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Weltbürger, Reporter, Mehrkämpfer − und „Waldemar“: HF Oertel wird 90

Sport und Show, Reden und Schreiben: Heinz Florian Oertel kann alles. Berichten, bejubeln, erklären, fabulieren, dichten − sogar singen. Seine Reportagen sind Kult, sein „Waldemar“ macht ihn berühmt. Am Montag wird der rasende Reporter des DDR-Sports 90 Jahre alt.

Berlin (dpa) − Seine markante Stimme macht ihn bekannt, sein „Waldemar, Waldemar!“ für immer berühmt. Der Reporter mit der hohen Stirn und der blumigen Sprache gehörte vier Jahrzehnte lang zum DDR-Alltag − wie der Trabi und die Soljanka, wie Täve Schur und die Aktuelle Kamera. Dass es Heinz Florian Oertel mal die Sprache verschlägt, das kommt höchst selten vor. Doch kurz vor seinem 90. Geburtstag am kommenden Montag (11. Dezember) hat es ihn heftig erwischt: Ein starker Infekt setzt Oertel matt, er ist erkältet und spricht kein Wort, um es nicht noch schlimmer zu machen. 

 

An eine Party zum 90. selbst daheim in Berlin ist nicht zu denken. Oertels Ehefrau Hannelore hält alle Aufregung und vor allem Interview-Wünsche von ihrem Mann fern. Seit 60 Jahren kennen sich die beiden schon. „Wir möchten jetzt Ruhe haben! Ich möchte, dass er 95 wird“, sagt sie. Beide besinnen sich auf ein altes Ritual, um die geplagte Stimme des Mannes zu schonen: „Einmal nicken heißt Ja, zweimal nicken Nein.»

Mit drei prägnanten Sätzen in neun Sekunden setzt sich Oertel am 1. August 1980 − ungewollt und ungeahnt − selbst ein Reporterdenkmal. „Liebe junge Väter oder angehende − haben Sie Mut! Nennen Sie Ihre Neuankömmlinge des heutigen Tages ruhig Waldemar! Waldemar ist da!“ Zum zweiten Mal nach 1976 kommentiert der gebürtige Lausitzer nun in Moskau das olympischen Goldrennen von Marathonläufer Waldemar Cierpinski. Noch heute wird der Läufer aus Halle an der Saale jede Woche „drei- bis viermal auf der Straße“ auf diesen „Waldemar“ angesprochen.

Der Reporter und der Sportler sind bis heute befreundet, Cierpinski kam auch in die Talk-Show des DDR-Fernsehens „Porträt per Telefon“ − von Oertel moderiert. 254 Mal interviewte er seine prominenten Gäste. Show und Sport − das kann er wie kein Zweiter, sogar vor Gesangseinlagen mit DDR-Schlagerstar Frank Schöbel drückte sich der Mann mit der unverkennbaren Baritonstimme nicht.

„Unterhaltung und Sport, da sah ich keinen Unterschied. Das hat sich für mich immer sehr, sehr gut ergänzt“, erzählte er einmal. Oertel hat sich immer als medialer Mehrkämpfer gesehen. Der populäre Entertainer schreibt auch Kolumnen, gleich für drei Montagszeitungen. Sagt seine Meinung, verbiegt sich nicht.

Doch zuallererst war „HFO“ die Stimme des DDR-Sports − beim Berliner Rundfunk von 1951 bis 1990, seit 1955 auch beim DDR-Fernsehen. Seine erste Rundfunkreportage lieferte er 1949 aus dem Stadion der Freundschaft seiner Heimatstadt Cottbus. Noch heute erinnert sich Oertel an das Brandenburg-Finale im Frauen-Handball − und sogar an die einzige Torschützin. Später kamen die Fünf-Minuten-Reportagen von der Friedenfahrt der Radamateure dazu − live aus dem rollenden Übertragungswagen.

Von seinen Millionen Fans wurde der eloquente Tausendsassa 17 Mal zum „Fernsehliebling des Jahres“ gewählt − ein Ritterschlag, denn das schaffte kein anderer DDR-Promi. Bei 17 Olympischen Spielen, acht Fußball-Weltmeisterschaften sowie 25 Welt- und Europameisterschaften im Eiskunstlauf war er live auf Sendung. In seinen 50 Berufsjahren reiste der kahlköpfige Reporter auf alle Kontinente − und wurde so zum Weltbürger der kleinen DDR.

Oertels Markenzeichen sind Stimme und Sprache, seine Vorzüge: ein immenses Fachwissen, Phantasie, die Liebe zum Sport und seine Bescheidenheit. Er hielt Distanz, war aber immer nah dran, wenn's im Stadion rund geht. Finnlands viermaligen Langlauf-Olympiasieger Lasse Virén nennt Wortakrobat Oertel im Überschwang der Gefühle „Tartan-Elch“. Er suchte nicht Behle, sondern fragte bei einem Radrennen schon mal besorgt: „Aber wo bleibt Täve?“

Nach dem Mauerfall ist für HFO Sendeschluss − als populäres Sprachrohr des alten Systems wurde er ignoriert. Auch seine unbestrittenen Fähigkeiten als Allrounder und der große Respekt bei West-Kollegen waren kein Türöffner für die öffentlich-rechtlichen Anstalten im vereinten Deutschland. Unterstellungen, er habe oft die Nähe zu den diktatorischen Sportfunktionären der DDR gesucht oder für die Stasi gearbeitet, weist er zurück.

Als der Mann mit dem Mikrofon selber einmal interviewt wurde, da sagte er, etwas nachdenklich: „Jeder Mensch ist ein Unikat, jeder, wirklich jeder ist auf seine Weise einmalig.“ Für einen wie Heinz Florian Oertel gilt das ganz besonders.