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dpa - Deutsche Presseagentur GmbH

Deutschlandradio-Intendant will Vereinbarung mit den Privaten

Stefan Raue hat noch keine 100 Tage als Deutschlandradio-Intendant hinter sich. Er hat die neue Aufgabe mitten in heftigen Diskussionen um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk übernommen.

Berlin (dpa) − Stefan Raue ist seit 1. September neuer Deutschlandradio-Intendant. Viele Themen, mit denen er sich in dem Sender mit den drei Programmen Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova beschäftigen muss, sind dem Journalisten allerdings schon länger vertraut. Er plädiert für einen möglichst schnellen Umstieg aufs Digitalradio DAB+ und ist dafür, dass der Rundfunkbeitrag so erhöht wird, dass die steigenden Kosten ausgeglichen werden. Den Dauerstreit zwischen Verlagen und öffentlich-rechtlichen Sendern würde er gerne beenden. „Wenn wir ruhig darüber nachdenken und die Verschiebungen im Werbemarkt beobachten, dann müssen wir zu einer gemeinsamen Vereinbarung kommen“, sagte Raue im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. „Und die Vereinbarung sollte von uns kommen, wir können nicht darauf warten, dass die Politik sie uns abnimmt.“

 

ARD und ZDF sind in den vergangenen Monaten häufig öffentlicher Kritik ausgesetzt gewesen, nicht nur von Seiten der Zeitungsverleger − trifft das Deutschlandradio auch?

Wenn ich mir die gesamte Kritik anschaue, dann bestreitet bis auf ein paar unbelehrbare Eiferer niemand, dass Information, Kultur und Bildung zu den Kernaufgaben der Öffentlich-Rechtlichen gehören. Das ist in der Politik unumstritten und meines Wissens auch bei den Verlegern und den Privatfunkern. Die Diskussion zielt vor allem auf den Umfang der Angebote, zum einen in der digitalen Welt und zum anderen vor allem darauf, was Öffentlich-Rechtliche über diesen Kernauftrag hinaus machen. Das fällt für Deutschlandradio nicht an. Der Auftrag für die Öffentlich-Rechtlichen insgesamt war aber immer, ein Vollprogramm zu produzieren und nicht zu unterscheiden: Information und Kultur für die Öffentlich-Rechtlichen, Sport, Unterhaltung, Spielfilm für die Privaten. Die Medienwelt in Deutschland ist aus der Idee entstanden, private und öffentlich-rechtliche Medien in einem konstruktiven Konkurrenzverhältnis leben zu lassen.

 

Wie weit gilt die Kritik an den öffentlich-rechtlichen Internetaktivitäten auch für Deutschlandradio?

Die Kritik gilt allen, da sind wir mit im Boot, genau wie ARD und ZDF. Die Vorstellungen von manchen Kritikern, dass Hörfunkbeiträge mit sparsamen An- und Abmoderationen unser Angebot in der digitalen Welt sein sollten, sind absonderlich und würden dazu führen, dass wir für jüngere Generationen und in einigen Jahren in der Welt des Internets nicht stattfinden. Das wäre ein Online-Angebot, das Sie nirgendwo in der Welt mehr finden. Internetangebote sind heute alle multimedial, im Übrigen auch die der Verleger. Die Verlage machen doch selbst längst deutlich mehr als presseähnliche Angebote, sie haben natürlich Videos, Audios, lang erzählte Geschichten mit Fotos und Grafiken. Der Begriff ist überholt und spiegelt die publizistische Wirklichkeit in ihrer Vielfalt nicht wider. Der Kampf presseähnlich gegen das, was angeblich öffentlich-rechtlich sein soll, ist ein Schaukampf. 

 

Sollte man die Formulierung Presseähnlichkeit in Zukunft streichen?

Ich fände es gut, wenn sie nicht mehr auftaucht. Aber das setzt voraus, dass alle Seiten einsehen, dass der Begriff nicht mehr taugt. Wir können alle mal ins Netz gucken und suchen, was wir da noch Presseähnliches finden. Außer vielleicht einzelne Behörden stellt niemand mehr 1:1 veröffentlichte Drucktexte online. Jedes Medium hat eigene Publikationsformate, das gilt natürlich auch fürs Internet.

 

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Wir wissen, unter welchem Druck Verleger und private Rundfunkanbieter sind, auch weil die digitale Welt längst von globalen Playern dominiert wird. Deswegen glaube ich, dass sich am Ende private und öffentlich-rechtliche Medien zusammensetzen und darüber im Klaren sein müssen, dass die Herausforderung von außen kommt und dass man in ein Gespräch kommen muss, das die Interessen der privaten Medien ernst nimmt. Wenn wir ruhig darüber nachdenken und die Verschiebungen im Werbemarkt beobachten, dann müssen wir zu einer gemeinsamen Vereinbarung kommen. Und die Vereinbarung sollte von uns kommen, wir können nicht darauf warten, dass die Politik sie uns abnimmt.

 

Welche Rolle spielt das Internet inzwischen für die öffentlich-rechtlichen Sender?

