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"Wer so denkt, ist ein Vollidiot“

Prominenten-Interviewer Sven Michaelsen gewann für sein SZ-Magazin-Interview mit dem langjährigen Feuilleton-Chef der Zeit, Fritz J. Raddatz, den Interviewpreis des Reporter-Forums. Nun ließ sich er sich interviewen – über Raddatz, sich und andere Interviewer. Dabei fand er deutliche Worte.

München - Im Dezember zeichnete das Reporter-Forum den Prominenten-Interviewer Sven Michaelsen (56) mit dem Reporter-Preis in der Kategorie „Beste Interview“ aus. Michaelsen war mit zwei Interviews nominiert, die im SZ-Magazin erschienen waren – eines davon mit dem 82-jährigen Publizisten, langjährigen Feuilleton-Chef der Zeit und Ex-Vize-Chef des Rowohlt-Verlages Fritz J. Raddatz.

Nun stand der Preisträger selbst Rede und Antwort – gegenüber Mario Müller-Dofel, Leiter des Internetportals „Gesprächsführung“ der Akademie Berufliche Bildung der deutschen Zeitungsverlage (ABZV). Dabei gab Michaelsen mit deutlichen Worten preis, was Interview-Lesern und Journalistenkollegen normalerweise verborgen bleibt.

Im Gespräch mit Müller-Dofel geht es darum, warum Michaelsen seinen Interviewpartner Fritz J. Raddatz „eine atemverschlagende Eitelkeit“ bescheinigt, wie Hollywood-Stars wie Angela Jolie in Interviews ticken, wie Michaelsen solchen „empfindsamen Menschen“ entgegentritt, welche Art Journalisten besser keine Interviews führen sollten und warum Michaelsen – entgegen der meisten Journalisten – für eine Autorisierung von Interviews durch die Befragten plädiert.

Zur Autorisierungspraxis stellt Michaelsen zum Beispiel klar: „Ich würde kein Interview geben ohne die schriftliche Zusicherung, es gegenlesen zu können. Der Grund ist, dass es Interviewer gibt, die ihr Handwerk nicht können. Niemand möchte als Knalldepp dastehen, weil ein Journalist nicht in der Lage war, gesprochene Sprache in Schriftsprache zu übertragen.“ Dass die Gattung Interview in vielen Redaktionen unter dem Motto „Schwätzen kann jeder“ abgetan wird, kommentiert er unter anderem mit dem Satz „Wer so denkt, ist ein Vollidiot.“

Überhaupt fielen ihm „viel mehr gute Porträt- und Reportageschreiber ein als gute Interviewer“, weil erstere in ihren Texten ihr Ego aufs Schönste zum Leuchten bringen könnten. „Der gute Interviewer dagegen verschwindet hinter seinen Fragen und überlässt die Bühne dem Befragten“, sagt Michaelsen. Der Grund sei ganz einfach: „Es kann immer nur ein großes Ego im Raum geben. Wer es nicht schafft, die Luft aus seinem Ego zu lassen, sollte keine Interviews führen.“ Ein besonders appetitliches Beispiel aus seinen 25 Jahren Interviewerfahrung lieferte er auch gleich mit: „Helmut Berger holte beim Interview sein Genital raus und stellte Dehnübungen damit an. Der Kleinbürger in mir hat sich kurz die Frage gestellt, ob ich das ein klein wenig respektlos finden soll, aber im Grunde genommen sind das die Situationen, warum ich immer noch gern Journalist bin.“

Beim Raddatz-Interview sieht Michaelsen sein Ziel erreicht. „Er wollte sich als gelangweilter Dandy inszenieren. Diese Pose war schnell verpufft“, resümiert er und bescheinigt Raddatz eine „immer noch atemverschlagende Eitelkeit“, für die er wiederum Beispiele anführt.

Michaelsen scheint den Reporter-Preis für das „Beste Interview“ im Jahr 2014 verdient gewonnen zu haben. Dass es Journalistenpreise für gelungene Interviews geben sollte, begründet er so: „Ein gelungenes Interview ist ein Porträt in Frage-Antwort-Form. Und wenn es Preise für Porträts gibt, muss es auch Preise für Interviews geben.“ (B.Ü.)

Newsroom.de-Service: Mario Müller-Dofel, ABZV: Interview-Preisträger Sven Michaelsen (SZ-Magazin): “Keine Lust auf klebrige Performance”