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ARD-Vorsitzende Wille: "Wir dürfen uns nicht einreden lassen, wir seien in einer Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskrise"

Es ist ein tiefgreifender Veränderungsprozess: In den kommenden Jahren sieht ARD-Vorsitzende Karola Wille angesichts des digitalen Wandels und der Sparzwänge einen Reformbedarf bei Angeboten und Strukturen. Und dann sind da ja noch die Lügenpresse-Vorwürfe.

Leipzig (dpa) − Seit einem Jahr ist MDR-Intendantin Karola Wille auch Vorsitzende der ARD. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht sie über die anstehenden Reformen der Sendeanstalten, über den Kampf um die Glaubwürdigkeit der ARD und über das Thema Geld.

 

Sie sind seit einem Jahr ARD-Vorsitzende. Ein weiteres Jahr schließt sich an. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Karola Wille: Ich hatte zu Beginn gesagt, dass dieses Jahr herausfordernd für die Gesellschaft, für die Politik und auch für die Medien wird. Es ist genauso gekommen. Für die Zeit des ARD-Vorsitzes hatte ich drei Leitgedanken formuliert: Glaubwürdigkeit und Dialog mit der Gesellschaft, Integration und Kooperation mit Blick auf die digitale Entwicklung sowie die Förderung von Innovation und Kreativität. Ich bin überzeugt: Diese Themen sind unverändert aktuell. Es wurde dieses Jahr viel über Glaubwürdigkeit diskutiert. Wir müssen immer wieder daran arbeiten, unsere unverändert hohe Glaubwürdigkeit zu festigen und zu untermauern. Dazu gehört auch das Thema Transparenz bei unserer journalistischen Arbeit und ein selbstkritischer Umgang mit Fehlern. Entscheidend bleiben unsere Qualitätsinhalte. 2016 hatte die ARD davon viel zu bieten.

Lassen Sie uns ein wenig weiter in die Zukunft schauen. Haben Sie ein Bild davon, wie die ARD in zehn Jahren aussehen könnte?

Wir sind mitten in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Wir wollen die ARD als integrierten föderalen Medienverbund weiterentwickeln. Es wird für längere Zeit noch lineares Fernsehen geben, wir müssen aber zugleich die non-linearen Angebote stärken, innovativer werden und überall dort sein, wo unsere Nutzer sind. Wir wollen inhaltlich beide Welten entwickeln, um in beiden der relevante Qualitätsanbieter zu sein.

Die ARD will hier als öffentlich-rechtliches Content-Netzwerk zur Meinungsbildung und zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen. Dazu gehört auch die Stärkung der mediengattungsübergreifenden Zusammenarbeit. Neben der inhaltlichen Ebene wollen wir unsere Prozesse und Strukturen integrierter aufstellen, also arbeitsteiliger in Verwaltung, Produktion, Technik und Programmherstellung werden und durch weitere Standardisierung Synergien erschließen. Es geht darum, die Zusammenarbeit in der ARD zum Prinzip zu erheben und auch Kooperationen mit dem ZDF und Deutschlandradio zu stärken.

Wenn Sie sich organisatorisch anders aufstellen wollen, ist eine Nord-Süd-Ost-West-ARD, eine Vier-Regionen-ARD ein denkbares Szenario?

Die Fusion verschiedener Anstalten zu vier Großanstalten ist und war nie Gegenstand unserer Überlegungen. Dies wäre letztlich auch eine politische Entscheidung, die die Länder zu treffen hätten.

Es geht also um eine zentrale Honorarabrechnung, einen zentralen Einkauf...

... eine zentrale Reisekostenabrechnung oder Gehaltsabrechnung. Oder mehrere Anstalten machen es zusammen, da wo es sachlich sinnvoll ist und Synergien schafft.

Wenn wir von Zukunft reden, sprechen wir natürlich auch von Geld. Wünscht sich Karola Wille Beitragsstabilität, oder rechnen Sie mit einer Erhöhung?

Wir müssen bedarfsgerecht finanziert bleiben − nur so ist unser Auftrag zu erfüllen. Wir müssen aber auch in der Gesellschaft Beitragsakzeptanz nachhaltig sicherstellen. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Auch deshalb wird sich die ARD weiter verändern, um Synergien zu erschließen und Sparpotenziale zu heben. Wir sind wie alle Medienunternehmen mitten in einem tiefgreifenden Transformationsprozess.

Es gibt immer wieder Berichte, dass die Renten der ehemaligen ARD-Mitarbeiter zu einer immer stärkeren Belastung werden.

Wir haben auch in diesem Bereich in der Vergangenheit reformiert. Wir verhandeln jetzt mit den Gewerkschaften über ein neues, beitragsorientiertes Altersversorgungsmodell. Das würde unsere Aufwendungen für die Altersversorgung zukünftig wesentlich reduzieren. Zum Ende des Jahres haben alle ARD-Anstalten ihre alten Versorgungstarifverträge gekündigt, weil wir das neue − beim MDR bereits eingeführte − Versorgungsmodell mit den Gewerkschaften aufsetzen wollen. Offen ist noch, wie wir die Erhöhung der Renten auf ein wirtschaftlich sinnvolles Maß begrenzen.

