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WAZ-Mediengruppe spricht betriebsbedingte Kündigung aus - Entlassener Korrespondent will sich wehren

Erst kürzlich, Anfang Dezember, war Winfried Dolderer beim Papst. Gemeinsam mit Bundespräsident Joachim Gauck, den er in den Vatikan begleiten durfte. Der Papst in der "Westfalenpost", das passt. Die Leser gelten als konservativ, das ländlich-beschauliche Sauerland wählt überwiegend CDU, die Kirchen sind nicht nur zur Weihnachtsmesse gut gefüllt.

Berlin - Wenn es nach der WAZ Mediengruppe geht, diesem Verlagskoloss aus Essen, verliert die "Stimme der Heimat - Echo der Welt", so der seit Jahrzehnten prägende Werbespruch der Zeitung, ihren Bundeskorrespondenten. Winfried Dolderer, Kommentator und einer der prägenden Autoren des Blattes, hat die betriebsbedingte Kündigung erhalten, nur wenige Tage vor Weihnachten.

Es ist ein kleines Cafe im Regierungsviertel, in dem ich Winfried Dolderer nur wenige Stunden nach der dapd-Pressekonferenz treffe. Der Nachrichtenagentur geht es nicht gut, und auch die WAZ Mediengruppe klagt seit Jahren darüber, dass sie in ihrem Heimatmarkt an Akzeptanz verliert. Die Leser laufen scharenweise davon, was die Mehrheitseigner - die Familie Grotkamp - aber nicht daran gehindert hat, die Familie Brost aus dem Eigentümerkreis herauszukaufen. Petra Grotkamp, die Käuferin, ist die Tochter von Jakob Funke, einem der beiden WAZ-Gründer, sie will das Erbe ihres Vaters bewahren, ihr Mann Günther kam bereits im Jahr 1960 zur "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung", der gläubige Katholik gilt als Architekt der WAZ-Mediengruppe.

500 Millionen Euro sind geflossen, die Banken gehen rigide um mit Petra Grotkamp, die bei ihnen mit 170 Millionen Euro in der Kreide steht. Die Geldinstitute - Bayerische Landesbank, Deutsche Bank und Unicredit - verlangen, dass der Gewinn wieder sprudelt, bis 2014 erwarten sie ein Ebitda von 150 Millionen Euro. In diesem Jahr sind es „lediglich“ 120 Millionen Euro, die das Medienhaus erwirtschaften konnte. Die Zitrone muss noch stärker ausgepresst werden, 20 Prozent muss im gesamten Konzern eingespart werden; so wird die "Westfälische Rundschau" mindestens ihre Lokalredaktionen im Märkischen Kreis 2013 schließen, um auch die Defizite, die durch den Wegfall von Aldi-Anzeigen anfallen, zu decken.

Viele Opfer muss auch die "Westfalenpost" bringen. Das Blatt gilt als christlich-konservativ, ihr Chefredakteur, der gelernte Lokaljournalist Stefan Hans Kläsener ist studierter Theologe, er hat nie zuvor ein Blatt mit solch großer Auflage und so vielen Redakteuren geführt. Kläsener folgte Bodo Zapp, dem legendären WP-WAZ-NRZ-Mann, der in seiner Amtszeit von einigen WP-Führungskräften als zu unpolitisch, zu sehr "Provinzler" betitelt wurde; dem Mülheimer weinen sie in Hagen aber heute bitterlich die eine oder andere Träne nach.

 

Die Westfalenpost wurde im April 1946 in Soest gegründet. Schon vier Jahre später, 1950, verlegte ihr Gründer Artur Sträter den Erscheinungsort nach Hagen. Mit Lokalausgaben, teilweise in Zusammenarbeit mit der Schwesterzeitung "Westfälische Rundschau", erscheint die "WP" heute in Hagen, Olpe, Arnsberg, Meschede, Bad Berleburg, Warstein, Brilon und Menden. Zu den wenigen konzernfremden Mitbewerbern gehören die "Siegener Zeitung", der "Wochenkurier", der "Hellweger Anzeiger", "Sauerlandkurier" und "Siegerlandkurier", "Briloner Anzeiger"  sowie der Westdeutsche Rundfunk, der ein Regionalstudio in Siegen betreibt.

