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US-Botschafter wirft „Spiegel“ gesteuerte Anti-Trump-Schreibe vor

Man sei besorgt, dass Reporter „offenkundig das liefern, was die Unternehmensleitung verlangt“.

Hamburg (dpa) − Der Skandal um Betrügereien und Fälschungen eines ehemaligen „Spiegel“-Reporters zieht weitere Kreise. Der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, forderte eine unabhängige Untersuchung und warf dem Nachrichtenmagazin in einem Brief anti-amerikanische Berichterstattung vor. Die Chefredaktion wies den Vorwurf am Wochenende zurück. Unterdessen berichtete der „Spiegel“, dass ihr damals noch freier Mitarbeiter 2016 nicht nur eine Geschichte über angebliche syrische Waisenkinder in der Türkei in großen Teilen erfunden, sondern auch privat Spendenaufrufe an Leser verschickt habe, um angeblich den Kindern zu helfen.

Was dann aber mit dem Geld passiert sei, das auf das Privatkonto des Journalisten überwiesen wurde, sei unklar. Der „Spiegel“ kündigte an, „alle gesammelten Informationen der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Strafanzeige“ zur Verfügung zu stellen. Der Reporter, der im Zentrum der Affäre steht, reagierte am Wochenende nicht auf Anfragen der Deutschen Presse-Agentur.

Der Vertreter von US-Präsident Donald Trump in Deutschland, Grenell, schrieb dem „Spiegel“, die fehlerhafte Berichterstattung habe sich zu einem großen Teil auf US-Politik bezogen: „Es ist eindeutig, dass wir Opfer einer Kampagne institutioneller Voreingenommenheit wurden. (...) Die anti-amerikanische Berichterstattung des „Spiegel“ hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen; seitdem Präsident Trump im Amt ist, stieg diese Tendenz ins Uferlose.“ Man sei besorgt, dass Reporter „offenkundig das liefern, was die Unternehmensleitung verlangt“.

Grenell ist ein Vertrauter Trumps und gilt als wichtigster Botschafter des Präsidenten in Europa. Trump unterstellt Medien immer wieder die Verbreitung von „Fake News“. Ihm selbst wird aber ebenfalls vorgeworfen, es nicht so genau mit der Wahrheit zu nehmen: Nach einer Statistik der „Washington Post“ hat er in den ersten 649 Tagen seiner Amtszeit 6420 falsche oder irreführende Behauptungen aufgestellt − im Schnitt fast zehn pro Tag.

„Es gibt beim „Spiegel“ keine institutionelle Voreingenommenheit gegenüber den USA“, antwortete der stellvertretende Chefredakteur Dirk Kurbjuweit auf das Schreiben. Gleichwohl habe ein Reporter „Berichte weitgehend erfunden“, darunter solche aus den USA. „Wir entschuldigen uns bei allen amerikanischen Bürgern, die durch diese Reportagen beleidigt und verunglimpft wurden. Uns tut das sehr leid. Das hätte niemals passieren dürfen.»

Der designierte Chefredakteur Klusmann schrieb in einem Beitrag auf „Spiegel Online“, der ehemalige „Spiegel“-Redakteur habe sich „als ein genialischer Betrüger herausgestellt, dessen Abgründe sich von Tag zu Tag als tiefer erweisen“. Klusmann äußerte sich selbstkritisch: «Wir als Macher des „Spiegel“ müssen einräumen, dass wir in einem erheblichen Ausmaß versagt haben.“

Es sei dem Journalisten gelungen, „sämtliche im Haus üblichen Sicherungsmechanismen zu umgehen und außer Kraft zu setzen“, sagte der künftige Chefredakteur. Er kündigte an, den Fall im Ganzen aufzuarbeiten und zu dokumentieren. Eine Aufklärungskommission soll demnach von Januar an herausfinden, „wie ein solches Desaster beim „Spiegel“ passieren konnte und wie es sich künftig verhindern lässt“. Die notwendigen Konsequenzen würden gezogen: „Wer Verantwortung zu tragen hat, wird sie tragen.»

Nach Informationen von „Zeit online“ hätte der betreffende Redakteur „wohl schon viel früher gestoppt werden können, wenn seine Vorgesetzten auf hausinterne Einwände gehört hätten“. Dem Bericht zufolge waren Redakteuren von „Spiegel TV“ im ersten Halbjahr 2017 massive Widersprüche in einer Reportage des Journalisten aufgefallen, die sie dessen Vorgesetzten vorgetragen hätten. Eine „Spiegel“-Sprecherin teilte der dpa auf Nachfrage mit: „Auch die Vorgänge, über die die „Zeit“ berichtet, prüfen wir.»

Der ehemalige Redakteur hatte die Vorwürfe laut „Spiegel“ eingeräumt und am vergangenen Montag seinen Vertrag nach anderthalb Jahren gekündigt. Von ihm waren dem Nachrichtenmagazin zufolge seit 2011 knapp 60 Texte im Heft und bei „Spiegel Online“ erschienen − zunächst war er als freier Mitarbeiter tätig gewesen, dann als festangestellter Redakteur.