Sie haben als ARD-Vorsitzende die „Lügenpresse“-Vorwürfe miterlebt. Die AfD brachte nun in den Landtagen Anträge zur Kündigung der Rundfunkstaatsverträge ein. Was entgegnen Sie den Kritikern, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk infrage stellen?

Die Forderungen der AfD überzeugen mich nicht. Wir haben in Deutschland ein freiheitliches, vielfältiges und leistungsstarkes duales Mediensystem. In anderen Ländern beneiden uns viele Menschen darum. In Zeiten, in denen das Bedürfnis nach glaubwürdiger Berichterstattung größer denn je ist, wo es um soziale Stabilität und den Zusammenhalt einer demokratischen Gesellschaft geht, ist ein politisch und wirtschaftlich unabhängiges öffentlich-rechtliches Medienangebot wichtiger denn je.

Trotzdem wird der öffentliche-rechtliche Rundfunk auch gerne als „Staatsfernsehen“ geschmäht und die Diskussion ebbt auch nicht ab. Wie wollen Sie darauf antworten?

Wir müssen dialogorientiert sein und unser journalistisches Arbeiten transparent machen. Es hat sich gelohnt, unsere Kritiker einzuladen, uns im journalistischen Alltag zu begleiten. Danach sprachen beispielsweise Pegida-Anhänger von mehr Achtung, die sie nun gegenüber unserer journalistischen Arbeit hätten. Es ist wichtig, dass wir transparent machen, wie wir in den Redaktionen arbeiten und wie Staatsferne sichergestellt wird. Medienkompetenz ist dabei für vieles der Schlüssel und muss für uns ein größeres Thema werden − das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir sollten auch hier ein vernetztes Gesamtangebot schaffen, in dem wir Fragen beantworten, wie Medien funktionieren und welche Risiken und Chancen in Medien stecken.

Sie wollen deutlich machen, wie staatsfern öffentlich-rechtlicher Rundfunk arbeitet. Trotzdem gibt es immer wieder sehr massive Kritik an der ARD-Berichterstattung. Wie können Sie diese Kritiker überhaupt erreichen?

Hier geht es grundsätzlich um einen Vertrauensverlust in öffentliche Institutionen. Davon sind wir mit betroffen, und ich glaube nicht, dass dies ein kurzzeitiges Phänomen ist. Sondern wir werden alle, Politik wie Medien, daran arbeiten müssen, das Vertrauen zu stärken und zu versuchen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Es wird aber vermutlich auch Menschen geben, zu denen wir trotz aller Anstrengungen nicht durchdringen können. Wir sind gerade im Sendegebiet des MDR sehr stark betroffen gewesen von solch massiver Kritik bis hin zu Angriffen auf unsere Mitarbeiter. Ich habe immer gesagt: Wir geben eine Antwort − und das ist guter Journalismus. Es macht Mut, dass unsere Informationsangebote 2016 Zuschauer hinzugewonnen haben.

Das wäre auch Ihre Antwort auf den Vorwurf, die Journalisten würden in einer Blase leben und Teile der Menschen gar nicht mehr erreichen?

Wir müssen den Vorwurf ernstnehmen und nahe bei den Menschen sein und ihre Wirklichkeit reflektieren, zuhören, nachspüren, aufklären. Und zwar mit all der Sorgfalt und dem Verantwortungsbewusstsein, das journalistische Arbeit braucht. Das ist unser Anspruch, und das ist das, womit wir antworten müssen.

Lassen Sie sich da nicht auch treiben von jenen, die die Diskussion um Lügenpresse und Blase befeuern?

Wir dürfen uns nicht einreden lassen, wir seien in einer Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskrise. Die Zahlen sprechen da eine andere Sprache. Ich sehe es auch nicht, dass wir uns treiben lassen. Es geht um das stetige Reflektieren des eigenen Anspruchs: Dass wir transparenter werden wollen, und dass Dialog wichtig ist, hat nichts mit der AfD zu tun, sondern mit der Veränderung in der Medienwelt. Das alte Sender-Empfänger-Verhältnis ist aufgebrochen worden. Die Menschen sind selbst Medien-Akteure geworden. Das hat auch inhaltlich bereichernde Elemente, denn es gibt ja nicht nur Fake-News und Hass-Mails.

Würden Sie sich mit AfD-Chefin Frauke Petry zu einem Gespräch treffen?

Antwort: Auf der Sachebene immer.

Wie geht es mit der Sportberichterstattung in der ARD weiter?

Sport gehört zu unserem Auftrag, und wir wollen einen freien Zugang zu Sportereignissen sicherstellen. Damit sind zwei Aufgaben verbunden: Einmal, die Vielfalt des Sports abzubilden. Die ARD berichtet − im Fernsehen, im Radio und im Netz − regelmäßig über weit mehr als 100 verschiedene Sportarten. Zum anderen versuchen wir, auch wenn sich der Sportrechtemarkt verändert hat, massenattraktive Großereignisse im Programm zu haben − beispielsweise auch in Kooperation mit anderen Sendern. Wir haben die Olympischen Spiele verloren, aber wir versuchen, andere Großereignisse wie Welt- und Europameisterschaften in den olympischen Sportarten zu halten.

