eine kontinuierliche Leserforschung nur das messen kann, was in der Zeitung steht. Für das Neue, das Experiment, das Überraschende ist er verantwortlich. So antwortet er auch auf die Frage, was er an seinem Job mag: "Geschichten erzählen, Blattmachen, Menschen überraschen."

 

Und da ein Chefredakteur kaum mehr zu eigenen Recherchen und großen Geschichten eine Zeit findet, geht die Antwort auf die Frage nach seiner besten Story in die Greifswälder Zeit zurück: "Sie ging kurz erzählt so. Ein Mann, Mitte 50, verliert durch Krankheit seine geliebte Frau. Eine Frau, Mitte 50, verliert durch Krankheit ihren geliebten Mann. Durch Zufall werden beide nebeneinander begraben. Zufällig auch treffen sich bei der Grabpflege Witwe und Witwer und verlieben sich ineinander. Die Geschichte erschien zu einem Totensonntag. Selbst aus großem Leid kann neues Glück wachsen."

 

Pegida ist für Dresden ein Unglück, für Vetterick bringt sie die Auszeichnung als "Journalist des Jahres". Er hätte sie auch ohne Pegida verdient gehabt – aber wer schaut schon genau in die Provinz hinein?

 

So bezieht sich die Jury-Begründung des "Medium Magazins" auch auf die Pegida-Berichterstattung: "Uwe Vetterick und seine Redaktion erleben vor Ort Tag für Tag, was es heißt, wenn die Stimmung im Land kippt. Seit Ende 2014 werden jeden Montag "Lügenpresse"- Parolen direkt vor der Dresdner Verlagstür skandiert. Die Berichterstattung über die politische Stimmung und Spaltung ist eine permanente Gratwanderung. Er muss seine angefeindete Redaktion auf Kurs halten und motivieren. ,Rückendeckung von oben’ ist täglich nötig und wird von Vetterick gegeben. Zugleich treibt er redaktionelle Innovationen voran (z. B. das Onlineportal Schul-Navigator). Bester Lokaljournalismus unter widrigsten Bedingungen: Das verdient hohe Anerkennung.

 

Auch den "SZ"-Reporter Ulrich Wolf ehrt die Jury: "2015 war das Jahr, in dem Dresden nicht mehr als Elbflorenz glänzte, sondern zur Pegida-Stadt wurde. Ulrich Wolf hat Recherche dagegen gesetzt – und u.a. Lutz Bachmanns kriminelle Machenschaften aufgedeckt. Und er hat sich jeden Montag aufs Neue zwischen die Demonstranten gestellt – trotz unmittelbarer Drohungen gegen ihn persönlich. Er ist der Journalist Deutschlands, der sich am längsten und intensivsten mit dem Thema Pegida beschäftigt und von dessen Recherchen viele nationale Medien profitieren."

 

Wer fragt, wie ein Chefredakteur das alles leisten kann, der schaue auf die Online-Seiten der "SZ", wo Vetterick seinen typischen Arbeitstag beschreibt – mit gerade mal dreißig Minuten Pause zwischen 8.30 und 21 Uhr:

 

08.30 – 10.30 Uhr Zeitungslektüre, Agenturen checken, Kaffee trinken
10.30 – 11.00 Uhr Konferenz mit den newsgetriebenen Ressorts und Onlinern
11.00 – 12.00 Uhr Verwaltungskram
12.00 – 13.00 Uhr große Redaktionskonferenz
13.00 – 13.30 Uhr Lunch
13.30 – 14.30 Uhr neue Redaktionsprojekte besprechen und entwickeln
14.30 – 21.00 Uhr Blattmachen

 

Herzlichen Glückwunsch, Uwe Vetterick!

 

Paul-Josef Raue

 

Zum Autor: Paul-Josef Raue war bis Ende Oktober 2015 Chefredakteur der in Erfurt erscheinenden "Thüringer Allgemeine". Der Text erschien im Original zuerst in seinem Blog Journalismus Handbuch.

 

Newsroom.de-Lesetipp: Alle Gewinnerinnen und Gewinner der Wahl zum "Journalist des Jahres" gibt es im "Medium Magazin" 1/2016, Das "Medium Magazin“ ist als ePaper sofort verfügbar unter www.newsroom.de/shop/einzelhefte/medium-magazin/. Einzelhefte Print und Abos gibt es unter www.mediummagazin.de/bestellen/.

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