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Wilm Herlyn über gute Journalisten, Axel Springer, Hermann Elstermann, die Skandalisierung der Medien und das dapd-Ende

Auf die sich verändernde Medienwelt habe noch niemand eine Antwort gefunden, sagt Wilm Herlyn, langjähriger Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur im Newsroom.de-Gespräch.

Berlin -  "Die Verunsicherung, wie die Medien mit dem Journalismus und den unterschiedlichsten Bezahlmodellen im Internet umgehen sollen, wächst: Noch hat niemand ein Patentrezept gefunden. Landauf, landab wird Qualitätsjournalismus beschworen, aber der wuchernden Skandalisierung nicht Einhalt geboten im Kampf um Verkaufszahlen, Reichweiten und Quoten", kritisiert Herlyn im Gespräch mit Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

Was gute Journalisten ausmacht

Newsroom.de: Herr Herlyn, was macht einen guten Journalisten aus?

Wilm Herlyn: Neben dem Handwerkszeug: Leidenschaft, Neugier, genaue Recherche und kritische Nachfrage, investigative Arbeit; Unabhängigkeit und eigener Standpunkt, Wertevorstellung und Sachorientierung, Hintanstellen persönlicher Wünsche oder Vorstellungen, Verständnis für und Beherrschung der neuen Medien, Sprache, Sprache, Sprache und so spannend schreiben, dass beim Lesen Bilder im Kopf entstehen.

Newsroom.de: Ist ein guter Autor eigentlich auch automatisch eine gute Führungskraft?

Wilm Herlyn: Nein - dazu gehören Führungskraft und Führungswillen, gepaart mit Personalmanagement, kaufmännischem Verständnis und strategischem Denken.

 

Der Journalist Wilm Herlyn war viele Jahre Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur. Foto: obs / news aktuell GmbH

 

 

Newsroom.de: Sie waren bei "Welt", bei "Bunte" , "Rheinische Post" und lange Jahre in der Verantwortung bei der Deutschen Presse-Agentur.

Was muss ein Tageszeitungsredakteur beherrschen?

Wilm Herlyn: Beurteilungsvermögen, was wichtig ist und was den Leser interessiert. Er muss so redigieren, dass aus schlechten gute Texte werden, er muss eine Vorstellungskraft für Optik haben, das richtige Foto, die passende Grafik. Er muss Beiträge von Print in Online umsetzen können und hervorragende Sachkenntnis in Fachgebieten besitzen, um den Zeitunterschied zwischen schreiben, drucken und ausliefern zu überbrücken. Zu seinen Aufgaben gehört auch Nachrichten des nächsten Tages erklärend aufzubereiten, griffige Schlagzeilen zu formulieren und der  Mut zu eindeutigen Kommentaren.

Newsroom.de: Ein Zeitschriftenredakteur?

Wilm Herlyn: Alles, was ein Tageszeitungsjournalist können muss, dazu noch stärker in Optik zu denken, ein "Vorausahnungsgefühl" entwickeln für die interessante, überraschende Reportage und die Zeit zu nutzen für ausrecherchierte und investigative Stoffe.

Newsroom.de: Und wie würden Sie einen Agenturjournalisten charakterisieren?

Wilm Herlyn: Ein Agenturjournalist ist in erster Linie der stimmigen Nachricht verpflichtet; er muss Zeit und Kraft finden, die Nachricht zu erläutern und einzuordnen ohne zu kommentieren - dazu kreativ zu relevanten Themen begleitend alle Berichtsmöglichkeiten nutzen, wie etwa Reportage, Stichwort oder ein Text zur Person. Und er muss mit der Verantwortung umgehen, dass seine Nachricht nicht nur einen begrenzten Leserkreis erreicht, sondern praktisch weltumspannende Verbreitung in Sekundenschnelle findet. Zudem muss er die Bereitschaft haben, nicht in den Kategorien eines nine-to-five-jobs zu denken.

Newsroom.de: Haben Agenturjournalisten Humor?

Wilm Herlyn: Unbedingt! Sie kümmern sich ja nicht nur um die harten Nachrichten, sondern auch um die Skurrilitäten dieser Welt - und ohne mindestens eine Prise Humor ist der harte Agenturjob schwer zu ertragen.