 

Der Jubel, einen weltgewandten Theologen an der Spitze zu haben, ist auf den verwaisten Fluren an der Schürmannstraße schon lange verstummt. Kläsener wurde mit großen Vorschusslorbeeren begrüßt, endlich ein gebildeter Wissenschaftler mit Studienaufenthalten bis hin nach Jerusalem. "Wir haben gedacht, da kommt ein Mann mit Format", klagt ein langjähriger Redakteur. Stattdessen philosophiert er über die Zeitung als das "Lagerfeuer", an dem "die Geschichten erzählt" werden.

Der Mann, der von der Abwicklung ablenken soll

Dabei wird seine Position noch nicht einmal überhöht, ihn zählen Teile der Redaktion nicht als Abwickler, sondern als die Person, die von der Abwicklung der "Westfalenpost" ablenken soll.

Bei der gesamten "Westfalenpost" fand kein Gesprächspartner positive Worte für die Arbeit von Stefan Hans Kläsener. Im Duo mit seinem Stellvertreter, einem Westfalenpost-Eigengewächs, hat er zu viele Absprachen nicht eingehalten, die Identität der "Westfalenpost" auf dem WAZ-Altar des Sparkommissars geopfert.

Kläseners Nicht-Führung wird angelastet, dass die WP zehn Prozent ihrer Auflage verloren hat, seitdem sie an den WAZ-Content-Desk angeschlossen ist. Die Eigenständigkeit, das Verschrobene, das Menschliche, es ist entfleucht aus den Seiten der Zeitung, die Arthur Sträter 1946 in Soest gegründet hat. Standard regiert. Gleichschaltung auf allen Seiten.

"Kläseners Ideal ist eine Zeitung, deren Gesichtskreis tunlichst nicht weiter reichen sollte als der Schattenwurf des sauerländischen Kirchturms mittags um zwölf", sagt Winfried Dolderer. Dolderer ist politischer Korrespondent der "Westfalenpost", seine Artikel und Kommentare werden in den Zeitungen gerne gelesen, selbst in der Redaktionskonferenz am Content-Desk in Essen lobt WAZ-Über-Chefredakteur Ulrich Reitz die Beiträge des gebürtigen Mainzers: „Dolderer hat einen guten Kommentar geschrieben“.

"Brillante" Kommentare, "schön geschriebene" Stücke, die man "gerne liest", so sprechen die Kollegen über die Arbeit von Winfried Dolder. „Das Bizarre an meiner Situation ist, dass ich unter Absingen von Lobeshymnen in die Wüste geschickt werde“, sagt Dolderer, bevor er einen weiteren Schluck Espresso trinkt.

Ein "Doldi" liegt bei 140, 150 Zeilen

Seine Berichte sind lebhaft, haben einen eigenen Stil und beweisen Tag für Tag auf wunderbare Weise, wie plastisch und lesernah selbst Berichte aus dem fernen Berlin in der Heimatzeitung sein können. Es ist dem früheren Politik-Chef Peter Tendler geschuldet, dass die Artikellänge für einen "Doldi" bei klaren 140, 150 Zeitungszeilen liegt. Und seine Kolumne „Berlin, Berlin“ brachte den fernen Politbetrieb in der Bundeshauptstadt dem Leser im Sauerland nahe.

Dolderer, Jahrgang 1954, Vater von zwei Kindern, ist promovierter Historiker, Kunsthistoriker und Germanist. Er hat bei den "Kieler Nachrichten" bis 1986 volontiert, zwei Jahre lang, danach war er Redakteur in der Landkreisredaktion. Der Vertrag war unbefristet, Dolderer zog es zu neuen Ufern. Er gehörte ab 1986 zum Gründungsteam der Nachrichtenagentur AFP, bei der er bis März 1990 blieb. Von 1990 bis 1997 war er als erster Deutscher Korrespondent der flämischen Zeitung "De Standaard", im August 1997 ging es kurz zurück zur AFP, bevor ihn WP-Chefredakteur Bodo Zapp und sein Stellvertreter Jörg Bartmann verpflichteten.

