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ZDF-Intendant Thomas Bellut: „Ist die mediale Welt zu sehr auf Personen, auf Köpfe reduziert, weil die Wirklichkeit erschreckend komplex gebaut ist?“

Selbstkritische Worte fand Thomas Bellut, Intendant des Zweiten Deutschen Fernsehens, bei der Verleihung des Preises für die Freiheit und Zukunft der Medien 2014. Von Bülend Ürük.

Leipzig - „Als Verantwortlicher für einen nationalen Fernsehsender muss ich mir natürlich auch selbst kritische Fragen stellen: Wird das Bild über politische Arbeit durchgehend negativ eingefärbt, sind wir mit Meinungen zu schnell öffentlich, bevor wir der Wahrheit auch nur nahe gekommen sind? Ist die mediale Welt zu sehr auf Personen, auf Köpfe reduziert, weil die Wirklichkeit erschreckend komplex gebaut ist?“, so Thomas Bellut.

Der ZDF-Intendant betonte, dass die persönliche Meinungsfreiheit der öffentlichen nicht schaden dürfe. Die Verantwortung von offiziellen Medien und Journalisten als Filter und Multiplikatoren wachse mit der neuen, unmittelbaren Meinungsfreiheit.

 

ZDF-Intendant Thomas Bellut. Foto: Medienstiftung/Olivier Colin

 

 

„Unsere Mediendemokratie hat sich im Zuge der Digitalen Revolution mas­siv gewandelt: Zum klassischen Rundfunk ist längst das Internet da­zugekommen. Die Konvergenz zwischen Schirm und Netz ist voll im Gange. Durch weitere Zu­nahme der Internet-Nutzung verändert sich da­her auch der „dynami­sche“ Rund­funk, verändert sich aber auch unsere Mediengesellschaft. Ent­schei­dend da­bei ist: Die traditionelle, professio­nel­le Massenkommuni­ka­tion und die oftmals laienhaft spon­tane Indivi­dual­­kommunikation gehen teilweise unter­schieds­los durcheinander, stehen praktisch gleich­wertig nebeneinander.

All das geschieht nicht unbedingt zum Vorteil des Journalismus: Das Netz beschleunigt, erweitert oder verkürzt die Möglich­kei­ten der Re­cher­che und Kontrolle und setzt damit alle Wahrheitssucher unter vehe­men­ten Aktualitätsdruck. Neben solche Fehlerquellen rückt ein immer schwie­ri­geres Quellenstudium: Wer hat welche Nachricht von wem? Und wie ist die Verbreitung von persönlichen, spontanen, emotio­nalen Mei­nun­gen auf der einen Seite ge­genüber substantiellen, fundierten, argumentativen Meinun­gen auf der anderen Seite vernünftig auseinan­derzuhalten und sinnvoll zu gewichten? Wann verliert wer dabei den Überblick? Sind Über­­blick und Durchblick überhaupt noch gefragt? Oder ist es inzwi­schen nicht manchen Nutzern erwünschter, mit Nachrichten­leuten oder mit den handelnden Personen selbst – sogar mit dem Papst – persönlich zu twittern, statt sich eine nachrichtliche ‚Verkündigung‘ an­zuhören?

Ohne Zweifel wächst mit sol­cher neuen, unmittelbaren Meinungsfreiheit auch die Verantwortung der offiziellen Medi­en bzw. Journalisten als öf­fent­liche Filter und Multiplikatoren im Dienste der eigentlichen Nach­richt, eben der gemeinsamen öffent­lichen Sache. Wo aber das Sach­ar­gu­ment bei „Social Media“ ersetzt wird durch ein allzu persönliches, will­kürliches „Gefällt mir. Ge­fällt mir nicht.“, rückt das Ich vor das Wir.“

Lesen Sie hier: ZDF-Intendant Thomas Bellut: Leipziger Rede zur Freiheit und Zukunft der Medien

Bülend Ürük