Newsroom.de: Glauben Sie, dass jeder Journalist ein guter Agenturjournalist werden kann?

Wilm Herlyn: Nicht wirklich. Der Stress ist größer - auch die Furcht, etwas zu verpassen oder falsch gemacht zu haben. Ich musste zum Beispiel ein Mitglied der dpa-Redaktion in psychologische Betreuung geben, so sehr litt es daran, einen gravierenden Fehler gemacht zu haben. Und dieses fast ständig auf dem Sprung sein: das alles ist schon sehr belastend. Dazu kommt: Journalisten sind nicht uneitel, wollen ihren Namen gedruckt sehen und auf dem Schirm präsent sein. Agenturjournalisten dagegen arbeiten anonym, sie sind  ein Kürzel – dpa.

Newsroom.de: In Ihrem Berufsleben haben Sie zahlreiche Verleger kennengelernt. Wer hat Sie besonders beeindruckt?

Wilm Herlyn: Zwei sehr unterschiedliche Männer: Zum einen Axel Springer mit seiner patriotischen Leidenschaft und dem Vermögen, Menschen  zu motivieren. Zum anderen Hermann Elstermann, den Verleger der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). Elstermann entwickelte still, aber sehr nachdrücklich das Medienhaus NOZ zu einem der erfolgreichsten regionalen Verlage mit hohem Engagement aller Mitarbeiter.

"Noch hat niemand ein Patentrezept"

Newsroom.de: Seit Anfang 2010 beobachten Sie die Entwicklungen im Medienmarkt eher von außen. Wie verändert sich die Welt der Medien aus Ihrer Sicht?

Wilm Herlyn: Die Verunsicherung, wie die Medien mit dem Journalismus und den unterschiedlichsten Bezahlmodellen im Internet umgehen sollen, wächst: Noch hat niemand ein Patentrezept gefunden. Landauf, landab wird Qualitätsjournalismus beschworen, aber der wuchernden Skandalisierung nicht Einhalt geboten im Kampf um Verkaufszahlen, Reichweiten und Quoten.

Newsroom.de: Was meinen Sie, haben sich die Medien jemals so schnell geändert wie heute?

Wilm Herlyn: Nein, die Entwicklungssprünge heute sind immens.

Newsroom.de: Mit dem endgültigen Ende von dapd ist der schärfste Mitbewerber der dpa vom Markt verschwunden. Wie wichtig war für Sie als dpa-Chefredakteur die Konkurrenz durch andere Nachrichtenagenturen?

Wilm Herlyn: Ich fand Wettbewerb spannend, wenn auch zuweilen aufzehrend. Von den Mitbewerbern kann man lernen - das hält in Schwung! Als früherer Kunde der dpa war ich froh, dass “meine” Medien auch andere Agenturen abonniert hatten: Die Fakten waren im Wesentlichen gleich, aber die Blickwinkel verschieden, das Angebot breiter, der eine oder andere Gedankengang tiefer, die bunte Meldung farbiger.

Newsroom.de: Motiviert ein Mitbewerber das eigene Team, noch besser zu werden?

Wilm Herlyn: In jedem Fall: nicht nur im Sinne des "Be first, but first be right", sondern auch mit dem Blick, Themen einzigartig aufzubereiten.

Newsroom.de: Hat es Sie eigentlich gefuchst, wenn Fotos oder Texte von AFP oder ddp öfter abgedruckt wurden als dpa-Berichte?

Wilm Herlyn: Das ärgert gewaltig - auch im Bewusstsein, das manche Medien bei der Auswahl nach dem Motto vorgegangen sind: Wir zeigen unsere Vielzahl von Quellen auch durch unterschiedliche Agenturkürzel.

"Wettbewerb entscheidet sich über Qualität"

Newsroom.de: Wie haben Sie eigentlich die Streitigkeiten zwischen dapd und dpa in den Monaten vor der Insolvenz im Oktober 2012 erlebt?