Aber wie sieht es denn langfristig mit Olympia aus?

Zunächst mal wollen wir die Paralympics 2018 gerne bei uns haben, da bemühen wir uns aktuell gemeinsam mit der EBU. Das ist ein besonderes Ereignis und gehört ins öffentlich-rechtliche Fernsehen. Außerdem reden wir im Moment über Nachverwertungsrechte für Radio, Fernsehen und die Internetwelt. Wir schauen, welche Möglichkeiten uns angeboten werden und welche Preise dafür aufgerufen werden.

Es gibt ja auch viele kritische Stimme zu Olympia. Vielleicht passt es ganz gut in die Zeit, dass Sie es nicht übertragen.

Kritisch haben wir ja auch vorher schon berichtet. Die Olympischen Spiele haben sich durch Themen wie Doping oder Kommerzialisierung verändert, sind aber immer noch ein großes Sportereignis. Da, wo die Welt brüchig wird, sind solche Großereignisse nach wie vor wichtig.

Sie würden also langfristig sagen: Olympia gehört schon noch in die ARD?

Ja, aber nicht zu jedem Preis.

Mit Sport erreichen Sie im Fernsehen Jung und Alt. Mit „funk“ zielen Sie auch bei anderen Themen auf die ganz Jungen. Wie fällt die Bilanz aus?

Aus meiner Sicht ist „funk“ gut gestartet. Das ist ein völlig neues Angebot, losgelöst von einem linearen Kanal. Damit haben wir viel Raum für kreative Experimente bekommen. Wir sind mit immerhin 40 Formaten gestartet, inzwischen sind es über 60. Dieses Content-Netzwerk muss jetzt weiter geknüpft werden. Funk wird ja nie fertig sein − wir sammeln hier spannende Erfahrungen für die ganze ARD. Wir lernen, wie wir daran arbeiten müssen, wahrgenommen zu werden. Die neue „funk“-App, die alle Angebote bündelt, ist ein gutes Beispiel dafür.

Sie klingen trotzdem etwas zögerlich.

Keineswegs. Wir hatten mit Stand Ende November bei den „funk“-Formaten auf YouTube und Facebook insgesamt 46,4 Millionen Abrufe, 1,2 Millionen Menschen haben „funk“-Angebote mittlerweile abonniert. Aber wie gesagt: Wir müssen das Content-Netzwerk weiter knüpfen.

„funk“ im Internet für die 14- bis 29-Jährigen ist die eine Sache. Aber was glauben Sie: Wie lange wird es das traditionelle, lineare Fernsehen noch geben?

Solche Prognosen sind schwierig. Das lineare Fernsehen ist schon oft tot gesagt worden. Aktuell wird aber noch immer klassisches Fernsehen geschaut − und die durchschnittliche Sehdauer nimmt sogar zu. Klassisches TV wird wohl weiter ein Leitmedium bleiben − als Event-Fernsehen, als Live-Fernsehen, bei Großereignissen. Die Menschen holen sich ihre Informationen weiter aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Das spricht für das nach wie vor vorhandene Vertrauen.

Aber wir haben einen Abbruch in der jüngeren Generation. Deswegen müssen wir darüber nachdenken, wie wir Relevanz und Akzeptanz unserer Telemedienangebote im Netz weiter stärken können. Wir sind dabei, unsere Mediatheken nutzerfreundlicher aufzustellen und arbeiten an einer gemeinsamen technologischen Basis für alle ARD-Anstalten.

Wird es irgendwann personalisierte Mediatheken geben?

Ja, das ist eines unserer Ziele. Nutzerfreundlich heißt auch mit Personalisierungsfunktion. Uns ist dabei wichtig, den Nutzern zu sagen: „Bei uns sind Eure Daten anders als bei vielen anderen Anbietern sicher − und nicht Teil eines Geschäftsmodells.“ Einen Vorgeschmack bietet die ARD-Audio-App, die wir nächstes Jahr starten wollen.

Was bedeutet die ins Internet verlagerte Mediennutzung eigentlich für die Messung des Erfolgs über die Quote?

Jede Messmethode hat ihre Berechtigung hat. Gleichwohl sind wir dabei, gattungsübergreifende Medienforschungsinstrumente zu entwickeln, um die Reichweiten auch in der digitalen Welt festzustellen

 

Interview: Birgit Zimmermann und Thomas Pfaffe, dpa

ZUR PERSON: Prof. Karola Wille (57) ist promovierte Juristin und seit 2011 Intendantin des MDR in Leipzig. Die Universität Leipzig verlieh ihr 2002 eine Honorarprofessur für Medienrecht. Seit Anfang 2016 ist sie ARD-Vorsitzende.