Dolderer ist der erste eigene Bundeskorrespondent der "Westfalenpost", in Düsseldorf sitzt der bärbeißige und eloquente Wilfried Goebels, aber auf Bundesebene war die "WP" im Gegensatz zu den anderen Titeln der WAZ-Mediengruppe nicht mit einem eigenen Mann vertreten. Das änderte sich, als Dolderer die Stimme der "WP" in Berlin erhob.

 

Keine Stellungnahme aus Essen: Offiziell wollte sich die WAZ Mediengruppe nicht äußern. Auf Nachfrage von NEWSROOM erklärte eine Unternehmenssprecherin, dass der Verlag Personalien grundsätzlich nicht kommentiere.

 

Wer Winfried Dolderer spricht, erlebt einen Journalisten, wie er im Buche steht. Geradlinig, konsequent, mit deutlichen Worten. "Was bei uns passiert, ist, dass Kläsener ihn zwingen will, aufzugeben, von sich aus die Brocken hinzuschmeißen. Die wollen ihn mürbe machen." Seinen Namen will der Gesprächspartner nicht auf NEWSROOM lesen, dafür ist die Situation inzwischen zu heikel und hochgekocht.

Denn Winfried Dolderer ist die erste Person bei der "Westfalenpost", den der Verlag betriebsbedingt aus dem Unternehmen entfernen möchte.

Quadratur des Kreises

Als Bodo Zapp Januar 2011 die Chefredaktion an Stefan Hans Kläsener übergab, war in der WAZ-Mediengruppe die Zeit der "WP"-Sonderstellung vorbei. Zapps Ende bedeutete den Aufstieg des Content-Desks für alle NRW-Blätter der "WAZ". Bereits im Sommer 2011 war die "Westfalenpost" an den Content-Desk angeschlossen. Der Rückbau in der Mantelredaktion begann.

Im September 2011 war es dann soweit, dass Stefan Hans Kläsener mit zwei Leitenden Redakteuren nach Berlin fuhr, um ihrem Korrespondenten die Quadratur des Kreises zu erklären.

Anders ist es nicht zu erklären, dass Dolderer, der zwar in einem Büro mit den WAZ-Korrespondenten in der Reinhardtstraße 27 saß, aber exklusiv für die Westfalenpost schrieb, zukünftig in den Berliner Korrespondentenpool der WAZ integriert wurde, aber zugleich völlig unabhängiger Korrespondent der Westfalenpost bleibe.

"Sie sind und bleiben unser Mann in Berlin", sagte Kläsener, auch an diesen Satz erinnert Dolderer sich genau. Seit dem Zeitpunkt arbeitet Dolderer aber ausschließlich dem Content-Desk zu, von Eigenständigkeit ist da nichts mehr zu spüren. Einzig der Arbeitsvertrag macht aus Dolderer weiterhin einen Westfalenpost-Mann.

Dolderer ist für den Bundespräsidenten zuständig

Im Berliner WAZ-Büro sind die Kompetenzen seit diesem Zeitpunkt klar aufgeteilt, war Dolderer früher Einzelkämpfer und besetzte alle Disziplinen, gibt es unter den Korrespondenten jetzt Arbeitsschwerpunkte. Miguel Sanches ist der faktische Bürochef, er war früher Korrespondent der NRZ; Daniel Freudenreich berichtet über Grüne und Gesundheit, Julia Emmrich deckt Gesellschaft, Buntes und Kultur ab und Christian Kerl gehört ebenfalls dazu. Dolderer ist dagegen für die Bereiche Wirtschaft, FDP, Bundespräsident zuständig, für die CDU ist er stellvertretend verantwortlich.

Es war ein Telefonat am 10. Mai 2012, an das sich Winfried Dolderer noch gut erinnern kann.

Winfried Dolderer: "Lieber Herr Kläsener, ich bin zur Zeit in der Verlegenheit, mir in Berlin eine Wohnung suchen zu müssen und frage mich, ob sich das überhaupt noch lohnt oder ob ich demnächst ohnehin in irgendeiner Lokalredaktion im Sauerland sitze."