Wilm Herlyn: Ich war von Anfang an der Ansicht, dass sich der Wettbewerb über die Qualität entscheidet. Fragen Sie heute mal einen x-beliebigen Chefredakteur, ob er sich erinnert, ob dpa oder dapd bei juristischen Streitereien gewonnen hat. Das weiß kaum einer. Ich halte wenig von juristischen Händeleien. Richtig aber war, dass der Vorsitzende der dpa-Geschäftsführung Michael Segbers im Geschäftsbericht vor einem Jahr sehr deutliche und öffentliche Worte zur Auseinandersetzung mit dapd  gefunden hat. Und der Chefredakteur hat ja  jederzeit die Möglichkeit durch Rundschreiben an alle Bezieher der dpa, die sogenannte “Grüne Minna”,  seine Beurteilung zu strittigen Fällen klar zu stellen.

Newsroom.de: Und was bedeutet das finale Ende der dapd für den deutschen Markt der Nachrichtenagenturen?

 

Zur Person: Wilm Herlyn - Geboren am 21. Januar 1945, aufgewachsen in Nordhausen / Harz; Abitur 1966, anschließend Studium Philosophie, Politik- und Kommunikationswissenschaft, Geschichte in Würzburg, Berlin, Salzburg, München, Promotion 1971. Berufsleben: 15 Jahre Redakteur bei "Die Welt" als Redakteur, Ressortleiter Deutschlandpolitik, Chef vom Dienst, Leiter Landesbüro NRW, zwei Jahre Geschäftsführender Redakteur  bei der Illustrierten "Bunte" für Politik, Zeitgeschehen und Wirtschaft, drei Jahre stellvertretender Chefredakteur und Blattmacher "Rheinische Post", 20 Jahre Chefredakteur "Deutsche Presse-Agentur" (dpa). Herlyn hält heute Vorträge an der Universität, ist in der Medienberatung aktiv und Juror verschiedener Journalistenpreise. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. B.Ü.

 

Wilm Herlyn: Ganz sicher die Lehre, dass sensible Gebilde wie eine Nachrichtenagentur nicht in die Hände von Finanzjongleuren gehört. Aber auch nicht - und auf diese Tradition kann dpa stolz sein - in eine irgend geartete Abhängigkeit, sei es die Abhängigkeit von einer Regierung, einer Partei oder einem Wirtschaftsunternehmen. Doch ist mit dem Verschwinden der dapd auch ein Stück Vielfalt verloren gegangen – journalistisch war ja nicht alles schlecht, was die Redaktionsmannschaft der dapd geleistet hat. Dazu, das soll nicht vergessen sein, gab es bis vor drei Jahren  auch den  deutschen Dienst der AP mit einem  ausgezeichneten Ruf. Deutschland war einmal der härtest umkämpfte Markt für Nachrichtenagenturen. Die Sorgen haben sich verlagert, denn die Strukturschwäche bleibt: eine Nachricht für alle Kunden und das ungelöste Problem von sinkenden Auflagen, Reichweiten und Quoten in einer Welt, in der Nachrichten wohlfeil im Internet zu holen sind.

Leser erwarten Informationen aus der Region

Newsroom.de: Die Medien stecken in einer tiefen Krise. Warum ist das Angebot von dpa gerade jetzt besonders wichtig?

Wilm Herlyn: Die dpa hilft sparen: Der Qualitätsanspruch der dpa und die Weiterentwicklung der schon sehr ausgefeilten früheren Disposition bezieht den Kunden mit ein: Dieser kann über die im Internet erreichbare "dpa-Plattform" die Planung  der Agentur einsehen und dialogisch beeinflussen. Damit kann jedes Medium vorab entscheiden, welche Ereignisse es der dpa überlässt und welche Stoffe zur Konturschärfung mit eigenen Kräften selbst bewältigt werden.

Newsroom.de: Und was würden Sie Zeitungsmanagern antworten, wenn die jetzt noch mehr bei dpa sparen möchten, weil es ja keine relevante Konkurrenz zu den Landesdiensten mehr gibt?

Wilm Herlyn: Ich würde die Manager fragen, wie sie angesichts der ohnehin knapperen Besetzung ihrer Redaktionen ohne einen dpa-Landesdienst die Bedürfnisse ihrer Abonnenten befriedigen wollen. Diese erwarten ausweislich von ihrem Blatt, dass sie nicht nur über das Lokale, sondern auch das Regionale informiert wird.

Die Fragen an Wilm Herlyn, bis Ende 2009 Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur, stellte Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.