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Patricia Riekel: "Wenn wir über andere Menschen schreiben, greifen wir tief in deren Leben ein"

Patricia Riekel: "Wenn wir über andere Menschen schreiben, greifen wir tief in deren Leben ein" Patricia Riekel: Musste mich bei der FDP daran gewöhnen, nicht einfach reden zu dürfen. Foto Pia Sim

Alt werden. Wie ist das? Patricia Riekel war 20 Jahre lang Chefredakteurin der "Bunten". Als ihr Ruhestand begann, dachte sie erst darüber nach, Malerin zu werden oder ein Hotel zu eröffnen. Doch dann kam alles anders.

Montags, wenn die neue Ausgabe der „Bunten“ produziert wird, bin ich bis heute nervös. Ich fühle mich wie eine Schulschwänzerin, seit ich nicht mehr in die Redaktion gehe. Ich wache auch noch immer von allein um sieben Uhr auf. Mein erster Griff geht zum Handy, um die „Focus“-Nachrichtenseite zu öffnen. Wenn ich aufstehe, mache ich das Radio an. Es läuft den ganzen Tag, wenn mein Mann und ich sind echte Nachrichtenjunkies.


Mein Vater arbeitete in seiner zweiten Lebenshälfte als Bühnenautor und Schriftsteller. Das Schreiben als Beruf, dieses Sich-Quälen am Schreibtisch, kam mir immer sehr natürlich vor und lange Zeit wollte ich selber Schriftstellerin werden.


Nach der Schule machte ich eine Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin, aber da war ich vor allem in der Buchhaltung tätig und ganz ehrlich: Wahrscheinlich habe ich die Buchhandlungen eher in den Ruin getrieben, als irgendwem zu helfen!


Ich brach die Ausbildung ab und machte ein Volontariat beim „Münchner Merkur“. Schon vom ersten Tag an merkte ich: Das ist es, was ich machen möchte! Ich mochte die Tatsache, dass ich als Journalistin meine Umwelt beobachten kann, dass ich versuche, die Welt zu verstehen und weiterzutragen. Ich glaube auch, dass man nie aufhört, Journalistin zu sein. Wir legen unseren Beruf nicht einfach so ab, wenn wir nach Hause kommen. Egal, ob ich durch die Straßen irgendeiner Stadt gehe oder mit jemandem spreche – alles ist Inspiration!


Mein großes Vorbild als junge Journalistin war die italienische Reporterin Oriana Fallaci. Sie war eine mutige, selbstbewusste Frau, die alle wichtigen Menschen ihrer Zeit interviewte. Aber auch ihr Aussehen imponierte mir. Die Frau hatte unheimlich viel Stil. Es dauerte eine ganze Weile, bevor ich feststellte, dass ich ganz andere Talente habe als sie. Ich kann niemanden hart angehen. Aber ich kann Menschen sehr gut einschätzen. Für mich ist das, als könnte ich sie innerlich sprechen hören. Wenn wir über andere Menschen schreiben, greifen wir tief in deren Leben ein – mir ist es wichtig, als Journalistin demütig zu bleiben. Als ich anfing, war der Beruf der Journalistin für Frauen eher untypisch. Selbst Frauenzeitungen hatten Männer in Chefpositionen. Als ich 1997 die „Bunte“ übernahm, war das eine kleine Sensation. Da brodelte sofort die Gerüchteküche. Es hieß, ich hätte die Stelle nur bekommen, weil ich ein Verhältnis mit dem Verleger hatte oder weil ich einen Lebensgefährten hatte, der mir zu dieser Position verhalf. Solcher Mist eben.


Ich glaube, was Frauen im Journalismus bis heute vor allem im Weg steht, sind so Tugenden wie Freundlichkeit, Nachgiebigkeit, Toleranz und Verständnis. Frauen müssen auch heute noch immer zwei Schritte mehr machen als die Männer. Führungspersönlichkeit entwickelt man dadurch, dass man sich nicht nur für den kleinen Bereich interessiert, sondern für das große Ganze.


Ich habe auf Redaktionen immer meinen Senf dazugegeben, egal ob ich fest angestellt war oder als Freie arbeitete. Zum Beispiel habe ich immer gesagt, welche Farbe ich für eine Überschrift mochte. Ich war penetrant. Wir Frauen müssen laut unsere Meinung vertreten, müssen auffallen und eine Haltung haben. Männer in Konferenzen sagen sich oft: Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von mir. Das unterscheidet sie wesentlich von uns Frauen.


Ich vermisse es, meine Meinung kundtun zu können. Als Chefredakteurin war ich es gewohnt, dass ich immer etwas mitzuteilen hatte. Im Ruhestand achtet keiner mehr auf meine Worte.


Als mein Ruhestand begann, dachte ich erst darüber nach, Malerin zu werden. Ich spielte mit dem Gedanken, ein Hotel zu eröffnen, etwas zu renovieren, zu gestalten. Aber dann bin ich in die Lokalpolitik der FDP gegangen, um wieder Dinge mitentscheiden zu können. Allerdings musste ich mich erst daran gewöhnen, dass ich bei Diskussionen nicht einfach reden durfte, wann immer ich wollte. Ich war hier nicht mehr Chefin. Einmal sagte der Bezirksvorschuss zu mir: „Frau Riekel, wir haben eine Rednerliste und Sie sind auf Platz sieben!“



Tipp: Dieser Beitrag ist in der Jahresschuss-Ausgabe von "medium magazin" erschienen. Es geht dabei ums "alt" werden im Journalismus. Wie geht es denen, die keine Leitartikel mehr schreiben? Oder an den nachfolgenden Generationen verzweifeln? Neben Uwe Zimmer beschreibt Ex-"Bunte"- Chefredakteurin Patricia Riekel, wie sie mit ihrem neuen Lebensabschnitt umgeht. Ebenso Roger Schwinski und die Wiener Journalistin Anneliese Rohrer. Mehr hier.


Protokolliert von Noemi Harnickell