Das Internet hat mindestens zwei Funktionen, es ist eine Plattform, es ist aber zugleich eine ganz neue Form von Kommunikation und Information. Es gibt Menschen, die wollen unsere Radioangebote über das Internet hören. Und es gibt viele, gerade unter den Jüngeren, die wollen Angebote, die dem Geist, der Ästhetik, der Dramaturgie der globalen Kommunikation angemessen sind. Fernsehbeiträge, die im Netz funktionieren, sind anders als die im linearen Fernsehen. Im Radio sind wir überrascht, welche Attraktivität die Podcasts haben. Sie sind aber keine einfache Kopie dessen, was wir linear an Hörfunk machen, sondern sie haben eine eigene Dramaturgie, eine eigene Sprache. Sie sind für die mobile Nutzung und optimiert, und sie erreichen das Publikum im Netz viel besser. Wenn wir das Netz als Öffentlich-Rechtliche nur als Abspielplattform nutzen dürfen, dann bleiben uns diese Entwicklungsmöglichkeiten versperrt. Und das wäre deswegen dramatisch, weil sich viele jüngere Menschen ausschließlich über diesen Weg informieren.

 

Wie sehen Sie das Problem der begrenzten Verweildauer für Beiträge im Netz?

Es wäre besser, wenn es keine Begrenzung gäbe. Der Beitragszahler hat für die Produktion bezahlt. Warum sollte er das dann nicht auch später noch nutzen können? Und ich sehe ehrlich gesagt auch nicht, dass wir dadurch andere im Medienmarkt bedrängen. Es geht ja bei uns in aller Regel um Hintergrundangebote.


Wie stehen Sie zur Diskussion um den Rundfunkbeitrag nach 2020, glauben Sie, dass sich eine Erhöhung vermeiden lässt?

Das ist eine mathematische Frage. Der Beitrag ist seit 2009 nicht erhöht worden, 2015 gab es eine Absenkung. Wenn wir von einer Steigerung von rund zwei Prozent pro Jahr ausgehen, bei Sachkosten, Honoraren und Gehältern, dann kann man sich schnell ausrechnen, wie viel einem weniger zur Verfügung steht, wenn die Kostensteigerung nicht ausgeglichen wird. Deswegen zielt ein Einfrieren des Rundfunkbeitrags auf eine Beschränkung der Möglichkeiten. Das ist die Gefahr dabei. Für Deutschlandradio hieße eine Erhöhung von zwei Prozent etwa einen Cent pro Monat − das würde die Kostensteigerung ausgleichen.

 

Unterhalten Sie sich zu Hause schon mit Alexa und Co.?

Ich nicht, ich bin froh, wenn ich mich mit meiner Familie unterhalten kann. Aber wir beobachten die technischen Entwicklungen sehr genau und nehmen das sehr ernst, genauso wie die Datenschutzfragen, die dabei im Raum stehen. Der Trend geht in Richtung Personalisierung, also nicht den Knopf einzuschalten und zuzuhören, sondern stärker zu fragen, was interessiert mich vor allem und wie schaffe ich es, es schnell angeboten zu bekommen. Da ist Alexa eine Möglichkeit, genau das zu erreichen.

 

Stichwort Digitalradio DAB+. Welchen Zeitpunkt halten Sie für den Umstieg für realistisch?

Wenn das mal richtig losgeht, kann es ganz schnell gehen. Ich habe bei der IFA aufmerksam registriert, dass auch große und renommierte Unternehmen, die nicht spezielle Nischenangebote machen, auf DAB+ aufspringen.

 

Die privaten Radiosender verlangen 500 Millionen Euro als Infrastrukturförderung für den Umstieg auf DAB+. Woher soll das Geld kommen?

Die Privatfunker sagen selber, es könnte aus den Erträgen bei den Frequenzauktionen kommen und halten das für eine sinnvolle Quelle. Ich sehe, dass es in Bayern Möglichkeiten gegeben hat und gibt, den Interessen der Privatfunker durch Investitionsprogramme des Landes entgegenzukommen. Ich finde das sehr richtig. Und bevor es zur Abschaltung von UKW kommt, muss es eine Abdeckung von DAB+ geben, nicht nur technisch, sondern auch von der Zahl der Geräte her, die den Umstieg tatsächlich möglich macht. Im Ausland hat sich ein wichtiges Kriterium für den Umstieg etabliert: Ab einem Wert von 50 Prozent der Radiohörer, die über DAB+ und das Internet erreicht werden, wird der Umstieg aktiv angegangen. Das galt und gilt zum Beispiel für Norwegen, Dänemark, für Großbritannien und die Schweiz. Norwegen schaltet derzeit UKW ab, die Schweiz bis 2024, Großbritannien wird den Wert Anfang des neuen Jahres erreichen. Auch wir hier in Deutschland sprechen von ähnlichen Kriterien.

 

Welche Rolle spielt DAB+ für Deutschlandradio?

Für Deutschlandradio ist DAB+ von existenzieller Bedeutung. Mit den Reichweiten, die wir mit 52 Prozent bei Deutschlandfunk Kultur und 74 Prozent bei Deutschlandfunk über UKW in der Fläche haben, können wir perspektivisch nicht leben. Wir müssen an die 100 Prozent kommen. DAB+ muss deshalb so schnell wie möglich kommen, aber dabei müssen die Nutzer auch mitmachen, wir können das nicht verordnen. Wer einmal umgestiegen ist, fragt sich dann meist, warum nicht schon viel früher?

 

ZUR PERSON: Stefan Raue wurde 1958 in Wuppertal geboren. Nach Studium und Volontariat hat er zunächst beim WDR gearbeitet, anschließend bei Rias-tv. Nach Stationen bei der Deutschen Welle und dem ZDF wurde er 2011 trimedialer Chefredakteur beim MDR. Seit 1. September ist er Deutschlandradio-Intendant.