Stefan Hans Kläsener: "Jaaa, nuuuun, vielleicht setzen Sie sich demnächst mal in einen ICE und kommen nach Hagen. So etwas bespreche ich ungern am Telefon."

Im weiteren Verlauf Kläsener dann: "Ihre Stelle ist ja nicht weg. Sie ist künftig eben nur nicht mehr in Berlin. Selbstverständlich werden Sie adäquat weiterbeschäftigt."

Nachfrage Dolderer: "Also nicht in einer Lokalredaktion?"

Stefan Hans Kläsener: "Nein, nicht in einer Lokalredaktion."

"Darauf habe ich mich verlassen, bis mir am 22. Mai in Hagen mitgeteilt wurde, es würden demnächst etwa 50 Lokalredakteursstellen zwischen Kleve und Bad Berleburg ausgeschrieben. Ich dürfe mich um eine bewerben", erinnert sich Winfried Dolderer, der an dem Gespräch mit der Chefredaktion mit einem Betriebsrat teilnahm.

Seitdem gibt es wenig, was die WAZ-Mediengruppe nicht versucht hätte, um ihren langjährigen Bundeskorrespondenten hinauszukomplimentieren. Es kam zu einer Verhandlung beim Arbeitsgericht Berlin, den die Westfalenpost verlor. Die angebotene Versetzung in die Mantelredaktion der Westfalenpost löste sich in Luft auf.

Wer die Entwicklung betrachtet, dieses Hü und Hott, fragt sich schnell, ob in Essen die eine Hand nicht weiß, was die andere macht. Ganz offensichtlich gibt es Abstimmungs- und Koordinationsprobleme zwischen Essen und Hagen, es ist ein unberechenbarer Zickzack-Kurs mit offensichtlich einem Ziel - den Willen des Redakteurs zu brechen, alles im Sinne der Zahlen und doch so fern von der christlichen Lehre, an die sowohl der Theologe Kläsener als auch Günther Grotkamp glauben.

"Westfalenpost" wird skelletiert

 

Die betriebsbedingte Kündigung von Winfried Dolderer ist nicht die erste, aber erst die zweite in den Redaktionen der WAZ-Mediengruppe in Nordrhein-Westfalen. Im Sommer 2012 hatte Knut Pries, der frühere Leiter der Brüssel-Redaktion der WAZ-Mediengruppe, gegen die betriebsbedingte Kündigung geklagt. Und gewonnen. Die WAZ-Mediengruppe muss ihn an adäquater Position weiterbeschäftigen.

 

In der vergangenen Woche, am 17. Dezember, lag dann tatsächlich die Kündigung von Winfried Dolderer im Briefkasten. Nur wenige Tage vor Weihnachten konnte er dort im Wortlaut lesen: "Hiermit kündigen wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis betriebsbedingt ordnungsgemäß zum 30. Juni 2013." Am 19. Dezember verkündete der stellvertretende WP-Chefredakteur dann, dass das Büro Berlin bereits zum 1. Januar 2013 aufgelöst werde, am selben Tag war es dann Thema in der Content-Desk-Konferenz in Essen.

Bereits ab dem 1. Januar 2013 darf Winfried Dolderer nicht mehr beschäftigt werden. Ihn vor die Tür zu setzen, kommt aus Verlagssicht dem Tatbestand der Selbstverstümmelung gleich. Die "Westfalenpost" wird skelletiert, Petra Grotkamp hat sich verhoben, die WAZ hat Schlagseite.

Winfried Dolderer will sich wehren.

Bülend Ürük

Bei der WAZ Mediengruppe passiert unheimlich viel. Sie haben Informationen, Tipps, Themen? Ihre Einschätzungen - natürlich auch vertraulich - bitte per Mail direkt an chefredaktion@newsroom.de.

Korrektur: In einer ersten Fassung hatten wir geschrieben, dass Korrespondent Christian Kerl "weiterhin zu 30 Prozent exklusiv für sein Blatt, die "Braunschweiger Zeitung", schreibt. Das ist vertraglich abgesichert." Dies ist nicht korrekt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. B.Ü.